Kapitel 16

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Die Stille im Raum ist erdrückend und Daryls Blick liegt brennend auf mir. Ich schlucke und überlege fieberhaft, was ich zu all dem sagen soll. Will ich nach Hause? Will ich diesen Mann, der mir all das anvertraut hat, trotzdem weiterhin sehen? Oder sollte ich es ihm nicht vielmehr hoch anrechnen, dass er mir all diese Dinge aus seinem Leben anvertraut hat? Steht es mir überhaupt zu, darüber zu urteilen? Ich bin nicht auf der Straße aufgewachsen, habe nicht früh meine Eltern verloren und hatte eine wohl behütete, glückliche Kindheit. Ich habe nie etwas kriminelles gemacht und gehe einem geregelten, sicheren Job nach. Mein Leben war einfach und unkompliziert. Bis ich mich verliebt habe. Ich stoße einen Seufzer aus und blicke auf meine ineinander verschränkten Finger. „Ich weiß es nicht Daryl. Das ist alles so viel… Ich möchte über all das nachdenken und das kann ich nicht mit dir in meiner Nähe“. Ich kann sehen, wie sehr ihn meine Worte verletzen und als ich kurz davor bin, meine Meinung zu ändern, verändert sich sein Gesicht zu einer ausdruckslosen Maske und er dreht mir den Rücken zu. „Dann lass uns fahren“, murmelt er und geht zur Tür. Ich nicke, wohlwissend, dass er es nicht sehen kann und folge ihm zur Tür. Während er stehen bleibt um seine Tür zu verschließen, bewege ich mich zielstrebig auf seinen Sportwagen zu. „Wir nehmen ein etwas unauffälligeres Auto“ sagt er und ich erschrecke, da er mir auf einmal so nah ist. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, läuft er in Richtung einer großen Doppelgarage und öffnet sie mit einem Knopfdruck. Er läuft zur Beifahrertür eines dunklen SUV´s und öffnet sie, damit ich einsteigen kann. Ich lächle ihm zum Dank zu, aber er weicht meinem Blick aus und schaut ins Leere. Ich weiß, dass er sich eine andere Reaktion von mir erhofft hat, aber zu mehr bin ich im Moment einfach nicht in der Lage. Die Fahrt verläuft schweigend und als wir schließlich vor meiner Wohnung ankommen, macht sich eine spürbare Anspannung breit. Ich habe das Gefühl Daryl will etwas sagen, aber er seufzt lediglich, steigt und aus geht zur Beifahrerseite, um mir die Türe zu öffnen. Auf dem Weg zu meiner Wohnungstür sagt keiner von uns ein Wort und als ich schließlich in meiner Handtasche nach dem Schlüssel krame, steht Daryl mit den Händen in den Hosentaschen so weit von mir entfernt, dass ein Außenstehender denken könnte, wir seien uns fremd. Als ich endlich fündig werde und die Haustüre öffne, wirft er mir ein gezwungen aussehendes Lächeln zu und sagt leise „Dir wird nichts passieren, keine Sorge. Wenn irgendetwas sein sollte, dann ruf mich an“. Ich nicke und versuche mich ebenfalls an einem Lächeln, aber Daryl hat sich bereits umgedreht und läuft zurück zu seinem Auto.
In meiner Wohnung angekommen, lasse ich mich erschöpft und erledigt von den Geschehnissen der letzten Stunden auf meine Couch fallen, während Balu mich vor lauter Freude über meine Rückkehr wie ein Wirbelwind umrundet. Nach einigen Minuten in denen ich meinen Hund ausgiebig gestreichelt habe, gehe ich in die Küche um mir ein großes Glas Wein einzugießen. Dabei fällt mein Blick aus dem Küchenfenster, hinaus auf die Straße. Ich bin verwundert als ich Daryls Auto noch immer an der gleichen Stelle stehen sehe. Ich versuche zu erkennen, ob er im Auto sitzt, aber dafür ist es bereits zu dunkel. Meinte er das damit, als er sagte, mir würde nichts passieren? Er bleibt vor meiner Wohnung und passt persönlich auf mich auf? Hin und hergerissen zwischen dem Wunsch nach unten zu rennen, ihn zu umarmen und zu küssen, und dem Bedürfnis alles stehen und liegen zu lassen und aus dieser Stadt zu verschwinden, bemerke ich nicht, dass Tränen meine Wangen hinablaufen. Es ist alles zu viel. Ich hatte ein vollkommen normales Leben und jetzt ist davon nicht mehr viel übrig. Ich nehme einen großen Schluck von meinem Wein und nehme dann mein Handy in die Hand. Ich überlege einen kurzen Augenblick und schreibe schließlich Lisa eine Nachricht. „Du fehlst mir“. Mein Finger schwebt einige Sekunden lang über der >Senden<-Taste, bevor ich mich schließlich überwinde und die Nachricht abschicke. Ich rechne nicht wirklich mit einer Antwort, umso erstaunter bin ich, als nach einigen Minuten das vertraute Geräusch ertönt, was den Empfang einer neuen Nachricht ankündigt. Mit einer Mischung aus Nervosität und Unwohlsein öffne ich die Nachricht und lese sie drei Mal, bevor ich es glauben kann. „Du mir auch. Wir sollten reden.“ Überrascht schlage ich meine Hand vor den Mund und erneut beginnen die Tränen zu fließen. Eilig tippe ich eine weitere Nachricht in mein Handy und sage ihr, dass ich sehr gerne mit ihr reden möchte. Egal wann. Wir schreiben einige Nachrichten hin und her und verabreden uns schließlich für den morgigen Abend nach der Arbeit bei unserem Lieblingsitaliener. Ich kann es kaum fassen, wenn ich mich mit Lisa aussprechen könnte, hätte ich wenigstens ein kleines Stück meiner ehemals heilen, kleinen Welt zurück.  Mit diesen Gedanken trinke ich mein Glas leer, mache mich schlaffertig und falle in einen unruhigen, traumlosen Schlaf.
 
Aufgeregt wie vor dem ersten Schultag mache ich mich heute fertig, und breche eine halbe Stunde eher als gewöhnlich mit Balu zu unserem Morgenspaziergang auf. Als ich die Haustür hinter mir schließe, fällt mein Blick direkt auf Daryls Wagen. Eine Welle des schlechten Gewissens überkommt mich und ich nähere mich langsam. Als ich erkenne, dass Daryl schläft, spüre ich den Wunsch mich neben ihn zu kuscheln. Schnell verdränge ich jedoch diesen Gedanken und setze meinen Weg mit Balu fort. Auf dem Rückweg komme ich bei einem der zahlreichen Frühstückstände vorbei, hole zwei große Becher Milchkaffee und zwei belegte Bagel. Ich eile zurück ins Haus, bringe Balu zu meiner Nachbarin, deren Tochter meinen Vierbeiner hin und wieder über Nacht bei sich behält und dafür von mir ein Extra Taschengeld bekommt, hole meine Tasche für die Arbeit und klopfe als ich wieder unten angekommen bin, mit Kaffee und Bagel beladen gegen die Scheibe. Daryl schreckt hoch und sieht mich einige Sekunden lang perplex an. Als ich lächelnd die Kaffeebecher und die Brötchentüte hochhalte, zeichnet sich auf seinen Lippen ein zartes Lächeln ab und er öffnet die Tür. „Guten Morgen Prinzessin“, murmelt er noch leicht verschlafen und seine raue Stimme sorgt dafür, dass sich eine angenehme Gänsehaut auf meinem Körper bildet. „Ich dachte mir, du hast bestimmt Hunger“ sage ich und halte ihm sein Frühstück unter die Nase. Dankend nimmt er einen großen Schluck Kaffee und sieht mich dann an. „Bist du schon fertig für die Arbeit?“ Ich nicke und werfe einen Blick auf meine Uhr. „Balu und ich waren heute Morgen etwas eher auf den Beinen, also…“ „Du warst alleine mit dem Hund draußen?“ unterbricht er mich und macht große Augen. „Sofie, ich habe dich gebeten vorsichtig zu sein. Wieso tust du nicht einmal das, was ich dir sage?“ Vor Verblüffung sehe ich ihn mit großen Augen an. „Soll das heißen, ich kann nicht einmal mehr alleine vor die Tür gehen? Daryl, ich muss auf die Arbeit, ich muss mich um meinen Hund kümmern, ich kann mich nicht den ganzen Tag zuhause verkriechen“. Er presst die Lippen zusammen und ich habe das Gefühl, er will noch etwas sagen, zieht es dann jedoch vor zu schweigen. „Wenn du nichts dagegen hast, mache ich mich jetzt auf den Weg zur Arbeit. Einige Leute verdienen ihr Geld auf ehrliche Art und Weise und dazu gehört auch Pünktlichkeit!“ Ich weiß genau welch verletzende Wirkung meine Worte haben, aber ehrlich gesagt ist mir das im Moment egal. Ich kehre ihm den Rücken zu und laufe eiligen Schrittes in Richtung Carter Corp, als ich hinter mir die Autotür zuschlagen höre. Ich drehe mich nicht um und laufe stattdessen ein wenig schneller. Als Daryl mich eingeholt hat, greift er nach meinem Arm um mich so zu zwingen, ihn anzusehen, aber ich habe keine Lust mit ihm zu sprechen. Da er jedoch um einiges größer ist als ich und vor allem stärker, schaue ich ihn böse an und fauche „Lass mich los, Daryl!“ zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Erst wenn du stehen bleibst“, erwidert er unbeeindruckt und da ich mein überpünktliches Erscheinen auf der Arbeit sich bereits in Luft auflösen sehe, bleibe ich stehen und sehe ihn böse an. Er fährt sich mit der Hand durch die Haare und einen Moment lang bin ich von dieser Geste, die er immer macht wenn er die passenden Worte sucht, wie gefesselt. „Es tut mir leid. Ich fahre dich zur Arbeit, dann können wir reden“. Ich seufze und weiß genau, dass ich unfair ihm gegenüber bin. Er versucht mir zu helfen, mich zu beschützen, weil ich ihm nicht egal bin. Weil er mich liebt. Ich lasse die Schultern hängen und nicke schließlich. Als der Gentleman der er nun einmal ist,  öffnet er mir die Beifahrertür und lässt mich einsteigen. Die ersten paar Minuten im dichten New Yorker Straßenverkehr verbringen wir schweigend, aber ich kann spüren, dass Daryl nach den richtigen Worten sucht, um ein Gespräch zu beginnen. Es ist warm und die unangenehme Stille sorgt dafür, dass ich das Gefühl habe keine Luft mehr zu bekommen. Ich lasse das Fenster herunter, um das Innere des Autos mit neuem Sauerstoff zu füllen. Als ich es nicht mehr aushalte und gerade die Stille durchbrechen will, ergreift Daryl das Wort und sagt „Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe. Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musst. Es tut mir leid, dass ich mich nicht von dir fernhalten konnte“. Seine Worte gehen mir nah, drücken sie doch all die Selbstvorwürfe aus, die er sich macht. Ich sehe ihn an, aber sein Blick richtet sich weiterhin stur auf die Straße. Ich greife nach seiner Hand und drücke sie, woraufhin er mir einen Seitenblick zuwirft. „Ich weiß. Mir tut mein Verhalten auch leid“, sage ich leise und richte meinen Blick zum Fenster hinaus. Als wir schließlich vor dem beeindruckenden Gebäude von Carter Corp halten, wendet sich Daryl wieder mir zu und sagt „Ich hole dich nach Feierabend ab. Schreib mir eine Nachricht.“ Ich schüttel den Kopf und sage „Nein, ich gehe nachher mit Lisa etwas essen. Ich nehme dann einfach ein Taxi!“ Er sieht mich mit großen Augen an. „Ihr redet wieder miteinander?“ Ich nicke und will ihm gerade erzählen, wie es dazu gekommen ist, aber er richtet seinen Blick wieder auf die Straße. „Okay“ murmelt er „dann meld dich einfach, wenn irgendetwas nicht in Ordnung ist“. Ich nicke, beuge mich zu ihm und küsse ihn auf die Wange, bevor ich meine Tasche aus dem Fußraum nehme und das Fahrzeug verlasse. Ich will mich gerade umdrehen um Daryl noch etwas zu sagen, aber er ist bereits weitergefahren.
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Is it Love? DarylDonde viven las historias. Descúbrelo ahora