Mate

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Entsetzt starrte ich ihn an. Ich musste zugeben, er sah gut aus.
Hatte dunkle, fast schon schwarze kurze Haare. Sein Teint war ebenfalls dunkel, aber kein Solariumbraun, sondern eher von der Sonne gebräunt.
Seine Lippen waren so voll, dass ich am liebsten hineinbeißen würde....

Okay, okay, scheiße, was waren das für Gedanken? Das war nicht ich. So was dachte ich nicht.
Und warum starrte ich noch immer auf diese perfekten Lippen?!

Schnell schüttelte ich den Kopf, als könnte ich diese verstörenden Gedanken so abschütteln.
Erst dann fiel mir auf, dass dieser Typ mich immer noch festhielt.
Abrupt riss ich mich von ihm los.

"Hey, was ist denn los?", Besorgt und auch verwirrt starrte er mich aus diesen braunen Augen an. Aus diesem warmen Braun....wie Schokolade....

Okay, ich driftete ab.

Schnell stammelte ich etwas von "Sorry, ich ....ich ....ich muss noch was erledigen."

Und weg war ich. Wobei ich sagen musste, dass das nicht so einfach war. Irgendwie war ich plötzlich mit meinem Körper verfeindet. Zumindest fühlte es sich so an.
Denn je weiter ich von ihm wegrannte, desto mehr brannte mein Herz, desto schwerer wurden meine Beine.
Was zum Teufel sollte das?!

Doch dann war ich endlich aus der Schule draußen, rannte weiter und weiter, den ganzen Weg nach Hause.
Vergaß dabei völlig, in Menschentempo zu rennen.
Ich konnte von Glück reden, dass mich niemand sah.

Irgendwann stand ich dann vor meinem Haus und verschnaufte erst einmal.
Die Gedanken wirbelten nur so in meinem Kopf herum.
Ich hab meinen Mate gefunden, dachte ich.
Ich sollte glücklich sein. Jeder wäre an meiner Stelle glücklich.
Aber in meinem Herzen sah es nicht viel anders aus als in meinem Kopf.
Auch dort herrschte heilloses Chaos.
Einerseits verspürte ich unbändige Freude, eine Begeisterung, wie ich die schon lange nicht mehr empfunden hatte, Monate nicht mehr seit diesem Vorfall.
Aber gleichzeitig war da auch Angst. Angst, gepaart mit Schmerz und Bedauern.

Schließlich holte ich noch einmal tief Luft, kramte nach dem Hausschlüssel in meinem Rucksack und schloss auf.

Kaum war ich drinnen, schnupperte ich auch schon, um zu überprüfen, ob Mama da war.
Denn ein Verhör, warum ich die Schule schwänzte, konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen.
Papa und Stefan, mein 20-jähriger Bruder, waren auch noch nicht da, mein Vater bei der Arbeit und mein Bruder in der Uni. Ich hatte erst einmal Zeit für mich allein.

Ich musste erst selbst damit fertig werden, was gerade passiert war.
Ich hatte meinen Mate gefunden. Meinen Mate! Eine Möglichkeit, mit der ich niemals gerechnet hätte.
Und dann war ich vor ihm davon gerannt.
Okay, ich musste zugeben, das war keiner meiner glanzvollsten Momente.

Zum Glück war Mama nicht da. Wahrscheinlich einkaufen.
Puh, da hatte ich also noch eine Gnadenfrist bekommen.

Erschöpft ließ ich mich an der Tür zu Boden sinken.

Oh Mann. Ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt machen sollte. Ich hatte nie damit gerechnet, meinen Mate zu treffen. Überhaupt erst einen zu haben.
Ich meine, ich war krank. Würde in nicht allzu langer Zeit sterben.
Warum schenkte mir die Mondgöttin dann einen Mate?!
Er würde nur leiden. Und das sein Leben lang. Sofern die Mondgöttin ihm keine andere schenkte.

Verdammt. Ich wollte nie, dass jemand anderer wegen mir litt. Aber jetzt? Jetzt konnte ich kaum was dagegen tun.
Wenn ich die Matebindung akzeptierte, hätten wir vielleicht eine kurze Weile eine glückliche Zeit.
Doch dann würde ich sterben. Und ihn damit ins Unglück ziehen. Das konnte ich nicht tun.

Scheiße. Warum musste mir sowas passieren? War ich nicht schon genug gestraft?! Jetzt wurde mir auch noch ein bisschen Glück in Aussicht gestellt, das ich aber nicht genießen konnte.
Nicht, wenn ich die ganze Zeit daran denken müsste, wie es enden würde.

Denn das würde es. Es gab kein Heilmittel für meine Krankheit, für den schleichenden Tod, wie sie genannt wurde. Mors serpens war der offizielle Ausdruck. Dieser Begriff jagte jedem Werwolf einen angstvollen Schauer über den Rücken. Denn es war eine der wenigen Krankheiten, die die Macht hatte, einen Werwolf in den Tod zu stoßen.

Ich konnte meinem Mate das nicht einfach antun. Konnte ihm diesen Schmerz, der mit meinem Tod einhergehen würde, nicht bereiten. Er war mein Mate. Er sollte wegen mir nicht leiden.

Aber darauf würde es unweigerlich hinauslaufen, oder? Egal, was ich tat.
Ich würde seinen Schmerz also nicht verhindern können.

Aber vielleicht würde ich ihn schmälern können....

Wenn ich die Matebindung ignorierte, ihn ignorierte, würde er ja wohl weniger Schmerz empfinden, wenn ich schließlich sein Leben verließ, oder?
Schließlich könnte er mich so kaum markieren, könnte nicht anfangen, sich wahrlich in mich zu verlieben.

Aber wenn ich an diese Anziehung von vorhin dachte...würde ich es da überhaupt schaffen, ihn zu ignorieren?
Vor allem, wenn er versuchte, mich für sich zu gewinnen?
Nein, ich würde ihm nicht lange widerstehen können. Letztendlich verfiel jeder seinem Mate.

Also blieb mir wohl nur eins. Auch wenn mir vor der Vorstellung graute.
Ich würde ihn ablehnen müssen. Die Matebindung nicht akzeptieren.
So konnte er noch ein glückliches Leben haben.
Vielleicht schenkte die Mondgöttin ihm eine andere Mate.
Er wäre glücklich. Ja, das war wohl die beste Lösung.

Auch wenn sich allein schon bei dem Gedanken ein Loch in meiner Brust zu bilden schien.
Ein Teil von mir wollte egoistisch sein. Ihn in mein Leben lassen.
Vor meinem Tod noch ein paar glückliche Momente haben. Mit meinem Mate.

Aber das konnte ich nicht tun. Es würde ihn zerstören. Nein, ich musste mich von ihm distanzieren. Damit später der Schmerz nicht so groß wäre.

Auch wenn es mich wohl meine ganze Selbstbeherrschung und Selbstdisziplin kosten würde, mich von ihm loszusagen.

Fuck. Aber ich musste es schaffen. Ihm zuliebe.

Plötzlich fiel mir ein, dass ich dafür ja erst einmal wissen musste, wie man sich von seinem Mate lossagt.

Hmm. Scharf dachte ich nach. Mama und Papa hatten uns immer die Legenden der Werwölfe erzählt.
War dort auch schon einmal vorgekommen, dass ein Werwolf die Matebindung nicht akzeptierte?

Eine Weile lang suchte ich in meinem Kopf nach einer solchen Geschichte. Ließ alle Legenden unserer Art Revue passieren. Doch mir fiel nichts ein. Kein Wunder. Wenn es schon mal vorgekommen war, dann wohl nicht sehr oft.

Tja, dann würde ich mich wohl auf die Suche nach dem Buch machen müssen.
Am besten bevor Mama zurückkam.
Ich hatte keine Ahnung, wie sie auf die Neuigkeit reagieren würde.

Einerseits war sie sehr gläubig. Wahrscheinlich würde sie so etwas sagen wie: Wenn es die Mondgöttin entschieden hat, wird sie ihren Grund dafür haben.
Andererseits, Mama hatte so besorgt ausgesehen. Vielleicht war dieses fremde Rudel ja irgendwie böse?

Das konnte gut sein. Nicht alle Rudel lebten so friedliebend wie unseres. Es sollte wohl auch welche geben, die manchmal Menschen angriffen.
Einfach so aus Spaß.
Oder welche, die  Kämpfe abhielten. Kämpfe bis auf den Tod.
Bei der Vorstellung schauderte es mich. Ich war froh, in diesem Rudel zu leben.

Aber konnte das Rudel meines Mates wirklich böse sein?
Ich konnte es mir kaum vorstellen.
Als Mate müsste ich sowas ja dann spüren, oder? Ich müsste spüren, wenn mein Mate böse war.

Na ja, Lisa war ja noch immer in der Schule, mit dem Vorhaben, herauszufinden, was das für ein Rudel war und was es wollte.

Hoffentlich hatte sie Erfolg.
Währenddessen würde ich das Buch suchen und mir einprägen, wie man sich von seinem Mate lossagt.
Und dann musste ich nur noch meinen ganzen Mut und meine ganze Kraft zusammenkratzen, um zu tun, was getan werden musste....

I'm sorry, MateWhere stories live. Discover now