Die Befreiung

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Alessandros p.o.v.

Ich lief gerade im Wald, als ich es zum ersten Mal spürte. Ein Brennen an meinen Pfoten. Verwirrt sah ich zu ihnen herab. Aber da war nichts.
Doch es fühlte sich an, als hätte ich mich da verbrannt.

Komisch. Das unbehagliche Gefühl in meiner Magengegend verstärkte sich. Ich hatte es heute schon um 16 Uhr irgendwas gespürt, es aber auf das Essen geschoben.
Doch jetzt konnte ich das nicht.

Aber was könnte diese Empfindungen bei mir auslösen? Plötzlich dachte ich an Olivia. Sie war meine Mate. Vielleicht...aber das würde dann bedeuten, dass es ihr nicht gut ging. Wieder sah ich auf meine Pfoten hinab. Dass sie vielleicht sogar in Gefahr war.
Bei dem Gedanken erwachte Panik in mir. Wenn ihr etwas passierte...das könnte ich mir niemals vergeben.

Schnell versuchte ich sie über unsere Matebindung zu erreichen.

Liv? Geht es dir gut?

Ich wartete. Und wartete. Doch es kam nichts von ihr. Um mich herum hörte ich die Vögel zwitschern, Eichhörnchen umherhuschen, Blätter rauschen...aber keinen Ton von Olivia.
Das ungute Gefühl in mir verstärkte sich noch einmal.
Warum antwortete sie nicht?

Bitte, Liv, antworte. Ich weiß, dass du mich hörst. Ich mache mir gerade echt Sorgen um dich.

Ich wusste, dass sie meine Gedanken empfing. Wenn nicht, würde ich das spüren.
Doch sie empfing sie, antwortete jedoch nicht.
Steckte sie gerade in einem Kampf? Hatte sie keine Zeit, um zu antworten?

Bevor ich mir noch weitere schreckliche Szenarien ausdenken konnte, ertönte plötzlich ihre Stimme in meinem Kopf.

Pass auf dich und dein Rudel auf, Alessandro. Es...es war echt schön, dich kennengelernt zu haben.

Ich erstarrte. Das hörte sich wie ein Abschied an. Und was meinte sie damit, dass ich auf mich und mein Rudel aufpassen sollte?

Verdammt, Liv, sag endlich, was los ist!

Ich konnte nur schwer meine Wut unterdrücken.
Aber sie gab keine Antwort mehr.
Merda. Ich konnte sie nicht verlieren! Nicht sie, meine Mate, mia anima*.
Allein schon bei dem Gedanken schnürte es mir die Brust zu.

Fieberhaft dachte ich nach. Was könnte los sein? Heute schien alles noch in Ordnung, alles war...warte.
Heute Morgen. Da fühlte sie sich beobachtet. Ich hatte zwar niemanden wahrnehmen können, aber das hieß nicht, dass ich ihr nicht glaubte.
Nur, wer hatte uns da beobachtet?
Und hatte derjenige meine Mate nun in seinen Fängen?

Bei dieser Vorstellung entwich mir unwillkürlich ein Knurren.
Wenn ihr jemand wehgetan hatte...dann würde derjenige büßen.

Ich musste sie suchen gehen. Aber wo?
Wo sollte ich anfangen? Wo war sie denn so spät noch gewesen?
Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, wen ich fragen konnte.
Schnell raste ich durch den Wald nach Hause. Oder besser gesagt zu Olivia nach Hause.

Die Bäume rasten nur so an mir vorbei. Innerhalb weniger Sekunden sah ich bereits Olivias Haus vor mir. Noch während ich aus dem Wald sprang, verwandelte ich mich. Schnell rollte ich mich auf dem Boden ab und rannte dann gleich weiter zur Haustür.
Schwer atmend von dem mörderischen Sprint klingelte ich.

Ich betete zur Mondgöttin, dass ihre Eltern da waren. Jede Sekunde zählte.
Die Sekunden, bis die Tür geöffnet wurde, kamen mir so elend lange vor. Olivia war in Gefahr, verdammt nochmal. Ich musste ihr helfen.
Endlich wurde die Tür geöffnet. Olivias Mutter stand vor mir.

Überrascht sah sie mich an.
"Alessandro, was..."

Ich schnitt ihr das Wort ab.

"Wo ist Olivia?"

Verwirrt sah sie mich an.
"Noch in der Schule, bei der Leichtathletik-AG. Wieso?"

Doch ich hatte mich schon umgedreht und war losgerannt. Geradewegs in den Wald hinein. Als die Bäume mich verdeckten, verwandelte ich mich und raste los. Auf zur Schule.

Wieder legte ich mein schnellstes Tempo an den Tag. Innerhalb kürzester Zeit war ich in dem Waldgebiet nahe der Schule. Erst dort wurde ich langsamer und schnüffelte. Überall suchte ich nach Olivias Geruch.
Es fühlte sich an, als brauchte ich Stunden, bis ich eine Duftfahne von ihr wahrnahm, dabei konnten es nur Minuten gewesen sein.

Sorgsam folgte ich ihrem Duft, immer weiter und weiter. Plötzlich tauchte neben ihrem Duft noch der eines anderen auf. Eines anderen fremden Werwolfs. Wut kochte in mir hoch. Besonders, da ich jetzt auch Blut riechen konnte. Olivias Blut. Mörderische Ruhe überkam mich. Wenn ich diesen Werwolf fand, dann gnade ihm die Mondgöttin.

Ich wollte der Spur weiter folgen, doch ich musste innehalten. Denn von dieser Stelle aus führten zwei Spuren weiter. Eine gerade aus, die andere nach rechts, in den Wald hinein.
Beide rochen nach Olivia.

Kurz ging ich ein kleines Stück weit geradeaus und schnupperte. Dann ging ich wieder an die Stelle zurück und nach rechts, schnuppernd.
Hm, ihre Verfolger waren schlau gewesen. Aber nicht schlau genug.

Denn die eine Spur war ausnahmsweise Olivia. Und der Duft von jemand anderem. Nicht von dem des Angreifers.
Doch die andere Spur war die vom Angreifer und von Olivia. Aber nicht nur. Denn mein Geruch haftete auch an dieser Spur. Nur ganz leicht, kaum wahrnehmbar, aber auf jeden Fall da.
Denn wir hatten die ganze Nacht zusammen verbracht, eng umschlungen. Mein Geruch war noch nicht ganz verflogen.

Also folgte ich dieser Spur nach geradeaus.
Ich hielt auch meine anderen Sinne wach. Denn sollte mich jemand sehen, hatte ich ein großes Problem. Wer sah schon gerne einen Wolf auf dem Weg?

Zum Glück konnte ich niemanden entdecken.
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, dass ich dieser Spur folgte. Doch irgendwann kam ich bei einem Haus an. Aus dem Wald heraus betrachtete ich es.
Es war ein ganz normales Haus, zwei Stockwerke hoch und wohl mit einem Keller, denn es gab Kellerfenster und eine Tür nach unten.

Olivia war in diesem Haus. Ich spürte es. Und wenn ich mich nicht irrte, saß sie im Keller fest.
Dass Olivia so nah war, löste in mir den Drang aus, zu ihr zu gehen. Und zwar sofort.
Doch ich musste vorsichtig sein, denn wenn Olivia dort war, waren das auch ihre Entführer.

Ob in dem Haus wohl das ganze Rudel war? Wenn ja, brauchte ich Verstärkung. Ich konnte es vielleicht mit mehreren Werwölfen aufnehmen, aber nicht mit einem Dutzend.

Aber ich musste zu ihr. Ich spürte, dass es ihr schlecht ging. Mit jeder weiteren Sekunde. Ich musste sie retten.

Schnell sah ich mich um. Dort - ein Straßenschild. Perfekt.

Olivia wurde von einem fremden Rudel entführt und ist in Gefahr. Sie ist im Haus 13 der Hildegard-Straße. Ich werde sie retten. Kommt so schnell ihr könnt.

Kaum hatte ich das meinem Rudel mitgeteilt, stürmten auch schon ihre Antworten auf mich ein. Sie wollten mich von dieser Mission abhalten. Aber dafür war es zu spät. Ich hatte mich bereits entschieden. Ich würde sie keine Sekunde länger leiden lassen.
Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass ich hiermit keinen Fehler beging.

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*mia anima = meine Seele

I'm sorry, MateWhere stories live. Discover now