Lossagen

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Am nächsten Tag war es so weit. Meine Familie hatte nichts bemerkt. Weder meine überfürsorgliche Mutter, noch mein besorgter Vater, noch mein Bruder Stefan. Ich hatte es ihnen auch nicht erzählt. Wahrscheinlich hätten sie mich auch von meinem Vorhaben abhalten wollen.
Und auf eine weitere Diskussion hatte ich getrost verzichten können.

Zwar hatte die Schule wegen meines Schwänzens angerufen, aber dafür hatte ich eine Ausrede parat gehabt: ich hätte mich nicht wohl gefühlt.
Ich weiß, das war nicht unbedingt kreativ, aber damit hatte ich an Mamas Beschützerinstinkt appelliert.
Und sie somit erfolgreich abgelenkt, so dass sie keine weiteren Fragen stellte.

Auf dem Weg zur Schule ging ich nochmal unseren Plan durch. Eigentlich hing alles von Lisa ab.
Sie konnte es besser durchziehen als ich. Schließlich war sie nicht seine Mate.
Sie konnte sich konzentrieren, und würde sich nicht von seinen warmen braunen Augen ablenken lassen oder von diesen kunstvoll verwuschelten Haaren, in denen man am liebsten seine Hände vergraben wollte...

Plötzlich stolperte ich und konnte mich gerade noch fangen. Oh Mann. So weit war es schon gekommen. Er war nicht einmal in der Nähe und trotzdem lagen meine Gedanken ganz bei ihm.
Das musste ich unbedingt ändern. Sonst würde ich es noch bitterlich bereuen, mich von ihm losgesagt zu haben.

Aber vielleicht hatte ich Glück und dieses ganze Ich-kann-nur-noch-an-ihn-denken-Gedöns wurde mit dem Lossagen beendet.
Tatsächlich wusste ich nicht, wie sich die Lossagung anfühlen würde. Ob, und wenn ja, wie sehr ich es spüren würde.
Die Legende von der einen Frau, die sich von ihrem Mate losgesagt hatte, ist darauf nicht eingegangen.

Schon war ich an der Schule angelangt. Unauffällig schnupperte ich. Diesmal allerdings nicht nach Lisa, sondern nach meinem Mate. Puh. Glück gehabt. Er war noch nicht da.
So weit ich das feststellen konnte.
Schließlich war es nicht einfach, einen einzigen bestimmten Geruch aus so vielen herauszufiltern. Aber er war mein Mate. Ich musste ihn besonders stark wahrnehmen.

Also ging ich entspannt weiter.

Vor dem Schuleingang wartete Lisa auf mich. Sie sah angespannt aus. Oh nein. Hatte sie es sich etwa anders überlegt?
Als ich näher kam, konnte ich ihren Angstschweiß riechen. Angst? Ich runzelte die Stirn. Lisa hatte selten Angst.
Also, was war nur los?

"Olivia,", begrüßte sie mich. "Ich hab gerade herausgefunden, aus welchem Rudel sie sind."

"Und?", fragte ich sogleich neugierig nach.

Ängstlich sah Lisa mich an. Dann flüsterte sie:
"Das Bloodthirst. Sie sind aus dem Bloodthirst-Rudel."

Einen Moment lang konnte ich sie nur überrascht anstarren. Das Bloodthirst-Rudel? Das Rudel, das als das grausamste und blutrünstigste europaweit galt? Nicht nur deutschlandweit, sondern europaweit?
Das konnte doch nicht wahr sein, oder?

"Ich weiß nicht, ob das mit dem Lossagen jetzt noch so eine gute Idee ist. Vorher hatte ich ja schon meine Zweifel, aber jetzt....wer weiß, wie sie reagieren werden?"

Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe. Sie hatte Recht. Bei solchen Rudeln musste man Vorsicht walten lassen.
Zwar war ich mir sicher, dass mein Mate mir nichts antun würde. Ich meine, wir waren Mates.
Aber bei seinen Rudelmitgliedern war ich mir überhaupt nicht sicher.

Andererseits,....einer von ihnen war mein Seelenverwandter.
Da konnten sie mir wohl kaum was tun, oder?
Schließlich würden sie somit auch ihn verletzen...
Irgendwie klang ich selbst in meinen Gedanken nicht sehr überzeugt.
Doch ich musste es wagen. Ich musste ihn vor mir selbst beschützen. Dieser Wunsch brannte immer noch hell und klar in mir. Auch wenn mein Herz dabei nicht aufhören wollte zu schmerzen.

Entschlossen blickte ich Lisa an.
"Wir ziehen es durch. Er ist mein Mate. Er kann mir nichts tun. Und die anderen auch nicht."

Zweifelnd blickte Lisa zurück.
"Und da bist du dir ganz sicher?", fragte sie skeptisch.

War ich nicht. Plötzlich wurde mir klar, dass ich Lisa mit meinem Vorhaben in Gefahr brachte. Oh Mann. Das konnte ich ihr nicht antun.
Schließlich war er mein Mate. Und damit ganz allein meine Angelegenheit.

"Lisa, du musst das nicht tun. Ich hab ehrlich gesagt auch keine Ahnung, wie sie reagieren werden. Weißt du was, vergiss den Plan. Ich werde mich darum kümmern. Ich klaue ihm einfach seinen Perso."

Ja, das war wahrscheinlich am besten. So würde letztendlich nur ich die Konsequenzen tragen müssen.

Nun sah mich Lisa schuldbewusst an.
"Ich will dich aber auch nicht im Stich lassen, nur weil ich so feige bin.", gestand sie ehrlich.

Ich lächelte sie besänftigend an.
"Alles gut, Lisa. Mir wird schon nichts passieren."

Zögerlich nickte sie. Ich konnte sie verstehen. Mir war bei der ganzen Sache auch nicht wohl zumute. Aber ich würde es durchziehen müssen.

I'm sorry, MateWhere stories live. Discover now