Ghule zum anfassen!

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Vor der Haustür bleibe ich stehen. Sehe auf die Klinke. Presse meine Lippen aufeinander. Fuck... mache ich das wirklich? Wenn draußen Ghule rumlaufen, bin ich schnell Futter. Ich kann nicht schnell rennen. Geschweige denn lange! Kämpfen kann ich auch nicht. Nervös kratze ich mich an der Wange. Es juckt nicht. Aber es ist einer von vielen Automatismen. Tief atme ich ein und wieder aus. Ich schaffe das. Ich schaffe das! Ich muss einen Weg in meine Welt finden. Und jetzt ist nicht die Zeit, um zu trauern oder ein Schisser zu sein! Flo, du schaffst das schon! Geh da raus, finde jemanden, der dir helfen kann und dann ab nach Hause! Mir selbst Mut zuredend, stehe ich gute fünf Minuten vor der Tür, ehe ich meine Hand auf die Klinke lege und die Tür öffne. Aufmerksam sehe ich mich um. Das Haus scheint in einem Wald zu stehen. Ringsherum Bäume.

Langsam gehe ich raus und schließe die Tür hinter mir. Das Mondlicht reicht mir aus, um mich sehen zu lassen. Nichts. Keine Ghule. Sehr gut. Leise schleiche ich weiter und spüre einen stechenden Schmerz an meiner Fußsohle. Ein Fluchen verkneifend, sehe ich nach unten. Klar. Bei meinen Eltern war ich auch barfuß unterwegs. Und jetzt habe ich auch das an, was ich dort getragen habe. Somit auch keine Schuhe. Leicht mit dem Kopf schüttelnd, sehe ich mich wieder um. Darum kann ich mich später kümmern. Jetzt muss ich erst einmal hier weg! Laufen funktioniert nicht. Ich muss meine wenige Ausdauer für einen Notfall behalten. Und ich bin auch noch so faul und auffällig, sodass ich auf dem gekiesten Weg gehe. An das Pieken und Drücken an der Fußsohle gewöhne ich mich relativ schnell. Immer wieder sehe ich in den Wald, der durch das Blätterdach von dem Mondlicht abgedunkelt wird. Und ich mag das gar nicht, dass ich darin ein rot glühendes Augenpaar sehe.

Aber solange es nicht auf mich zukommt, ist alles- Wieso sage ich es auch noch?! Ich verschnellere nur ein wenig meine Schritte, als die Augen auf mich zukommen. Ignorieren. Es ist gar nicht da. Nein, da ist kein Ghul hinter mir. Das ist alles... Das ist alles Einbildung. Verdrängung scheint bei mir ein interessanter Mechanismus zu sein. Wirksam. Ein kurzes Knurren hinter mir und ich kann nicht anders, als mich umzudrehen. Somit bleibe ich auch stehen und starre in die roten Augen des Ghuls. Meine Augen sind riesen groß. Das wars. Ich komme nicht gegen ihn an. Die spitzen Zähne des Ghuls blitzen im Mondlicht auf. Das Knurren wird lauter. Intensiver. Ich spüre die Vibration in meinem eigenen Körper! Es ist sichtbar, dass ich zittere. Mein gesamter Körper. Angst. Panik. Ist das Todesangst? Wow... Ich wollte es nie wirklich spüren, aber jetzt habe ich es. Langsam beugt sich der Ghul nach vorn. Ein Schauer läuft meinen Rücken hinunter. Ich höre, wie er an mir schnuppert. Das war ein kurzes Leben in diesem Anime. Wirklich kurz! Respekt!

Komplett perplex beobachte ich, wie der Ghul sich aufrichtet, sich abwendet und langsam in den Wald zurück kehrt. Mein Mund ist offen und ich starre ihm hinterher. Sollte... Sollte er mich nicht... ich weiß nicht. TÖTEN?! Und meine Neugierde übertüncht die Panik. Ein wenig unvorsichtig, folge ich dem Ghul. Dieser sieht zwar zu mir, greift mich aber nicht an. Bin ich einer von ihnen? Denkt er, dass ich tot bin? Wow... sehe ich schon so scheiße aus...? Aber egal. Vielleicht führt er mich ja irgendwo hin. Könnte es eine Falle sein? Vielleicht. Aber ich weiß nicht, ob es so ist, wenn ich es nicht austeste. Schon immer bestand mein Leben aus relativ irrationalen Entscheidungen. Spontan. Geplant ist eigentlich ziemlich wenig. Auch deswegen, weil ich meine Klappe nicht halten kann und meistens meine Zunge schneller ist, als meine Hirnsynapsen. Und die haben schon einen ordentlichen Speed drauf, wenn man das so sagen kann.

In einiger Entfernung kann ich etwas erkennen, was sich als Lichtung entpuppt. Froh, nicht mehr nur schemenhafte Umrisse zu erkennen, sondern vollständig alles zu sehen, atme ich auf. Der Ghul betritt die Lichtung, auf der sich auch viele andere befinden. Unsicher, bleibe ich am Waldrand stehen. Und auch hier findet dieses Phänomen statt. Man sieht mich. Aber ich werde ignoriert. Die einzige Erklärung hierzu ist, dass ich aus einer anderen Welt komme. Aber... warum werde ich von den Ghulen ignoriert? Und was veranlasst sie, sich hier zu versammeln? Auf der Lichtung, vielleicht ein Durchmesser von 50 Metern, tummeln sich gefühlt hunderte von den Leuten, die keine Jungfrau mehr waren, als sie gebissen wurden. Oder es war das gleiche Geschlecht. Mein Blick geht über die Masse. Aber nichts, was mir jetzt ins Auge springen würde. Ghule haben normalerweise einen Leitvampir. Wo ist der? Hat er sie hier angewiesen, zu warten?

Der Zwiespalt in mir ist riesen groß. Einerseits habe ich die Neugierde, die austesten will, ob mich wirklich alle Ghule leben lassen würden. Andererseits habe ich die Angst, dass das nicht der Fall ist und, dass sich der Leitvampir blicken lässt und mich kurzerhand zu einem Ghul macht. Obwohl... ich würde ein Vampir werden. Das ist es ja. Jungfrau und so. Ich hasse mich selbst. Denn meine Neugierde bringt mich um, wenn es der Leitvampir nicht tut! Ein letztes Mal sehe ich mich um. Und auch in den Himmel. Vielleicht ist er da oben! Aber nichts. Also betrete ich die Lichtung und gehe langsam auf die Masse zu. Bleibe kurz vor einem der Ghule stehen. Eine Frau. Sie wirkt schon älter. Der Geifer tropft aus dem Mund. Die Augen glühen rot. Zwar sieht sie mich, aber lässt mich in Ruhe. Mit immer mehr Mut gehe ich auch immer weiter in die Masse rein. Überall um mich herum sind Ghule. Sie knurren nicht. Sie fauchen nicht. Sie greifen nicht an. Wahnsinn!

Mitten drin bleibe ich stehen. Hier stehe ich. Seite an Seite mit Ghulen, die eigentlich töten würden. Zögerlich hebe ich eine Hand und lege sie auf den Oberarm von einem der Wesen. Ein kurzer Blick. Dann werde ich schon wieder ignoriert. Wow. Ich kann sie sogar anfassen! Seufzend lasse ich die Hand wieder sinken. Aber was bringt mir das? Ich komme dadurch nicht zurück. Klar, ich werde von ihnen nicht getötet. Super. Aber es bringt mich nicht weiter. Ein Lachen ertönt. Die Ghule und ich strecken unsere Köpfe in die Richtung und ich muss mich strecken, um etwas zu sehen. Die Größte bin ich nicht. "Wie konnte ein einfacher Mensch unter meinen Ghulen sein und noch leben? Na los! Bringt sie um! Sie ist leichte Beute!", ruft das Weib und ich versteife mich automatisch. Das ist die Leitdraculina. Und ich bin mächtig am Arsch! Ich fühle mich immer unwohler, als sich die Köpfe langsam zu mir drehen. Die Augen starren mich an. Mit der Zunge schnalzend, nicke ich. "Fuck..."

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt