Blutige Wahrheit

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Skeptisch mustere ich ihn. "Das ist unheimlich, wenn du die Wahrheit sagst.", murmle ich, lasse ihn aber immer noch nicht los. Genervt schnalzt er mit der Zunge und verzieht das Gesicht. "Irgendwas ist in deinem Blut, das wie ein beschissenes Wahrheitsserum wirkt." Und wirklich glücklich ist er nicht darüber. "So kannst du nicht zu Lady Integra, wenn sie dich ruft. Oder zu Seras. Zumindest, wenn du deine Integrität behalten willst." Schuldbewusst lasse ich meinen Kopf immer weiter an seinem Rücken verschwinden, bis nichts mehr von meinem Gesicht zu sehen ist. "Sorry... ich wusste das nicht." Ein Seufzen. "Du musst dich für nichts entschuldigen." Trotzdem zucke ich zusammen. Ihn nur noch die Wahrheit sagen zu hören... nein, danke! "Ich sperre mich in meinem Keller ein und komme erst wieder raus, wenn alles vorbei ist!", mault er entgeistert und starrt nach vorn.

Langsam hebe ich meinen Kopf wieder auf seine Schulter. "Alucard... wie willst du überprüfen, ob du die Wahrheit sagst, wenn dich niemand etwas fragen kann?" In Zeitlupe sieht er mich an. Erst bin ich ein wenig überfordert, wieso ich jetzt als Opfer für seine schlechte Laune ausgesucht werde! Doch dann fällt mir etwas ein. "Du bleibst bei mir. In meinem Zimmer. Ich kann dich immer etwas fragen und-" "Nein. Du musst schlafen! Du brauchst das." Die Sorge von Alucard ist ja schön und gut. Nur ist es erstens scheiße, das erst über ein Wahrheitsserum zu erfahren und zweitens bringt das nichts! "Alucard. Hör mir zu. Ich schaff die paar Stunden schon, in Ordnung? Es wäre nicht meine erste Nacht, die ich durchgemacht habe." Der schwarzhaarige sieht vor sich auf den Boden. "Ich weiß." Fragend runzle ich die Stirn. "Du weißt das? Woher?" Sofort hebt er den Kopf, als wäre er ein Wachhund, der etwas gehört hat. "Weil ich dich schon die ganze Zeit beobachte."

Die nun herrschende Stille ist mehr als unangenehm. "Können wir uns darauf einigen, dass du das nie gehört hast?", brummt er entgeistert, während ich nicht so wirklich weiß, was ich damit anfangen soll. "Wir... Wir können nie wieder darüber reden! Aber vergessen kann ich das nicht." Das klang zu süß. Leicht senke ich meinen Kopf und kann mir ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. "Gut genug." Immer noch knie ich hinter ihm. Der rechte Arm hängt über seiner rechten Schulter. Der linke geht an seinem linken Oberarm vorbei und hängt über seinem Unterarm. Mein Kopf auf seiner linken Schulter. "Ich hab Hunger. Du gehst schon mal in mein Zimmer und ich in die Küche. Dann kann ich die Tasse auch gleich zurück bringen und du kommst nicht in Gefahr, von jemandem ausgequetscht zu werden. Wie klingt das?" Die roten Augen gehen zu mir. "Scheiße. Ich komm mit." Ob das jetzt wirklich er selbst war, oder ob dass das Wahrheitsserum ist, kann ich nicht sagen. Dennoch nicke ich und richte mich auf. "Na gut. Dann los."

Während wir gehen, habe ich immer noch den einen Ohrstöpsel im Ohr und höre weiterhin nur noch das eine Lied. Wieder ein kleines Ziepen. Ein wenig vorwurfsvoll blicke ich zu dem Urvampir hoch, der stumm neben mir her geht. "Bist du schon wieder in meinem Kopf...?" Kein Blickkontakt, aber ein zustimmendes Brummen. "Brauchst du eine Information? Irgendwas, was ich dir noch nicht gesagt habe?" Diesmal verneinend brummend, wird das ein kleines Rätsel für mich. Für was denn sonst...? Dann fällt mir die Musik wieder ein. "Willst du das Lied hören?", frage ich und seine Augen gehen nun doch zu mir. "Aber nicht das. Das andere." Welches andere? Ich habe verdammt viele Lieder auf dem Handy! Plötzlich summt er ein paar Takte. Ich schalte dieses Lied ab und höre ihm zu. Versuche, den Beat in ein Lied zu bekommen. Endlich fällt es mir ein und ich suche es auf dem Handy. "Wo bist du... Wo bist du..." Schon fast fieberhaft scrolle ich herum. H... H... H... Ist ja bei mir alles in alphabetischer Reihenfolge.

Grinsend, weil ich es gefunden habe, schalte ich es ein und lasse es laufen. Fast Augenblicklich gehen meine eigenen Mundwinkel hoch und ich singe leise mit. Und etwas passiert, was ich selten in den letzten Monaten beobachten konnte. Alucard lächelt mal so richtig. Er sieht nicht mehr so aus, als könnte er ganze Zivilisationen ausrotten. Hunderte, wenn nicht sogar tausende Menschen und Wesen gleichzeitig umbringen! Er sieht so aus, als wäre er ein Mensch. Da 'Hometown Smile' einfach englisch ist, versteht Alucard es, ohne dass man es übersetzen müsste. Ich habe einfach nur eine verdammt gute Laune, obwohl ich ein wenig müde bin. Trotzdem werde ich wach bleiben, um Alucard helfen zu können. An sich bin ich an dem Schlamassel schuld und muss ihm dabei helfen. Es liegt einfach in meiner Verantwortung. Obwohl es mitten in der Nacht ist, ist das Licht überall an. Ob Alucard sich wohl darum kümmert?

Die Tasse spüle ich in der Küche ab und mache mir ein Wurstbrot, während das Lied immer weiter läuft. Auch, wenn ich es zum x tausendsten Mal gerade höre, macht es immer noch gute Laune. Nachdem der Magen gefüllt ist, gehen wir auch wieder zu zweit zurück in mein Zimmer, wobei ich noch kurz ins Bad verschwinde. Ein paar Dinge müssen gewechselt werden und ich muss eh aufs Klo. Noch die Hände trocknend und frisch, kehre ich in das Zimmer zurück, sperre ab und ziehe die Schuhe aus. "Alu? Einmal bitte Schuhe aus!", rufe ich ihm zu. Zwar verdreht er die Augen tut aber wie geheißen und stellt sie neben meine Schuhe. "Kann es sein, dass wir die gleiche Schuhgröße haben?", fragt er ein wenig überrascht und ich sehe unsere Schuhe an, während ich das Lied ausschalte und die Kopfhörer mitsamt dem Handy in der Jackentasche verschwinden lasse. "Huh... sieht so aus."

Ein musternder Blick. "Wie. Du... bist um einiges kleiner." Schulterzuckend sehe ich zu ihm hoch. "Soweit ich weiß, dürftest du 1,98 Meter sein. Ich bin 1,68 Meter. Das sind 30 Zentimeter Unterschied. Wenn ich jetzt n Kerl wäre würde ich sagen, dass ich die anderen 30 Zentimeter woanders hin gepackt habe aber... Ich bin keiner und ich habe keinen Penis. Aber ich hatte schon immer riesige Füße. Muss beim Schuhkauf immer bei den Männern gucken, weil die Frauen da nichts in meiner Größe haben. Ist halt so." Ich gehe an Alucard vorbei und setze mich auf mein Bett. "Aber jetzt mal ganz ehrlich. Als große Frau hast du es schwieriger im Leben, oder nicht? Jeder will eine kleine und-" "Alucard. Wenn du nicht einmal an die beschissenen oberen Fächer eines scheiße Regals rankommst ohne gefühlt den Mount Everest besteigen zu müssen, dann hat das so seine Nachteile!", unterbreche ich ihn leicht genervt, weil das schon immer nervig war. "Und wenn du niemanden hast, der dir das runterholen kann, dann geht dir das irgendwann auf den Keks, glaub mir."

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt