Waldspaziergang

112 8 0
                                    

Schlussendlich nächtigen wir in einem bereits bewohnten Haus. Nur, dass Alucard alle gedanklich so manipuliert hat, uns dort schlafen zu lassen. Es tut mir für sie so leid. Später werden das die Eltern für einen der besten Freunde meines kleinen Bruders werden. Später einmal. Aber jetzt brauchen wir das hier. Am nächsten Tag zwingt Alucard sie sogar dazu, mir etwas zu frühstücken zu geben und packt noch zwei Flaschen Apfelschorle ein. Ich liebe diesen Kerl ja. Aber dass er gleich so etwas machen muss? Ich will mich einfach nur schnell vom Acker machen. Seras scheint sich auch unwohl zu fühlen und mir fällt auf, dass er wohl doch den ein oder anderen Brocken deutsch kann, wenn seine Manipulation funktioniert. Oder sie funktioniert ohne direkte Sprache. Wie genau das abläuft, weiß ich nicht. Ist ja im Moment aber nicht mein größtes Problem.

Wieder gehen wir an dem Gartenzaun meines Elternhauses vorbei. Jedoch scheinen sie nicht draußen zu sein. Offensichtlich. Obwohl ich sie eigentlich immer wach gehalten habe. An sich habe ich die ersten zwei Jahre meines Lebens ungefähr so viel geschlafen wie... hm... was schläft eigentlich nicht? Egal. Auf jeden Fall bin ich immer noch überrascht, dass ich diese Zeit überlebt habe. Wie das meine Eltern geschafft haben, ist mir bis heute jedoch schleierhaft. Der erste Schritt in den kleinen Wald und schon verstummen einige Vögel. Fliegen weg. Laub raschelt aufgrund kleiner Tierchen, die sich in Sicherheit bringen. War es auch schon so schlimm, als wir hier her sind? Vampire scheinen ja eine riesengroße Gefahr zu sein, wenn hier eigentlich jeder fast ausflippt, wenn so jemand in der Nähe ist. Wobei ich es durchaus verstehen kann! Vampire sind Räuber. Und vor Räubern schützt man sich eben so gut es geht. Und wenn es nur die Flucht ist, die man ergreifen kann.

Durch das kleine Wäldchen durch und ab in den großen Hauptwald, der eigentlich nur von einer Straße durchbrochen wird, sodass man nicht um den Wald herumfahren muss, wenn man in die nächste Stadt will. Es ist unheimlich, in der Nacht dort hindurch zu fahren. "Also. Wo willst du hin?", fragt der Urvampir und ich deute an, mir zu folgen. Ich kenne den Wald hier. Wie oft bin ich hier einfach nur herumgelaufen und habe so getan, als würden freundliche Baumgeister mit mir reden? Als wären hier Geister? Viel zu oft. Wieder gehen wir einen Weg hoch. Dieser ist eben so steil wie der Ausdauerhügel, den wir beim Training immer hatten. Oben angekommen ist es mir schon fast peinlich zu schnaufen, als wäre ich eine Dampflok. Aber was solls. Ein kurzer Blick nach rechts, ehe ich mich nach links wende. Wir wechseln von Waldboden auf Kiesstraße. Dieser knirscht unter meinen Schuhen. Bei jedem Schritt.

Stundenlang durchqueren wir den Wald nach meinem Muster. Ich habe in meinem Kopf immerhin die Aufteilung der Wege, die sich durch den Wald schlängeln. Egal, ob diese offiziell sind und mit Kies einigermaßen befestigt wurden, oder ob es nur kleinere Wege sind. Trampelpfade. Oder Wege, auf denen Wägen und Traktoren entlang gefahren sind. Die Luft ist kalt. Ein wenig feucht. Ich packe schon die zweite Flasche Apfelschorle an und bedanke mich innerlich immer wieder bei Alucard, dass er das doch mitgenommen hat. Wir kommen an einem Zaun vorbei. Nichts Ungewöhnliches. Das kleine Häuschen steht hier schon Ewigkeiten. Ich würde behaupten, dass es irgendetwas mit Strom zu tun hat. Aber da es umzäunt ist, bin ich nie rein. Hin und wieder war ich ein braves Kind. Nicht oft, aber hin und wieder. Und ich wusste, dass ich da nicht rein durfte. Zäune haben mich sonst nie wirklich aufgehalten. Dennoch hat mich immer eine leise Stimme aufgehalten, diesen kleinen Ort zu erkunden.

Ein wenig gelangweilt wende ich den Blick wieder ab und sehe weiter durch den Wald. Irgendetwas muss doch auffällig sein! Irgendetwas! Man schickt uns nicht umsonst hier her. Und vor allem schickt man mich nicht einfach so mit. Ich will kein Versager sein. Ich will helfen! Nützlich sein! Und das bin ich eben erst, wenn ich mich als nützlich erwiesen habe. Also muss ich etwas finden. Irgendetwas, was hier nicht rein passt. Irgendetwas, dass- Warte. Abrupt bleibe ich stehen. Alucard, der hinter mir her gegangen ist, tut dies ebenfalls und kann gerade noch so verhindern, dass er in mich läuft. Seras geht noch zwei Schritte, ehe sie stoppt. "Wehe du bist im Weg stehen geblieben, weil du wieder aufs Klo musst.", knurrt der schwarzhaarige leicht genervt und ich schüttle den Kopf. Ignoriere den Kommentar. Ja, vorher musste ich aufs Klo. Ich bin eben die einzige mit einem funktionierendem Stoffwechsel! Noch zumindest.

Meine volle Aufmerksamkeit ist auf das Haus gerichtet, welches umzäunt ist. Irgendetwas stimmt nicht ganz. Aber was? Ein kurzes umsehen reicht und ich finde einen Ort, an dem ich über den Zaun komme. Oder besser gesagt kann ich dort über den Zaun springen. Schnell laufe ich dort hin, klettere auf den einen Baumstumpf und dann auf einen relativ breiten Ast, der über dem Zaun hängt. Meine Welt ist gerade falsch herum, da ich nach unten hänge und vorsichtig nach vorn klettere. Blätter fallen auf den Boden. Aber der Ast biegt sich nicht. Er hält Bombenfest. Trotz meines Gewichtes! Ich lasse den Ast mit den Beinen los, als ich über den Zaun hinweg bin. Leicht schwingend hänge ich an dem Ast und lasse komplett los. Ich muss tief in die Knie gehen, um den Fall abzumindern, aber es geht. Ein kurzer Blick zu den Vampiren.

Unbeeindruckt gehen die beide durch den Zaun durch. "Gut zu wissen, dass du so etwas könntest.", meint Alucard und lächelt ein wenig schadenfroh. Ja, ich hätte es nicht tun müssen. Aber ich habe nicht daran gedacht. Mein Fehler. "Früher bin ich viel auf Bäumen herum geklettert. So etwas verlernt man nicht.", erwidere ich nur und wende mich dem Haus zu. Man lässt den Fakt, dass ich sie an sich falsch geführt habe, zum Glück außer acht. Alucard jedoch hält mich zurück. Fragend sehe ich ihn an. Seine Augen werden schmal, als er auf das Häuschen sieht. Seras wirkt ebenfalls ein wenig beunruhigt. Was ist hier los? Der schwarzhaarige lässt mich los und geht noch einmal durch den Zaun nach draußen. Kommt aber gleich wieder zu uns. "Man riecht, dass hier etwas nicht stimmt. Aber erst, wenn man hier drin ist.", meint er und ich nicke. "Kann man noch über Gedanken kommunizieren?" Stille. Fragend sehe ich zwischen Seras und ihm hin und her, ehe zwei Mal Kopfschütteln kommt. Ganz geil. Auch, wenn wir nichts sehen können, können wir uns sicher sein, dass hier das Versteck dieser Organisation sein soll. Alucard geht als erstes. Ich hinter ihm her und Seras zum Schluss, sodass sie dort verteidigen könnte, sollte etwas passieren.

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt