Endgültige Entscheidung

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In meinem Zimmer angekommen, schließe ich die Tür hinter mir, ziehe Schuhe und Jacke aus, hole aus meinem neuen Kühlschrank ein Bier, setze mich auf das Bett und schalte YouTube ein. Was für ein geiler Geburtstag. Offiziell bin ich vor einigen Stunden geboren worden. Inoffiziell bin ich jetzt 22 Jahre und bin immer noch die kleine und naive blauhaarige, die vor einem dreiviertel Jahr hier ungewollt beschworen wurde. "Happy Birthday to me...", murmle ich und trinke den Alkohol in großen Schlucken, ehe ich absetze. Die halbe Flasche ist weg. Auf YouTube schalte ich einfach das erste Happy Birthday Lied ein und lasse es laufen. Irgendwie muntert es mich ein wenig auf, zieht mich aber gleichzeitig runter. Denn ich weiß, dass meine Familie jetzt gerade an mich denkt. Meine Freunde werden vielleicht heute auch an mich denken. Hier habe ich niemandem meinen Geburtstag verraten. Niemand weiß ihn und es ist auch gut so.

Nach ein paar Stunden, es ist ungefähr sieben oder acht Uhr abends, klopft es an der Tür. Ich sehe von der Flasche auf und zur Tür. Nein, es ist nicht die gleiche Flasche. Sieben andere stehen auf dem Schreibtisch. Leer. Nummer Acht ist in meiner Hand. "Was ist.", brumme ich entgeistert. Betrunken bin ich noch lange nicht. Ist nur Bier und ich trinke nicht durcheinander. Außerdem ist das Bier hier in England Wasser. Auch, wenn ich vielleicht gerade bei der achten Flasche bin, kann man den Alkoholgehalt von drei bis vier deutschen Bieren hier als Maßangabe sehen. Mehr schon nicht. Die Tür geht auf und Pip kommt rein. Sieht mich. Sieht die Flaschen. Hört das Lied, welches auf Dauerschleife läuft. Und er zählt eins und eins zusammen. "Du hast... Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?! Ich dachte, wir sagen uns alles!", ruft er entsetzt und kommt zu mir. "Steh auf." Ich blicke ihn nur von unten an. "Steh auf. Hopp. Beweg deinen Arsch."

Mit einem Augenverdrehen tue ich, wie er meinte und schon werde ich umarmt. "Alles gute zum Geburtstag, meine kleine!", flüstert er und drückt mich an sich. Anfangs bin ich relativ skeptisch, erwidere aber die Umarmung schlussendlich und lächle sogar leicht. "Und dann trinkst du ohne mich? Warte." Er lässt mich los und geht zur Tür. "Ich hol die Männer und den Alkohol! Und DU sorgst für gute Musik. Gib mir 10 Minuten." Und zack, schon ist er weg. Oha. Kopfschüttelnd nehme ich mein Handy und probiere, ob ich Spotify abspielen kann. Funktioniert nicht. Shit. Gut, dann muss ich eine Playlist von YouTube holen. Was würden die Männer hören wollen? Hm... Eher was Altes? Aber mit ein bisschen Rock. Vielleicht ein wenig Bass? Rap sicherlich nicht. Glaube ich. So schätze ich sie nicht ein. Ich kann nur froh sein, dass ich keine Schlager hören muss. Ich krieg davon wahrscheinlich Ohrenkrebs. Eher Männerstimmen, oder eher Frauenstimmen? Schwierige Entscheidung! Ich wäre kein guter DJ.

"Was haben meine Ohren vernommen. Du wirst alt?" Langsam sehe ich auf und blicke einen kleinen Teil des Grundes an, wieso ich trinke. "Älter als du sicherlich nicht. Aber ja. Offiziell bin ich ja erst geboren worden.", brumme ich und sehe auf das Handy. "Inoffiziell habe ich Geburtstag. Und jetzt?" Die Playlist ist nichts... die ist auch scheiße. Die auch. Zu viel Neuartiges. Ich brauche eine reine 90er Playlist! "Und du hast nicht einmal daran gedacht, uns dahingehend irgendwie Bescheid zu geben?", fragt Alucard und stellt sich schräg vor mich. "Hab ich. Hab mich nur dagegen entschieden.", erwidere ich leise und scrolle weiter runter, ehe ich eine Playlist finde, die passen könnte. Immer noch steht er direkt vor mir und seufzend lege ich meinen Kopf in den Nacken. "Wenn du etwas sagen willst, mach es schnell. Pip hat gemeint, dass er nur zehn Minuten braucht, um Alkohol und die Männer zu holen. Bedeutet du hast noch." Ein kurzer Blick auf die Handyuhr, ehe ich wieder zu ihm sehe. "Acht Minuten, bevor hier eine Party steigt, die ich eigentlich verhindern wollte. Also?"

Eiskalt beugt sich Alucard zu mir hinunter. "Happy Birthday, Flo.", flüstert er, hebt mein Kinn mit einem Finger und legt seine Lippen auf meine. Überrascht reiße ich nur die Augen auf und sehe ihm dabei zu, wie er sich wieder aufrichtet. Seine Zunge fährt über seine Lippen, während er leicht lächelt. "Aber ich sollte wohl gehen. Immerhin scheint noch eine Party zu steigen." Er dreht sich um und instinktiv greife ich nach seinem Ärmel! Weiß aber nicht, was ich sagen soll, als ich ihn erwische und der Vampir somit stehen bleibt. Zögerlich lasse ich ihn los. "Du... Du kannst bleiben, wenn du willst.", murmle ich leise und sehe auf die Seite. Mein Gesicht ist wahrscheinlich dunkelrot. Alles in mir schreit, dass er da bleiben soll! Aber ich kann ihn nicht zwingen und bitten werde ich ihn auch nicht. Da spricht mein Stolz dagegen, den ich noch habe. Auch, wenn das nicht mehr allzu viel ist. Aber er ist noch vorhanden! "Wenn sich das Geburtstagskind das wünscht." Ohne ihn anzusehen, nicke ich. In was habe ich mich da rein gebracht?

Pip und die Männer sind ein wenig überrascht, dass Alucard mit von der Partie ist. Sind aber nicht negativ dazu eingestellt. Im Gegenteil! Sie scheinen ein wenig aufzutauen und ich kann beobachten, wie sie Alucard immer wieder versuchen, mit Fragen aus der Reserve zu locken. "Alles gute zum Geburtstag.", meint Pip noch einmal und ich stoße mit ihm an. Die Bierflaschen klirren und wir trinken einen Schluck. "Wieso hast du uns nie gesagt, wann du Geburtstag hattest?", fragt er und ich lehne mich gegen die Wand. Beobachte die Söldner, die am Boden Karten spielen und Alucard immer wieder spielerisch mit hinein ziehen, während er es sich gefallen lässt. "Ich dachte, dass ich wieder in meine Welt käme.", erwidere ich und trinke einen weiteren Schluck. Sehe auf die Bierflasche und dann zu Pip. "Wenn ich euch gesagt hätte, wann ich Geburtstag habe und dann wäre ich wieder weg..."

Schulterzuckend lächle ich leicht. "So etwas ist persönlich. Wenn du von jemandem den Geburtstag weißt, dann ist das ein Datum, dass man sich normalerweise irgendwo in den Kalender einträgt oder sich merkt. Und ich dachte mir, dass ich so wenig Präsenz wie möglich zeigen sollte, wenn ich eh wieder verschwinde. Dann ist es für euch nicht so schwierig, mich wieder zu vergessen. Deswegen habe ich mich generell mit allem zurück gehalten. Aber es gab keine einzige Nachricht in der Hinsicht, obwohl man nach einem Weg zurück gesucht hat. Von dem her..." Ich sehe wieder zu den Männern, die sich wegen einem verlorenen Spiel gerade fast an die Gurgel gehen, ehe sie lachend auseinander gehen. Pip merkt schnell, worauf ich hinaus will. "Du bleibst hier? Bei uns?", fragt er und ich kann Hoffnung in seiner Stimme hören. Schnaubend lächle ich und nehme einen weiteren Schluck des Bieres. "Ich muss nur noch die Lady fragen."

Trotz aller Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen ist mir klar geworden, dass ich das Beste aus meinen Fähigkeiten machen kann, wenn ich hier bleibe. Ich werde meine Familie und meine Freunde nie vergessen. Die Leute, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin! Aber ich kann nicht auf der Stelle treten. Und hier habe ich meine zweite Familie. Hier fühle ich mich wohl. Sicher. Geborgen. Als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, geht plötzlich die Musik aus. Überrascht sehe ich zu meinem Handy und stoße mich von der Wand ab. Gehe zum Schreibtisch, stelle das Bier ab und nehme es in die Hand. Eine gespenstische Stille herrscht. Das Handy reagiert nicht mehr. Es lässt sich nicht mehr einschalten. Es ist tot. Obwohl es in dem dreiviertel Jahr ohne Ladung kein einziges Prozent verloren hat, scheint es nun leer gesaugt zu sein. Ein Mundwinkel geht hoch. Das Handy hielt so lange, wie ich die Entscheidung hatte, nach Hause zu wollen. Nun bin ich komplett in dieser Welt. Keine Verbindung mehr zu meiner alten. Mit einem entschuldigenden Lächeln drehe ich mich um. "Sorry, Leute. Musik ist nicht mehr möglich. Akku leer!" Doch es werden nur die Schultern gezuckt, ehe es weiter geht. Ohne Musik. Pip und ich sehen uns an. Er sieht auf das Handy. Dann zu mir. Ich nicke. Das wars.

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt