Hometown smile

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"Du lebst dich hier eindeutig zu schnell ein." Langsam hebe ich meinen Kopf und blicke Alucard in die roten Augen. Anstatt zu antworten, hebe ich nur die Kaffeetasse. "Auch Kaffee? Ich kann dir schnell einen machen." Verneinend schüttelt er nur den Kopf und setzt sich gegenüber von mir hin. Für ein paar Augenblicke kann ich noch in der Zeitung lesen und den Rest des schwarzen Goldes trinken, ehe ich seufzend wieder aufsehe. "Spuck's aus. Was ist los. Willst du dich über etwas auskotzen? Habe ich wieder was falsch gemacht? Werde ich rausgeschmissen?" Schnaubend richtet sich der Urvampir auf und verzieht entgeistert das Gesicht. "Du gehst ja gleich vom schlimmsten aus, Missy." Dann zeigt sich ein Schmunzeln und er lehnt sich wieder nach vorn, stützt sich dabei auf dem Tisch ab. "Habe ich so einen schlechten Ruf?" Ein kurzer Blick auf die Seite. Was passiert, wenn ich jetzt ja sage?

Brummend lehnt er sich wieder nach hinten, während ich wieder zu ihm sehe. "Nichts.", meint der schwarzhaarige und nimmt die Brille ab. Legt sie zusammen und auf den Tisch. "Immerhin stehst du unter Lady Integras Schutz. Noch." Mit einem Nicken stimme ich zu, blicke aber weiterhin direkt zu ihm. "Also dann. Was ist los?" Alucard lässt sich mit dem Antworten überraschend lange Zeit. Irgendwie bekomme ich ein komisches Gefühl, warte aber. Er ist ein alter Mann. Den sollte man nicht hetzen. Bei dem Gedanken muss ich Grinsen und bekomme gleichzeitig einen bösen Blick. Doch schnell wird er wieder ernst und auch mein Grinsen verschwindet. Eher bin ich neugierig. "Wie..." Er stoppt und runzelt die Stirn. "Wie ist deine Welt?" Also jetzt bin ich platt. ER fragt nach meiner Welt? Habe ich die Auferstehung von Jesus übersehen? Wird bald der Weltuntergang kommen? Sind Aliens gelandet? Ach du heilige Scheiße...

Mich räuspernd, lege ich den Kopf schief. "Meine Welt... Hm. Wie erkläre ich das am besten?" Nachdenklich lehne ich mich nach hinten. "Sie... ist wie die hier. Nur irgendwie... in der Zukunft! Ich komme aus dem Jahr 2020. Höllenjahr, kann ich dir sagen. Waldbrände in Australien, Tode von guten Leuten. Eine Pandemie. Scheiße, kann ich dir sagen. Aber wie gesagt, eigentlich die Zukunft. Ich bin in dem Jahr geboren, in welchem ihr- WIR gerade stecken. Wir haben keine übernatürlichen Wesen. Zumindest, was mein Wissen angeht. Man weiß ja nie! Ehm... was wäre noch wissenswert..." "Und du?" Noch überraschter, runzle ich die Stirn. "Was ist mit mir?" Darauf antwortet er aber nicht mehr. "Meinst du... was ich bisher gemacht habe, oder wie? Beruflich?" Schulterzuckend lässt er mich nicht aus den Augen. "Zum Beispiel. Du hast etwas erwähnt, glaube ich. Aber ich bin alt. Ich vergesse eben so manche Dinge." Uns beiden gehen die Mundwinkel kurz hoch. "Ich bin medizinische Fachangestellte. Früher hieß das Arzthelferin. Ich arbeite eigentlich in einem Krankenhaus und helfe da beim Arztbriefschreiben, oder bei Untersuchungen."

Nun wirkt er interessiert. "Eine kleine Medizinerin. Durchaus nützlich." Abwehrend hebe ich die Hände und schüttle den Kopf. "Vergiss es! Ich bin erstens noch in meiner Ausbildung und zweitens habe ich keine Ahnung, wie ich größere Wunden richtig behandeln sollte! Ich habe nicht so wirklich die Ahnung von Operationen oder sowas. Hier wäre ich nur für kleinere Dinge zuständig!" Entschuldigend lächle ich. "Ich kann Nachsorgen machen. Fäden oder Klammern ziehen. Verbände machen. Vielleicht noch Verbrennungen und Verätzungen! Außerdem braucht das alles gewisse Utensilien. Ich kenn die bloß auf Deutsch und hab keine Ahnung, wie das im englischen heißt! Außerdem-" Ich stocke. Aus der Neugierde wurde zuerst leichte Enttäuschung und nun auch Skepsis. "Was...? Was ist los?" Habe ich was Falsches gesagt? Ist es deswegen, weil ich nicht so viel kann? Klick. "Weil ich aus Deutschland bin?" Erleichtert seufze ich ein wenig auf. "Und ich dachte schon, weil ich komplett nutzlos bin!"

Abwinkend lächle ich. "Keine Sorge. Deutschland ist strikt gegen Nazis. Wir haben aus unserer Vergangenheit gelernt und so jemand wie der Major existiert nicht. Unsere Wirtschaft ist super! Wir sind ein großes Exportland und 'Made in Germany' steht für gute Qualität! Zumindest meistens. Die Weltkriege kauen wir bei jeder verdammten Geschichtsstunde durch und uns werden die Folgen deutlich gemacht. Das Schulsystem ist darauf bedacht, jeden über den Scheiß aufzuklären, der in der Vergangenheit passiert ist. Wir können nicht verhindern, dass wir Nazis bei uns im Land haben. Können wir leider wirklich nicht. Aber so etwas wie damals wird nie wieder passieren. Ich hasse Nazis mindestens genau so sehr, wie du." Amüsiert schnaubend nicke ich. "Und es war meine Vergangenheit, Alucard. Es waren meine Vorfahren. Also beruhig dich wieder, in Ordnung?" Ich strecke meine Hand über den Tisch und halte sie ihm hin. "Sollte ich mit meinem Hass gegen die Verbrechen der Nazis lügen, darfst du mich umbringen. Und sieh dich gern in meinem Schädel dazu um."

Doch meine Hand lässt er einfach sein. Scheint sich gerade zu konzentrieren und ich habe leichte Kopfschmerzen. "Sei ein wenig sanfter! Ich hab Kopfschmerzen...", brumme ich und stelle überrascht fest, dass die Schmerzen abebben. Ein leises: "Danke...", kommt von mir, ehe ich über nichts nachdenke. Eine ganze Weile lasse ich ihn in Ruhe, ehe ich ihn fragend ansehe. "Kannst du eigentlich auch Lieder hören, wenn ich sie mir vorstelle?" Eine einzelne Augenbraue geht hoch. "Mit direktem Kontakt am Anfang möglich. Wenn du länger da bist, geht es ohne." Meine Hand liegt immer noch vor ihm. Zurückgezogen habe ich sie nicht. Ein kurzer Blick darauf und dann wieder zu ihm. "Ich würde dir gern eines meiner Lieblingslieder zeigen! Hat nichts mit dir zu tun. Es... macht gute Laune! Zumindest bei mir. Und du brauchst mal wieder so RICHTIG gute Laune!" Meine Mundwinkel gehen hoch und ich sehe ihn lächelnd und erwartungsvoll an. Misstrauisch mustert er mich. Sieht zu meiner Hand. Dann wieder zu mir. "Du wirst mich nerven, bis ich zustimme, stimmts?" Grinsend nicke ich.

Das Augenverdrehen ist extra-Klasse, während er sich tatsächlich einen Handschuh auszieht. "Wenn du das-" "Je sagen solltest, wirst du mich umbringen. Ist notiert!" Leicht genervt mit dem Kopf schüttelnd, legt er einen Finger auf meine Hand. Berührt diese nicht komplett. Ich hoffe, das reicht. Während das Lied in meinem Kopf spielt, singe ich stumm mit und tippe mit der anderen Hand im Rhythmus des Beats auf dem Tisch. Habe sofort gute Laune. Sogar meine Augen schließe ich. Ein Bild von jemandem habe ich bei dem Lied nicht im Kopf, obwohl es um eine Person geht, mit der man sein möchte und die für einen ein Zuhause ist. Klar, eine Art Liebeslied. Aber ich mag die Stimme, den Beat und irgendwie macht mich das glücklich. Ich hinterfrage solche Dinge nicht wirklich. Vorsichtig öffne ich meine Augen einen Spalt und reiße sie auf. Starre Alucard ungläubig an, der dies merkt. Und augenblicklich gehen seine Mundwinkel runter. Er hat doch tatsächlich gelächelt. Ich hingegen muss breit Grinsen. Na geht doch!

Point of no returnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt