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Cole POV

Ich wusste genau was in Mila vorgeht. Sie versuchte zu verstehen warum das alles passiert ist. Traumatische Erlebnisse lassen sich leichter verarbeiten wenn man weiß, warum etwas passiert ist. Mila sucht verzweifelt nach einem Grund, damit es leichter für sie wird. Ich kann das verstehen, aber sie darf nicht denken das Hunger rechtfertig was der Mann getan hat. Sie hatte recht damit, das wir alle mehr für Obdachlose tun sollten, es sollte gar nicht erst soweit kommen, das stimmte alles, aber es stimmt nicht das der Mann keine andere Wahl hatte. Man hat immer eine andere Wahl, aber er hat sich dafür entschieden diesen Weg einzuschlagen, und das war falsch. Meine kleine Schwester wirkte ziemlich gefasst, dafür was sie erlebt hat. Während sie duschen war hat Liam uns alles erzählt. Von dem Mann, von den Schüssen, von Mila. Davon wie er ihr den Mund zuhalten musste da sie sonst laut los geschrieen hätte vor lauter Angst. Wie sie kurz vorm durchdrehen war und die Situation kaum noch ausgehalten hat. Von dem Mädchen das Liam beschrieben hatte war jetzt nichts mehr zu sehen. Entweder sie schiebt das gerade alles so weit von sich weg wie nur möglich, das sie es überhaupt aushalten kann, oder sie verarbeitet das alles tatsächlich schon sehr gut. Letztes wäre mir natürlich viel lieber, aber ganz sicher welches Szenario es ist, war ich mir noch nicht so ganz.
„Aber er kann doch nichts dafür. Er hatte Hunger und wollte essen" versuchte Mila mich von ihrer Meinung zu überzeugen. Ich konnte ihr ansehen wie sie immer mehr über das alles nachdachte, und immer wütender wurde. Es war gut. Sie soll lieber wütend werden und laut herum schreien als sich heulend im Bett zu verkriechen, wobei das wahrscheinlich auch noch kommen wird. Meine kleine Schwester hält sich an daran fest das er nichts für all das kann, weil er Hunger hatte. Sie konzentriert sich darauf und schiebt somit die anderen Gefühle beiseite. Es ist leichter sich auf die Wut zu fokussieren, als auf die ganzen negativen Erlebnisse. Sie darf nur nich anfangen alles zu rechtfertigen nur weil jemand Hunger hat, das war der falsche Ansatz. Das alles hätte viel schlimmer ausgehen können. Menschen hätten sterben können, sie oder Liam hätten sterben können. Das war ihr allerdings nicht so bewusst, oder sie schiebt es unterbewusst weg von sich. So ruhig und klar sie auch wirkte, so überfordert war sie auch mit der ganzen Situation. Mila versuche verzweifelt das alles zu sortieren. Es war ja schon einmal gut das sie sich freiwillig damit auseinander setzt. Das war ein gutes Zeichen. Trotzdem machte ich mir noch Sorgen um sie. Es ist einfach viel zu verarbeiten und ich bin mir nicht sicher ob sie das so gut hinbekommen wird. Bei Liam war es genauso. Er war die ganze Zeit total ruhig und entspannt. Liam hat das alles auch noch nicht wirklich realisieren können. Dadurch das eigentlich seine ganze Konzentration auf Mila lag, hat er wahrscheinlich aber auch nicht so viel mitbekommen wie sie. Liam war aber auch schon älter als Mila, er ist psychisch stabil und wird das alles bestimmt gut wegstecken. Bei meiner kleinen Princess war das anders. Immer wenn es ihr gerade wieder besser ging kam was neues. Wobei sie auch schon viel aus all dem gelernt hat. Sie ist wieder offner geworden, lauter, rebellischer. Sie lässt sich nicht einfach alles gefallen und fängt an sich zu wehren wenn ihr was nicht passt. Alles Dinge die vor ein paar Monaten nicht so waren. Sie wird selbstständiger, fängt an ihre Probleme selbst zu lösen und kommt trotzdem zu uns, wenn sie es nicht schafft. Das alles zeigt uns das sie in die richtige Richtung geht. Ihr fällt das wahrscheinlich nicht mal so auf, uns aber schon. Und wir sind froh darüber.
„Was passiert jetzt mit dem Mann" fragte Mila nach einer weile. „Sobald es ihm besser geht wird er verhaftet und kommt ein paar Jahre im Gefängnis" antwortete ich ihr. Eigentlich sollte das ja eine Strafe sein, wobei es für ihn wahrscheinlich eher ein Gefallen ist. Dort hat er ein Dach überm Kopf und regelmäßig essen auf dem Tisch. „Wie lange muss er ins Gefängnis" fragte meine kleine Schwester unsicher. „10 Jahre, vielleicht 15" überlegte ich laut. „Und wenn er jemand verletzt und erschossen hätte" wollte Mila wissen. „Das hat er ja nicht" antwortete ich schnell. Man konnte ihr deutlich ansehen wie ihre Wut nach und nach verflog, und wie sie langsam aber sicher realisierte was eigentlich alles hätte passieren können. Nachdenklich saß sie in ihrer schwarzen leggings und ihrem schwarzen Shirt auf der Küchenzeile. Während ihre Füße in die Luft baumelten hielt sie schon fast krampfhaft den leeren Teller in ihren Händen. Ihre langen blonden Haare hingen in ihr blasses Gesicht. Sie sonst so strahlend blauen Augen sahen müde und leer aus. Mila wirkte von Sekunde zu Sekunde ruhiger. Sie war total in sich gekehrt und bekam immer weniger von ihrer Umgebung mit. Vorsichtig nahm ich ihr den Teller aus der Hand und stellte ihn beiseite. Jake schien das alles ebenfalls zu bemerken denn er fragte „was ist los? Woran denkst du". Mila's Blick war starr auf ihre ruhigen Hände fixiert. „Er hatte hunger, aber ich dachte er bringt uns um" sagte sie nach einiger Zeit...

Big Brothers 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt