Kapitel neununddreißig

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6 MONATE SPÄTER

Gefühlte dreißig Minuten stand ich schon vor dem Spiegel und versuchte meine widerspenstigen Haare zusammen zu binden. Ich war spät dran weil ich nach der Uni auf der Couch eingeschlafen war und gleichzeitig auch noch vergessen hatte meine Hausarbeit abzuschicken was ich eigentlich direkt machen wollte nachdem ich mit dem Mittagessen fertig gewesen wäre, aber so schlagartig wie sich mein Leben veränderte änderten sich auch meine Pläne. Mein Herz pochte bei dem Gedanken das ich in zehn Minuten ein Gespräch bei Dr. Michaels hatte, meiner Psychologin. Seit vier Monaten war ich schon bei ihr in Behandlung und ich kann garnicht beschreiben wie gut es mir dabei geht mich ihr anzuvertrauen und über meine Ängste zu sprechen.

Nachdem ich vor sechs Monaten die Wohnung von Tyler zum letzten Mal verlassen hatte, habe ich mein eigenes Versprechen eingehalten und meine Mauer langsam Stück für Stück wieder aufgebaut, und der erste Schritt dazu war mich endlich in Psychologische Behandlung zu geben. Ganz aus meinem Leben konnte Tyler natürlich nicht verschwinden, da er öfter in der Wohnung auftauchte als mir lieb war, aber das Gegenteil konnte ich nicht erwarten da Isaac sein bester Freund ist und auch immer bleiben wird. Ich wusste das mich seine Anwesenheit aus der Bahn bringen würde weshalb ich mich dazu entschied eine eigene Wohnung zu beziehen was der nächste Schritt meiner Liste war. Maya war anfangs nicht sehr begeistert mich alleine wohnen zu lassen nachdem was passiert war, aber inzwischen sieht sie auch das als etwas gutes an.

„Aly! Wir müssen los!" Mayas Kopf ragte jetzt ins Badezimmer, „Ja ich komme ja schon" erwiderte ich und nahm mein Handy vom Waschbeckenrand um mit schnellen Schritten in den kleinen Flur zu gelangen in dem ich mir eine dünne Strickjacke und Ballerina überzog. „Also wie abgemacht, ich lasse dich beim Tattoo Studio raus und heute Abend sehen wir uns dann wieder." sagte ich gelassen und schloss die Wohnungstür hinter mir, während Maya mir lächelnd zu nickte. Es war angenehm warm draußen und die Sonnenstrahlen ließen meine Laune noch besser werden, „Du sag mal wollen wir den Filmabend heute bei mir machen?" fragte mich meine beste Freundin während wir die Straße entlang fuhren und vor dem Tattoo Studio hielten. „Von mir aus kein Problem, wie es dir am besten passt" erwiderte ich und lächelte sie an, während sie einige Sekunden lang mein Gesicht musterte. „Ich bin so stolz auf dich" sagte Maya und nahm meine Hand, „Und du kannst auch sehr stolz auf dich selbst sein Alyssa, du hast innerhalb von sechs Monaten so große Veränderungen geschaffen, manchmal kann ich garnicht glauben das wir jetzt hier sitzen, zusammen in Boston, zusammen zur Uni gehen. Unser Traum wurde endlich wahr!" mit jedem Wort das Mayas Lippen verließ breitete sich ein warmes Gefühl in mir aus. Erleichterung, vielleicht aber auch etwas Trauer da der Weg bis hierher sehr schwer und mühsam war. „Du bist die beste weißt du das?" meine Augen füllten sich mit Tränen und Maya schling ihre zierlichen Arme um mich ehe sie mir einen Kuss auf die Wange gab und mit einem Lächeln aus dem Van stieg, „Bis später, um acht bei mir, ich besorge uns Burger und Brownies" fügte sie noch hinzu und ließ die Tür zu fallen. Ich winkte ihr hinterher und lächelte stolz, endlich ging es bergauf.

Ich war gute fünfzehn Minuten zu früh dran und entschloss mich dazu mir an der Ecke vor der Praxis noch ein Chai Latte bei Starbucks zu besorgen, als ich die Tür gerade aufstoßen wollte um das Café zu verlassen lief ich gegen jemanden. Das Geräusch meines Bechers und dessen Inhaltes die geradewegs auf das Shirt des Unbekannten und den Boden krachten waren kaum zu überhören, „Sag mal spinnst du, hast du keine Augen im Kopf?!" die raue Stimme kam mir unheimlich bekannt vor, ich hob meinen Kopf und blickte ihn an. Tyler. Er war hier, seit sechs Monaten stand er das erste mal so nah vor mir das ich ihn mit ausgestreckter Hand direkt berühren konnte. Mein Mund öffnete sich leicht, aber es kam kein einziges Wort heraus. „Alyssa.." seine Stimme war nun ruhig, sanft geradezu liebevoll. Ich riss meinen Blick von ihm los und kramte energisch in meiner Tasche herum um irgendetwas brauchbares zu finden damit ich sein Shirt von meinem Chai Latte befreien konnte. Ich fand ein Taschentuch das ich sofort über sein T-Shirt rieb um die nasse Stelle irgendwie trocken bekommen zu können. „Es tut mir schrecklich leid" sagte ich hastig und versuchte nicht in seine Augen zu schauen, „Ich, ich- Warte mal, müsstest du nicht eigentlich im Tattoo Studio sein?" wie zur Hölle konnten meine Gedanken jetzt so derartig davon abweichen das ich über seinen Job nach dachte? „Heute ist Montag, Montags habe ich immer frei und nur Maya ist für den Papierkram im Laden, das weißt du doch?" er nahm meine Hand und riss das Tuch weg. In mir blitze ein enormes altbekanntes Gefühl auf und ich erstarrte einen Augenblick. „Lass das sein, ich kann es auch einfach waschen" erwiderte Tyler und ließ meine Hand immer noch nicht los. „Ich muss jetzt los" ich entriss mich seinem Griff und lief rasch an ihm vorbei um die Straße runter zur Praxis zu laufen. Ja ich lief, ich lief vor ihm davon. „Warte!" seine Stimme tauchte hinter mir auf, unglaublich er lief mir das erste mal wirklich hinterher, oder hatte ich es mir eingebildet? Ich blickte nicht zurück, im Gegenteil meine Schritte wurden immer schneller bis ich endlich den Metallgriff der Eingangstür berührte und sie hastig aufzog. Ich muss so schnell wie möglich weg von ihm.

Mit lautem Atem und leicht verschwitzter Stirn klopfte ich an das Zimmer, „Sie können rein kommen Alyssa." hörte ich Dr. Michaels zärtliche Stimme und trat in den Raum ein. „Geht es ihnen gut?" sie musterte mich, „Ja, ich meine Nein eigentlich bin ich ziemlich aufgewühlt gerade" stieß ich hervor und ließ mich ihr gegenüber in den Sessel fallen. „Ich hatte eine unschöne Begegnung mit der Vergangenheit." meine Hände zitterten und ich versuchte mich zu beruhigen, „Die haben wir alle mal." erwiderte Dr. Michaels und lächelte, „Die Vergangenheit ist zwar vergangen aber oftmals schafft sie es uns einzuholen, doch es liegt an uns damit souverän umzugehen." 

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