Kapitel dreiundzwanzig

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Die nächste Woche ließ sich Tyler kein einziges Mal in der Uni blicken, und auch Isaac besuchte er nicht. Ich machte mir Sorgen, obwohl diese nicht mal zu verstehen waren. Er ist ein erwachsener Mann und kein Kleinkind über das ich mir Gedanken und Sorgen wie eine Mutter machen sollte, aber ich tat es weil es meine Schuld war. Hätte ich dieses blöde Buch nicht geöffnet wäre es niemals dazu gekommen. Ich sortierte gerade einige Tassen in die Schränke als Marta auf mich zukam und ein Tablett auf die Theke stellte. „Du kannst Feierabend machen, du hast sowieso schon viele extra Schichten die Woche übernommen und die letzten drei Kunden schaffe ich auch alleine." ich lächelte ihr entgegen, „Danke." innerlich schrie eine Stimme danach noch mehr Stunden hier zu verbringen um mich ablenken zu können, doch ein Stapel Papiere wartete zu Hause auf mich. Ich band mir die Schürze ab und verabschiedete mich von Marta um meine Sachen aus dem kleinen Nebenraum zu holen in dem alle Kollegen ihre Sachen aufbewahrten. Dann verließ ich das Café und stieg in meinen Van. Auf dem Weg hielt ich vor einem Restaurant und besorgte mir etwas zu Essen was ich neben dem lernen noch schnell verschlingen würde da ich das die Tage sehr oft vergessen hatte.

Als ich die Wohnung betrat sah ich im Flur einige Schuhe die nicht Maya mir oder Isaac gehörten und hörte ein lautes Gelächter und eine Gitarre die spielte. Ich hang meinen Mantel an die Garderobe und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo ich entsetzt im Türrahmen stehen blieb. Tyler saß mit einer Gitarre auf dem Sessel und spielte, um ihn herum hatten sich außer Maya und Isaac einige Leute versammelt die mir fremd waren. Er sieht glücklich aus, Schoß es mir durch den Kopf und innerlich löste sich ein Teil meiner Anspannung. Keiner bemerkte mich und ich nutzte die Möglichkeit um in mein Zimmer zu verschwinden.

Ich öffnete eine Playlist bei Spotify und setzte mich auf meinen Stuhl, am Schreibtisch. Dann holte ich den Burger aus der Tüte und biss hinein. Ich stöhnte auf, mein Magen hatte sich den ganzen Tag über danach gesehnt gefüllt zu werden, und jetzt war es endlich soweit. Ich legte den Burger beiseite und nahm einen Stift in die Hand. Endlich konnte ich alles um mich herum ausblenden und mich völlig und ganz auf die altenglische Literatur konzentrieren über die wir eine Hausarbeit schreiben sollten. Während alle anderen in meinem Alter Feiern gehen würden oder anderes im Kopf als lernen hätten, saß ich an einem Freitag Abend an meinem Schreibtisch und tat das was für mich wichtig schien. Schon als Kind wurde ich dazu gedrillt perfekte Noten zu schreiben und niemals in der Schule zu Versagen. Mein Vater war immer der Meinung das der Bildungsstand einen Menschen aus macht, denn heut zu Tage fragen sie dich erst nach deinem Abschluss als nach deinem Nachnamen, waren seine Worte. Ich war es so sehr gewohnt immer das richtige zu tun das es für mich als normal erschien das Wochenende mit Hausaufgaben oder lernen zu verbringen, statt wie meine anderen Klassenkameraden zu trinken oder erste Erfahrungen mit einem Jungen zu machen. Bis vor einigen Jahren als ich mich losreißen wollte, und das schlimmste in meinem ganzen Leben erlebte. Danach habe ich meinen Vater verstanden, auch wenn seine aggressiven und hartnäckigen Forderungen mein Leben eingeschränkt haben war ich dankbar denn sonst wäre ich nicht da wo ich heute bin, und schon garnicht erst so zielstrebig.

Ich griff erneut nach meinem Burger und las dabei einen Absatz über die altenglische Dichtung als ich das öffnen der Tür hörte. Ruckartig drehte ich mich um und sah Tyler mit verschränkten Armen im Türrahmen stehen. Er grinste. „Sag mir jetzt nicht das du im Ernst lernst." belustigt schüttelte er mit dem Kopf während ich den Burger weg legte und mich von meinem Stuhl erhob. „Und wenn, was wäre daran so verkehrt?" jetzt verschränkte ich ebenfalls meine Arme vor der Brust und lehnte mich mit dem Rücken gegen den Schreibtisch. „Es ist Freitag, Zwanzig Uhr dreißig. Da hat man definitiv etwas besseres zu tun." Er begutachtete mein Zimmer und verharrte an einem Bild das über meinem Bett mit Lichterketten hing, es zeigte mich und meinen Bruder, auf unserem Abschlussball, er hatte seinen Arm um meine Schulter gelegt und wir beide grinsten in die Kamera. „Ist das dein Freund?" Tyler sah mich wieder an, „Nein, mein Bruder." sagte ich und merkte die innere Trauer. Ihn zu verlassen war eines der schwersten Dinge, denn er war nicht nur ein Bruder sondern mein Zwilling. Er hatte sich in den letzten Monaten so sehr von mir abgeschottet als er erfahren hatte das ich nach Boston gehen würde, und nicht mal mehr ein Wort mit mir gesprochen geschweige denn mich angerufen als ich hier ankam. Das Gefühl zu wissen das er immer noch bei meinem Vater ist und den ganzen Ballast nun alleine tragen musste machte mich noch wütender und traurig zu gleich. Er hat es nicht verdient das man so mit ihm umgeht, aber er hatte sich ebenfalls auch geweigert mit zu meiner Mutter zu gehen, den Grund jedoch hat er nicht mal mir verraten.

„Wie kommt's das du nicht vergeben bist?" Tyler's Worte holten mich zurück in die Realität. „Ich brauche keinen Freund." erwiderte ich und hätte mich dafür selbst ohrfeigen können, wie blöd hört sich das denn an? „Oder willst du keinen?" es machte ihm scheinbar Spaß zu provozieren, „So kann man es auch sagen." antwortete ich und löste meine verschränkten Arme. „Was machst du in meinem Zimmer?" wechselte ich nervös das Thema.
„Eigentlich wollte ich nur auf die Toilette, doch dann habe ich den Lichtstrahl unter deiner Tür gesehen."
Wow. „Damit habe ich jetzt nicht gerechnet." sagte ich entschlossen. „Ich weiß auch nicht was mich dazu gebracht hat, aber du konntest ja scheinbar auch einfach in mein Zimmer gehen." er rieb sich am Kinn und ich erkannte den leichten Drei Tage Bart, der ihn noch attraktiver aussehen ließ. In diesem Moment stellte ich mir vor wie es wohl aussehen würde wenn er dazu noch Oberkörper frei und mit nassen Haaren und nur einem Handtuch um den Hüften vor mir stehen würde. Was zur Hölle war denn los mit mir? Seit wann hatte ich so welche Gedanken von dem Typen der mir die meiste Angst einjagte. Seine Miene wurde ausdrucksloser und er machte auf der Stelle kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort mein Zimmer, ließ die Tür aber einen kleinen Spalt offen. Verwirrt stand ich da, und gestand mir zum ersten Mal ein das noch etwas anderes außer Hass und Angst für Tyler übrig war. Und das Gefühl jagte einen kalten Schauer über meinen gesamten Körper.

Lost LoveWhere stories live. Discover now