Kapitel 6 - Auf der Flucht

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Was passierte eigentlich, wenn ich meine Klamotten trug und mich dabei verwandelte? Seltsame Frage, aber die Beantwortung könnte eventuell noch lebensnotwendig für mich werden. Wer sagte denn, dass ich in der Öffentlichkeit nicht nass wurde? Sei es durch ein Versehen meinerseits oder von Außenstehenden. Oder aber durch volle Absicht, weil mir jemand Schaden zufügen wollte.

Für so einen Fall sollte ich unbedingt schon im Vornherein wissen, was auf mich zukam, und wie ich dann am besten handelte. Schließlich konnte ich das wohl kaum einfach hinnehmen und mich allen so präsentieren, wie ich jetzt nun einmal war. Und vor allem, was geschah, wenn ich wieder trocken war?

Um das herauszufinden, testete ich das ganz einfach. Zuerst verschloss ich die Tür zu meinem Zimmer, dann schnappte ich mir eine Flasche, legte ein Handtuch griffbereit und spritzte mir anschließend etwas von dem Wasser auf den Handrücken.

Erneut tauchten diese Lichtpunkte wie aus dem Nichts auf und umkreisten meinen Körper, von Kopf bis Fuß. Innerhalb von Sekunden verwandelte ich mich in einen Fisch. Da ich zuvor mit beiden Beinen aufrecht stand, knallte ich nun ziemlich unsanft, so ganz ohne Füße, auf den Boden. »Autsch!«, entfuhr es mir.

Wenn ich keine blauen Flecken am ganzen Körper riskieren wollte, sollte ich wohl ganz genau aufmerken. Meine Klamotten, die ich bis eben noch trug, segelten neben mir zu Boden. Aha, das war ja gut zu wissen.

Ich pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und angelte nach dem Handtuch, um mich abzutrocknen. Als ich nackt und trocken war, zog ich mich endgültig und vollständig an. Ich würde definitiv aufpassen müssen, wenn ich mir diverse Peinlichkeiten ersparen wollte. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen. Warum musste das gerade mir passieren? Ich fühlte mich wie in einem schlechten Film.

»Kaycie, was ist das für ein Lärm?«, rief Zoey aus ihrem Zimmer. Vermutlich hatte sie gehört, wie ich zu Boden gestürzt war, und dachte wahrscheinlich, ich randalierte herum.

Genervt stöhnte ich auf. Da beschwerte sich ja gerade die Richtige – die ihre Musik auf die höchste Lautstärke drehte, sodass sogar die Nachbarn den Text zu »Smells Like Teen Spirit« mitträllern konnten, ob sie nun wollten oder nicht.

Ich hoffte für sie, dass sie nicht Zuhause waren, sonst würde bald die Polizei an unserer Haustür klingeln. Oder Mom würde ihr früher oder später den Strom abstellen, sobald sie zurück kam. Wenn ich so darüber nachdachte, wollte ich da eigentlich lieber nicht dabei sein. Zoey neigte zu extrem lauten Tobsuchtsanfällen, die teilweise noch lauter ausfielen als die Musik, die immer noch die Wände leicht erzittern ließ.

Deshalb beschloss ich kurzerhand, mich aus dem Staub zu machen und meinen freien Nachmittag in Ruhe, ohne meine Schwester zu genießen. Ich griff nach meinem Rucksack, stopfte alles hinein, was ich gebrauchen könnte und verließ dann möglichst unauffällig das Haus.

Natürlich waren unsere Nachbarn nicht, wie ich gehofft hatte, verreist oder zufällig nicht da. Nein, sie saßen in ihrem Garten und schienen nur darauf gewartet zu haben, dass jemand von uns rauskam. Und ich hatte dabei mal wieder die Arschkarte gezogen, na super.

Ich lächelte gezwungen und machte mich schon bereit, einen Sprint hinzulegen. Der alte Mr. Benson in seinem weißen Polohemd, der weißen Schirmmütze und den dazu passenden weißen Shorts und Sportschuhen, setzte gerade zum Sprechen an und zeigte dabei über die Hecke anklagend auf mich.

Entschuldigend hob ich die Arme. »Sorry, aber ich muss leider ganz dringend wohin«, wimmelte ich ihn übertrieben freundlich ab und huschte so schnell wie möglich an ihm vorbei.

Mit eiligen Schritten entfernte ich mich, aber ich konnte dennoch die quakende Stimme seiner Frau mit den knallrot gefärbten Haaren vernehmen: »So eine Unverschämtheit!«, rief sie mir empört hinterher.

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now