Kapitel 43 - Monster

76 16 6
                                    

Mit der Erkenntnis verlor ich meine Konzentration, was die Wassersäule in sich zusammenbrechen ließ. Es platschte und die Oberfläche des Mondsees kräuselte sich, bevor sie erneut ruhig anmutete.

Oscar blinzelte, Zoey verzog hingegen keine Miene. Erst als ich meine Gedanken aussprach, regte sich etwas in ihrem Gesicht. »Wir brauchen den Kristall«, durchbrach ich die angespannte Stille. Nun wirkten beide verwirrt. »Wie sollen wir sonst unsere Kräfte vereinen?« Es lag doch auf der Hand. Wenn man eins und eins zusammenzählte und meine Theorie stimmte, dann mussten Zoey und ich unsere Kräfte auf den Stein lenken und ihn zum richtigen Zeitpunkt zerstören – wie es einst Katy und Elaine versucht hatten. Jetzt besaßen wir jedoch das richtige Mittel, das den Fluch endgültig brechen würde.

Oscar kramte in seiner Tasche und zog den Stein hervor. Verheißungsvoll leuchtete er in seinen Händen. Diesmal verspürte ich nicht den Drang, ihn an mich reißen zu wollen. Auch Zoey blieb entspannt sitzen, sie hatte lediglich einen säuerlichen Blick aufgesetzt.

»Wir müssen unsere Kräfte auf den Stein lenken – und das zum richtigen Zeitpunkt. Das ist alles.« Meine Theorie musste einfach stimmen. Katy und Elaine waren richtig vorgegangen, ihr Pech war es gewesen, das falsche Objekt ausgewählt zu haben.

Oscar kratzte sich am Kinn. »Es geht schließlich darum, den Stein zu zerstören. Eure zwei verschiedenen Kräfte sollten das bewerkstelligen können.« Das Blau seiner Augen funkelte zu mir herüber.

Ich riss mich von dem Anblick los und spähte zu Zoey, die unerwartet ruhig geworden war. Kein Kommentar entschlüpfte ihrer sonst so spitzen Zunge. Ein mulmiges Gefühl, wie eine Vorahnung, durchflutete meinen Körper. »Zoey, ist alles in Ordnung?«

Es folgte keine Antwort, ihr Blick glitt direkt durch mich hindurch. Sie saß stocksteif da, als wäre sie eine leblose Puppe. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. Auch Oscar bemerkte, dass mit Zoey etwas nicht stimmte. Er wirkte genauso unsicher und verwirrt, wie ich mich fühlte.

Schlagartig verzerrten sich Zoeys Züge: der Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Hatte sie Schmerzen? Was passierte mit ihr? Doch ihren Lippen entwich nicht der leiseste Ton, als hätte den jemand abgestellt. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken.

»Zoey?«, fragte ich noch einmal. Meine Stimme klang ängstlich und etwas schrill.

Plötzlich zuckte ihr Kopf in meine Richtung. Sie fixierte mich mit elektrisierend blauen Augen, die mehr als unnatürlich aussahen. Dagegen vermittelte mir der Ausdruck darin Schmerz, Reue und Liebe, und das so intensiv, dass ich nach Luft schnappen musste. »Kay-c-cie ... I-ich ... N-ni-icht ...«, krächzte sie brüchig. Im nächsten Moment verzogen sich ihre Lippen zu einem grausamen Lächeln, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

»Was ist mit ihr?«, wisperte Oscar dicht hinter mir.

»Ich weiß nicht, aber es sieht so aus, als wäre sie nicht länger Herr über ihren Körper«, flüsterte ich zurück.

Ein grelles Kreischen ließ uns beide zusammenzucken. Das Geräusch drang aus Zoeys Mund. Es war ein Lachen, wie ich feststellen musste. Ihre Schultern bebten und die geweiteten Pupillen hatten einen wahnsinnigen Glanz angenommen. »Du glaubst wohl mich austricksen zu können, was Giselle?«, höhnte sie. Die Stimme scharf und spröde zugleich, als wäre sie für lange Zeit zum Schweigen verdammt gewesen. Es schwang eine Macht in diesen Worten mit, die sie auf ihre Umgebung ausstrahlte. Die Felswände der Grotte erzitterten. Ein Vibrieren fuhr durch meine Knochen. Und blitzartig wurde mir klar, wen ich da vor mir hatte. Zoey stellte lediglich das Sprachrohr dar.

Mackenzie.

Die selbstverliebte, rachsüchtige und dazu mächtige Hexe höchstpersönlich. Selbst im Jenseits schien sie keinen Frieden gefunden zu haben, und tyrannisierte Generation für Generation ihrer längst verstorbenen Zwillingsschwester Giselle. Jetzt lag ihr Augenmerk direkt auf mir. Sie lachte selbstgefällig, als sie das Schutzamulett um ihren Hals zwischen die Finger nahm und glühend zum Schmelzen brachte. Das verflüssigte Silber tropfte zu ihren Füßen und erstarrte dort in einer schimmernden Pfütze.

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now