Kapitel 19 - Sinnlose Unterhaltung

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Oscar

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Mein Wecker dröhnte so laut, dass ich keuchend von der lauten Musik aufschreckte. Dabei war das Lied gar nicht mal so schlecht. Es gab da bei Weitem schlimmere Songs zum Aufwachen. Ich fuhr mir durch die Haare, die in alle Richtungen abstanden. Als ich einen Blick in den Spiegel wagte, entschied ich mich doch zum Duschen. In einem derartig zerzausten Zustand konnte ich jedenfalls nicht vor die Haustür gehen.

Mein Frühstück nahm ich – nach einem Blick auf die Uhr – zur Schule mit. Ich schnappte mir mein Skateboard, das im Flur an der Wand lehnte, und verließ samt einem fetten Ohrwurm das Haus. Die Straße war frei. Auf der Höhe unserer Einfahrt schob ich mich an und rollte den leichten Berg nach unten, bis ich die Seite wechseln musste. Kurz darauf kam meine Schule auch schon in Sicht.

Eine halbe Stunde hatte ich noch bis zum Unterricht Zeit. Die würde ich mit frühstücken und hoffentlich in Kaycies Gegenwart verbringen. Doch von ihr war nichts zu sehen, als ich mich auf dem großen Vorplatz umsah. Das Gelände vor der Schule war wie ein Park angelegt, allerdings legte man hier – im Vergleich dazu – offensichtlich keinen besonderen Wert auf Sauberkeit: Unachtsame Schüler warfen ihren Müll rücksichtslos auf den Boden, und die Mülleimer müssten eigentlich auch mal ausgeleert werden ... Aber hey, das hier war eine öffentliche Schule, da konnte man sich nicht unbedingt einen Gärtner leisten.

Ich suchte mir einen sauberen Platz auf dem Rasen und setzte mich im Schneidersitz hin, um anschließend meinen Apfel aus der Tasche zu holen und nicht genüsslich hineinbeißen zu können, weil zwei schlanke Beine direkt vor mir aufragten. Leider handelte es sich bei diesen Exemplaren nicht um Kaycies. Die trug nämlich nie lange Socken, die fast bis zum Knie reichten, zu einem Minirock – das konnte nur Zoey sein. Was wollte die denn von mir?

Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen und grinste stattdessen nach oben in ein grimmiges Gesicht, das tatsächlich nicht Kaycies war. »Wie die Sonne höchstpersönlich, so strahlend!« Mir war gerade danach, sie zu necken.

Zoey verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen kleinen Schritt zurück. »Da ich dich nun endlich mal ohne Kaycie antreffe, sage ich dir jetzt mal etwas«, eröffnete sie ohne Umschweife das Gespräch.

Kurz überlegte ich, was sie mir zu sagen haben könnte ... Etwas Nettes ganz bestimmt nicht. »Schieß los!«, forderte ich sie immer noch lächelnd auf.

Es schien sie etwas zu irritieren, dass ich so freundlich war, doch sie gab sich alle Mühe, mir das nicht zu zeigen. Lediglich ihre Mundwinkel zuckten leicht. »Es wäre wirklich nett ...«, fing sie an, räusperte sich aber bei dem Wort ›nett‹, offenbar fand sie nicht die richtige Wortwahl, »... wenn du dich mit Kaycie nicht immer bei uns triffst.«

Ich hob eine Augenbraue. »Weil ...?« Was bitte war daran so schlimm? Meines Wissens hatte ich sie nie in irgendeiner Weise belästigt, oder bei etwas gestört.

»... deine unangekündigten Besuche nerven.«

»Ich unterhalte mich doch bloß mit Kaycie – was ist denn so schlimm daran?« Ich verstand es echt nicht.

Gereizt stöhnte sie auf. »Ich habe langsam das Gefühl, du stalkst mich!«

Moment, stopp! Was passierte hier? Machte sie mir etwa eine Szene? Möglichst unauffällig sah ich mich um, doch ihren seltsamen Aufstand würden – wenn überhaupt – nur eine Handvoll Leute mitbekommen. Für eine große Show war es ein bisschen zu früh. Da hätte sie sich mehr Zeit lassen müssen. Beschwichtigend hob ich beide Arme. »Chill mal ... Habe ich das gerade richtig verstanden? Du denkst, ich beobachte dich, wenn ich bei Kaycie bin?«

Ja okay, auf einmal hatte ich das Bild vor Augen, wie ich mit Kaycie am Pool saß und durch ein Fernglas in Zoeys Zimmer linste ... Das konnte sie natürlich falsch verstanden haben, wenn sie es gemerkt hatte ... Aber eigentlich gab es da nichts falsch zu verstehen: wir hatten sie eindeutig beobachtet. Nervös lachte ich auf. Natürlich ... Das war mehr als verdächtig, und wenn ich so paranoid wie sie wäre, würde ich das auch denken.

Das schlechte Gewissen meldete sich. Ein zerknirschter Ausdruck machte sich in meinem Gesicht breit. »Ich stalke dich nicht! Ehrlich. Ich komme zu euch, um mit Kaycie Zeit zu verbringen, klar?«, versuchte ich die Wogen zu glätten.

Zoey warf sich das Haar zurück. Selbst diese Geste, die bei Kaycie so elegant wirkte, provozierte bei Zoey nur. Der schnippische Tonfall eingeschlossen, ließ sie wie eine waschechte Zicke auftreten.

»Hey, über was redet ihr?«, fragte plötzlich die Stimme, auf die ich die ganze Zeit gewartet hatte. Sie rettete mich mal wieder vor ihrer bösen Schwester, die mit funkelnden Augen über ihre Schulter zu Kaycie blickte. Deren Aussehen ließ mein Herz ein paar Takte höher schlagen. In ihrer zerrissenen kurzen Hose, dem dunkelgrünen Top und den abgetragenen Schnürstiefeln, raubte sie mir den Atem. Ich liebte ihren lässigen Stil, der an ihr richtig heiß wirkte – bei Zoey hätte es nur billig und gewollt ausgesehen. Wenn man bedachte, dass sie Zwillinge waren, dann war das echt krass.

Lächelnd kam Kaycie auf uns zu. Sie strahlte mit der Sonne um die Wette, und forderte sie nicht heraus, wie Zoey. Mein Bauch kribbelte bei ihrem Anblick, und unwillkürlich musste ich an unseren Kuss von Letztens denken. Was mir auf einmal ziemlich dämlich vorkam. Ich verwandelte mich gerade in einen liebeskranken Idioten, der alles durch eine rosarote Brille sah und wie auf Wolken schwebte. Hörte das auch wieder auf, oder war mein Verstand nun für immer so durcheinander?

»Ach nichts. Ich muss jetzt gehen!« Zoey stapfte zügigen Schrittes davon.

Kaycie runzelte für einen Moment verwirrt die Stirn, bevor sie sich neben mir ins Gras fallen ließ. Der Duft ihres Shampoos wehte mir in die Nase. Es roch herrlich nach Apfel ... O Gott. Ich verlor wirklich meinen Verstand. Wenn sie mich jetzt mit ihren großen blauen Augen ansah, dann würde er sich endgültig verabschieden.

Und sie tat es. Ihre Wangen waren leicht gerötet, von der Bewegung ... oder von etwas anderem? »Hey«, begrüßte sie mich, viel zu nah an meinem Gesicht. Ich starrte auf ihre vollen Lippen. Verdammt. War denn wirklich alles an ihr toll? »Was hat Zoey gesagt?«, fragte sie. Noch immer starrte ich auf ihre Lippen, die so weich waren und irgendwie nach Orangen schmeckten ... Kaycie fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. Ich blinzelte sie an. Reiß dich gefälligst zusammen!, gab ich mir einen Ruck. »Alles okay? Du wirkst etwas abwesend.«

Na super, jetzt wurde ich auch noch rot. Mit brennenden Wangen wandte ich mich ab. »Sie meinte, dass ich nicht mehr unangekündigt bei euch vorbeikommen soll. Und dass ich sie stalke«, sagte ich schließlich. Von Weitem lugte Zoey in unsere Richtung – wer war denn jetzt der Stalker?

Kaycies Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Na warte, die wird noch was zu hören bekommen – darauf kannst du dich verlassen. Du hast ihr doch nie etwas getan!«

»Das sieht Zoey leider anders«, murmelte ich.

»Ach komm, wen interessiert jetzt schon Zoey?«

Nachdenklich lag mein Blick auf ihrer Schwester, die sich nicht vom Fleck gerührt hatte. Wie ein Geist stand sie da und beobachtete uns weiter auf ihre unheimliche Weise.

»Ich muss dir noch dringend erzählen, was ich herausgefunden habe. Das könnte der Schlüssel zu allen Problemen sein!« Mit vor Aufregung glitzernden Augen sah Kaycie mich an.

»Können wir das bitte später besprechen?«, fragte ich entschuldigend und deutete auf die große Uhr an der Fassade des Schulgebäudes.

Kaycie nickte scheinbar verständnisvoll, sie konnte ihre Enttäuschung aber nicht gut verbergen. »Klar. Wir sehen uns dann später!«, rief sie mir nach, als ich mich beeilte zum Sportunterricht zu kommen.

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