Bonuskapitel

90 10 5
                                    

Der Anfang vom Ende

__________ . . . __________

»Schließ deine Augen«, raunte er. Seine Lippen hauchten einen federleichten Kuss auf die empfindliche Stelle knapp unterhalb meiner Ohrmuschel.

»Warum?« Ich kicherte wie ein kleines Mädchen.

»Tu es einfach, vertrau mir.«

Ich schloss die Augen.

»Hörst du es?«, wisperte er, sein Atem strich über meinen Nacken und hinterließ ein wohliges Kribbeln.

Sanft schlang er seine kräftigen Arme um mich. Warm und sicher umfassten seine großen Hände meinen Bauch, der sich leicht wölbte. Beinahe hätte ich das Rumoren in meinem Inneren mit Schmetterlingen verwechselt, aber unter der Bauchdecke strampelten zwei winzige Wesen, machten sich bemerkbar und erfüllten mich mit einer Sehnsucht, die mich zu überwältigen drohte.

Und dann hörte ich es. Nein, ich spürte es. Ich roch es. Und ich schmeckte es. Eine leichte, salzige Brise spielte mit meinem Haar, fuhr mir, wie ein Streicheln von vertrauten Fingerspitzen über das Gesicht, hüllte mich mit ihrer Frische ein. Das stetige Rauschen, Klatschen und Tosen des Wassers erreichte meinen Hörsinn. Es zog sich zurück, und umspülte schließlich kühl und erfrischend meine Zehen. Prickelnd berührte es meine nackte Haut. Mir entfuhr ein Quieken, und mein Fels in der Brandung lachte. Tief und betörend vibrierte es an meinem Rücken. Ich vernahm seinen gleichmäßigen, pulsierenden Herzschlag und lehnte mich vollends in seine Umarmung. Gab mich dem Gefühl von Geborgenheit ganz hin.

»Ich möchte sie Katy und Elaine nennen«, flüsterte ich und schlug die Augen auf. Abertausende Sterne funkelten am dunklen Himmelszelt über uns, zusammen mit dem Vollmond, der einst eine magische Wirkung auf mich gehabt hatte. Nun erfasste mich gähnende Leere bei seinem Anblick. Lediglich eine Erinnerung, die nach und nach verblasste.

»Sie sind perfekt.«

Nichts anderes hatte ich von Oscar erwartet. Seine Nähe, seine Beständigkeit und seine grenzenlose Liebe, die er mir tagtäglich allein in seinen hellen, blauen Augen zur Schau stellte, waren Balsam für meine Seele. Und es war auch das Einzige, das er zu brauchen schien: Mich. Meine Lider flatterten, doch ich konnte die Träne, die meinem Augenwinkel entfloh, nicht aufhalten.

Sofort war Oscar zur Stelle, wischte sie zärtlich weg und drehte mich zu sich herum. Sein unbändiges, reines Lächeln ließ noch mehr Tränen in mir aufsteigen. »Was ist los, Kaycie?«

»Nichts ... Ich liebe dich nur ...«

Ich hätte schwören können, dass er den Atem anhielt, sein Puls geriet ins Stocken, dann pochte er doppelt so schnell gegen meine Handflächen, die ich auf die warme, weiche Haut unter seinem Schlüsselbein gelegt hatte. Dass ihn diese drei Worte nach all den Jahren noch immer so aufwühlten ...

Oscars Augen glänzten. »Ich liebe dich auch. So sehr«, erwiderte er ergriffen. Sein Blick wanderte über mein Gesicht, zu meinen Lippen, weiter hinab zu meinem Hals, die Rundung meiner Brüste und zu meinem Bauch. »Und diese kleinen Geschöpfe ... Seesternchen ... liebe ich auch unendlich. Ich kann es kaum erwarten, sie in den Armen halten zu können.« Eine weitere Träne rann über meine Wange, während seine eine Hand meinen Bauch streichelte und er mit dem Daumen der anderen die feuchte Spur trocknete.

»Lass uns gehen. Es wird kalt«, sagte ich, auch wenn ich einen ziehenden Schmerz in der Brustgegend fühlte. Es wurde Zeit, diesen Ort hinter uns zu lassen. Einen Neuanfang zu wagen. Lang genug hatte ich auf die Stelle geblickt, an der die Insel ins Meer versunken war. An der auch ein Teil meiner Selbst in den Tiefen verschwunden war. Obwohl es mehrere Jahre zurücklag, kam es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. Und ich wollte nicht jeden verdammten Tag an diesen Verlust erinnert werden. Ihnen – den kleinen Seesternchen – zuliebe wollte ich stark sein. Oscar zuliebe wollte ich stark sein. Sie verdienten es. Er verdiente es. Wir verdienten es.

»Ist gut, gehen wir. Uns erwartet ein neues Leben. Ein neues Zuhause, das mit Kinderstimmen und dem Tappen niedlicher, kleiner Füßchen erfüllt werden muss.«

Ja, das tat es.

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now