Kapitel 41 - Glücksbringer

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Nur noch ein Tag, schoss es mir beim Aufwachen durch den Kopf.

Unaufhaltsam rückte der Vollmond näher, und ich fühlte mich alles andere als bereit dafür. Was, wenn so etwas wie gestern noch einmal geschah? Wenn Zoey und ich uns erneut angriffen? Wenn wir diesmal nicht gestoppt werden konnten? Ich malte mir wahre Schreckensszenarien aus, in denen entweder Zoey oder ich blutüberströmt am Boden lag und keine Lebenskraft mehr im jeweiligen Körper steckte ... Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken.

Heute würde anstrengend werden, der nächste Tag versprach jedoch keine Besserung. Und so schleppte ich mich vom Bett ins Badezimmer. Anschließend tappte ich in die Küche. Zoey saß mal wieder fertig zurechtgemacht am Esstisch und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse, als ich den Kühlschrank erreichte.

»Und, was musstet ihr noch so Wichtiges besprechen?«, fragte sie unvermittelt.

»Hä?« Träge drehte ich mich zu ihr um, und wusste im ersten Moment tatsächlich nicht, was sie damit meinte.

»Na, du und Oscar! Bist du etwa schon so vergesslich?«

Auch heute klang sie erstaunlich freundlich, was mich zunehmend misstrauisch machte. Eine grundlegende Anspannung setzte sich in all meinen Muskeln fest. Irgendwann würde sich dieses Blatt wenden. Es handelte sich nur um die Frage, wann das in Kraft trat. Das Monster war noch da, und es würde sich mit ziemlicher Sicherheit wieder zeigen ...

Möglichst beiläufig zuckte ich mit den Achseln. »Das ist nicht so wichtig«, gab ich gähnend zurück.

»Ich kann da einen kleinen Fleck von Eifersucht in deinem Licht erkennen.«

»Ach ja?«

Sie nickte. »Hör mal, ich weiß wie viel Oscar dir bedeutet. Ich wollte mich wirklich nicht zwischen euch drängen. Das musst du mir glauben.« Zerknirscht sah sie mich über den Rand ihrer Tasse hinweg an.

»Du solltest nicht wissen, dass Oscar mir so viel bedeutet«, sagte ich unwirsch.

»Das sieht doch aber jeder, dass ihr wie füreinander geschaffen seid!«, widersprach sie mir.

Seufzend ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen. »So viel dazu«, murmelte ich.

Zoey zwinkerte mir zu. »Er wird dich bestimmt fragen, ob du mit ihm auf die Party gehst.«

Verwirrt sah ich von meinem Müsli auf. »Was denn für eine Party?«

»Kaycie, du bist aber heute neben der Spur! Die Abschlussparty natürlich! Auch die anderen Klassen sind dazu eingeladen – nicht nur die Abgänger.«

Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. »Ach die Party! Ja, da hat Oscar mal was erwähnt ...« Jetzt fiel es mir wieder ein. Heute hatte ich wirklich eine verdammt lange Leitung. »Wenn wir das überleben sollten ...«, fügte ich missmutig hinzu.

Ein ironischer Unterton legte sich über Zoeys Stimme. »Wer hat denn so felsenfest behauptet, wir werden das schon überstehen?«

»Da wusste ich noch nicht, dass der Stein einen ›Anti-Fluch-brech-Modus‹ hat«, hielt ich ihr entgegen, und setzte das Wort, das ich soeben erfunden hatte, mit den Fingern in Anführungszeichen.

»Uns fällt schon etwas ein.«

Echt verwirrend, dass sie so nett zu mir war. Benommen nickte ich und schaufelte mir einen weiteren Löffel in den Mund.

Nach der Schule verschlug es mich direkt an den Strand. Ich brauchte irgendetwas, das mich ablenkte. Doch dort sah ich die ganze Zeit die Insel in der Ferne, und am Himmel war der Mond selbst bei Tag noch zu erkennen. Er war nun fast vollkommen rund, ein winziges Stückchen fehlte noch, und das bereitete mir ein mulmiges Gefühl.

»Ah, hallo Kaycie! Dich habe ich gesucht.« Überrascht wirbelte ich herum und blickte in Judys lächelndes Gesicht. »Ich nehme an, ihr wart gestern auf der Insel, und du konntest Zoey von der Sache überzeugen.«

Ich hinterfragte nicht einmal, woher sie das schon wieder hatte, sondern gab ihr zu verstehen, dass sie in ihrer Annahme richtig lag. Diese Frau schien einfach allwissend zu sein. »Ja, wir haben den Stein gefunden ... allerdings gibt es da ein Problem.« Ich biss mir auf die Unterlippe.

»Was denn für ein Problem?«

»Sobald Zoey und ich den Stein zu Gesicht bekommen, benehmen wir uns seltsam. Es ist, als ruft er nach uns. Ich möchte ihn in der Hand halten ... und nie wieder loslassen. Wir haben uns deswegen ziemlich in die Haare gekriegt, bis Oscar den Stein an sich genommen hat.«

Nachdenklich fuhr sie sich über das Kinn. »Mackenzie muss irgendwelche Vorkehrungen getroffen haben. Wahrscheinlich hat sie den Stein mit einem Zauber belegt.«

»Das hat Zoey auch schon vermutet. Kann man denn irgendetwas dagegen tun?«

Mrs. Parkers Gesichtsausdruck mutete zuerst zweifelnd an, dann hellte er sich plötzlich auf. »Vielleicht gibt es da tatsächlich etwas!« Erfreut klatschte sie in die Hände. »Komm mit! Dafür müssen wir zu mir nach Hause.« Über ihre Schulter hinweg drängte sie mich dazu, ihr zu folgen.

Kopfschüttelnd setzte ich mich in Bewegung. Wie konnte sie gleichzeitig so langsam wirken und doch so schnell sein?

»Hier.« Sie legte zwei Anhänger, die genau gleich aussahen, vor mir auf den Tisch. »Das sind Schutzamulette. Sie wirken bei jeder Art von Zauber. Egal, mit welcher Magie ein Gegenstand belegt ist, das Amulett hält sie von dir fern – solange du es trägst.«

Der Anhänger bestand aus einer Spirale, ähnlich dem Wasserzeichen. Allerdings war diese Spirale aus Silber gearbeitet.

»Wie funktioniert das?«

»Die Anhänger wurden mit einem starken Schutzzauber belegt. Sie sind ein Familienerbstück und gehören somit dir und Zoey.« Mehr sagte sie dazu nicht. Es sollte wohl ein Geheimnis bleiben, woher genau die Ketten stammten und wie man einen solchen Zauber auf einen Gegenstand wirkte.

Judy nickte mir aufmunternd zu. Vorsichtig nahm ich einen der beiden Anhänger in die Hand und legte ihn mir um den Hals. »Vielen Dank!«

»Ich wünsche euch viel Glück. Ich glaube an euch. Wenn es jemand schafft, dann ihr«, sagte sie. Gerührt von ihren Worten, umarmte ich Mrs. Parker. »Du kannst mich gerne duzen. Ich hasse es gesiezt zu werden, da fühle ich mich so alt«, murmelte sie an meiner Schulter.

Daraufhin musste ich lachen. »Okay, ich werde es mir merken.«

Auf dem Rückweg traf ich Zoey am Hafen. Sie hatte auf einer Mauer Platz genommen, die etwa einen Meter in die Höhe ragte. Nachdenklich schweifte ihr Blick in die Ferne.

»Ich habe hier etwas, das unser Problem mit dem Stein beheben könnte.«

Hastig fuhr sie herum, offenbar hatte sie nicht mit mir gerechnet. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Sie machte einen nervösen und erschöpften Eindruck. »Mehr als einen Tag werde ich sie nicht mehr aufhalten können. Es kostet mich beinahe meine gesamte Kraft«, erklärte sie auf meine besorgte Miene hin.

»Den hat mir Mrs. Parker für dich mitgegeben. Es ist ein Schutzamulett. Damit kann uns der Stein nicht mehr beeinflussen.« Ich reichte ihr den zweiten Anhänger.

Zoey hielt die Kette zwischen den Fingern und betrachtete sie eingehend, dann blickte sie auf meine. »Es sind zwei, die genau gleich aussehen. Meinst du, sie haben unserer Grandma und ihrer Schwester gehört?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Judy meinte nur, sie wären ein Familienerbstück. Den Rest ließ sie im Ungewissen.«

Zusammen hockten wir auf der Mauer und schwiegen. Es herrschte keine unangenehme Stille, eher verständigten wir uns ganz ohne Worte. So, wie wir es schon von klein auf gehandhabt hatten. Und seit einer gefühlten Ewigkeit war mir meine eigene Schwester nicht länger fremd.

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now