Kapitel 15 - Verrat

106 21 3
                                    

Fluch der Vergangenheit - Teil 1

__________ . . . __________

Mom war ebenfalls eine Meerjungfrau? Ich konnte einfach nicht fassen, was ich da vor mir hatte. Erinnerungen an meine Kindheit kamen wieder hoch. Szenen, an die ich mich kaum entsann. Zoey und ich zusammen in unserem Bett. Mom saß am Fußende und erzählte uns mit leuchtenden Augen eine Gutenachtgeschichte. Sie handelte von Meerjungfrauen ... Natürlich, wieso war ich nicht schon viel früher darauf gekommen!

Mit der flachen Hand schlug ich mir gegen die Stirn. So viele Hinweise hatte Mom mir über all die Jahre hinweg gegeben. Sie hatte es nie wirklich geheim gehalten – und ich hatte es als ein dämliches Märchen abgetan. Sie wusste eindeutig etwas darüber. Konnte ich sie geradewegs darauf ansprechen? Sollte ich gleich zu ihr gehen und ihr den Anhänger zeigen?

Aber was, wenn ich mich irrte, wenn sie doch nichts darüber wusste? Das Bild in dem Anhänger konnte genauso gut ein Fake sein, und meine Eltern hatten das nur zum Spaß gemacht. Bei der Schwanzflosse konnte es sich lediglich um ein Kostüm handeln ... Aber das erklärte nicht, warum ich eine echte Meerjungfrau war, und diese Kette kilometerweit vom Festland entfernt gefunden hatte.

Ich raufte mir die Haare. So kam ich definitiv nicht weiter, wenn ich nur hier saß und nachdachte. Da ich es jedoch als zu früh empfand, Mom damit zu konfrontieren, schwamm ich noch einmal zur Insel. In der Grotte setzte ich mich an den Rand des Sees und starrte ins glitzernde Wasser. Es plätscherte vor sich hin und hallte in der Höhle mit einem lauten Echo wider.

Ich lehnte mich an die Felswand und schloss die Augen. Auf einmal hatte ich das Gefühl zu fallen. Die Umgebung drehte sich, dann wurde alles schwarz um mich herum ...

Mackenzie saß allein am Steg und ließ die Beine über dem Wasser baumeln. Die Sonne sank tiefer, näherte sich dem Horizont immer mehr. Dem Rand, wie so viele meinten. Das Ende der Welt. Aber vielleicht war dort in der Ferne nicht das Ende, vielleicht war dort viel mehr. Vielleicht gab es dort so etwas wie ein Paradies.

Sie träumte oft davon, an Bord eines Schiffes zu gehen und nie wieder zurückzukehren. Selbst wollte sie sehen, was es mit den ganzen Erzählungen auf sich hatte. Als Waisenkind hätte sie das tun können, aber sie besaß eine Familie, eine Schwester, die sich auf sie verließ.

Eine kühle Brise wehte ihr die rötlich schimmernden Haare aus dem Gesicht. Die Luft roch frisch und gleichzeitig aufgeladen. Bald würde ein Sturm aufziehen das spürte sie.

Der Steg vibrierte unter Schritten, die sich ihr näherten. Es waren leichte, schnelle Schritte. Kurz darauf hörte sie das glockenhelle Lachen ihrer Schwester. »Zie! Zie!«, flötete diese überglücklich.

Bei dem Klang ihres Spitznamens zog sich etwas in Mackenzies Brust schmerzhaft zusammen. Sie ahnte bereits, dass sich ihre schlimmsten Vermutungen in genau diesem Moment bewahrheiten würden, noch bevor Giselle ein Wort gesagt hatte. Mit einem überzeugenden Lächeln drehte sie sich zu ihrer Schwester um.

Diese rannte auf sie zu, dabei flogen ihre langen Haare nur so durch die Luft. »Du wirst es nicht glauben!«, rief sie aus und nahm schwungvoll neben ihrer Schwester Platz. Sie merkte gar nicht, dass sich Mackenzie von ihr distanzierte. Dafür war sie zu aufgeregt, die Wangen leicht gerötet, die Pupillen geweitet. »William hat mir einen Antrag gemacht!« Sie griff nach Mackenzies Händen. Nur widerwillig ließ diese es geschehen, dass Giselle ihre Finger umklammerte. »Er will, dass ich seine Frau werde! Ist das nicht ... phantastisch?«

»Ja, das ist ... toll«, meinte Mackenzie mit dem gezwungenen Lächeln, das sie noch immer beibehielt. Ihr war, als hätte ihr jemand in die Magengrube geschlagen. Verratdas war das erste Wort, das ihr in den Sinn kam.

William, der noch vor Kurzem so an ihren Lippen hing, hatte sich für eine andere entschieden: ihre Schwester. Und würde Giselle ihn heiraten, so mussten sie beide ihre Kräfte aufgeben. Besiegelt mit einem lebenslangen Schwur. Sie würde ihre Schwester und die Magie, die pulsierend durch ihre Adern floss, verlieren ...

Giselle sprang auf. »Komm schon, Zie! Das müssen wir feiern!«

Lachend zog sie ihre Schwester mit sich. Sie eilten durch den Hafen, an den vielen Ständen vorbei, an denen trotz der späten Stunde reges Treiben herrschte.

Zusammen saßen sie alle am Tisch. Ihre Mutter hatte ein wahres Festessen gezaubert, zur Feier des Tages. Ihre ganze Familie sowie die des zukünftigen Bräutigams waren anwesend. Mackenzie fühlte sich fehl am Platzsie wusste nicht, wen sie mehr hassen sollte: ihre Schwester oder diesen Verräter, der sich ihr Geliebter genannt hatte. Sie verzog keine Miene, ballte jedoch die Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Es würde ihnen allen noch leidtun.

Den ganzen Abend und bis in die frühen Morgenstunden hinein wurde ausgelassen gefeiert, nur Mackenzie saß stumm in einer Ecke und rührte sich nicht vom Fleck, während ihre Schwester und William schmachtende Blicke austauschten und wild herumtanzten. Irgendwann konnte sie den Anblick dieses scheinbar so verliebten und glücklichen Paares nicht mehr ertragen, wandte sich ab und verließ schließlich die Runde.

Im Schummer des heranbrechenden Tages spazierte sie am Hafen entlang, sah hinaus auf das weite Meer, mit dem sie sich nach und nach verbundener fühlte. Vielleicht war doch etwas Gutes daran, nicht mehr an ihre Schwester gebunden zu sein. Denn war das Ritual vollzogen, war sie frei und konnte für immer diesen Ort und die schmerzhaften Erinnerungen, die damit einhergingen, hinter sich lassen ...

»Warum läufst du hier so allein herum?« Viel zu nah an ihrem Ohr vernahm sie mit einem Mal diese einst so vertraute Stimme, deren Klang ihr wie seine sinnlichen Berührungen eine prickelnde Gänsehaut beschert hatte.

Ihr Herz zog sich zusammen. Es schrie nach Vergeltung für die Qualen, denen es ausgesetzt war. Wütend wirbelte sie herum und deutete anklagend auf Williams Brust. »Wage es nicht, mit mir zu sprechen!«, fuhr sie ihn leise drohend an. Ihre Augen funkelten gefährlich vor Zorn.

Erschrocken wich er einen Schritt nach hinten aus und hob beschwichtigend die Hände. »Zie-«

»Geh mir aus den Augen, du elender Verräter!«, brüllte sie, kurz davor die Kontrolle zu verlieren.

Er wagte es, mit ihr zu sprechen, als hätte er sich niemals für ihre Schwester entschieden. Als hätte er sie nicht wie ein Spielzeug durch das nächstbeste ersetzt. Zutiefst hatte er sie damit getroffen.

Allein durch Gedankenkraft beschwor sie den Sturm herauf, der erst in ein paar Stunden niedergehen sollte. Eine starke Windböe zerrte an Williams Kleidung. Dichte, unheilvolle Wolken brauten sich über ihnen zusammen. Grelles Wetterleuchten zuckte dazwischen hervor.

»Zie, ich kann das erklären ... wie?« Verwirrt sah er sich um, dann starrte er sie mit weit aufgerissenen Augen an, in denen Begreifen und Abscheu aufblitzten, hatte er doch ihre wahre Natur erkannt.

Genüsslich betrachtete sie die Angst, die kurz darauf in seinem Blick aufflackerte. Ein dunkles Lachen entfuhr ihr. »Du wirst es noch bereuen, eine Hexe hintergangen zu haben!«, rief sie. Wahnsinn breitete sich in ihren Gesichtszügen aus.

Abrupt machte Mackenzie auf dem Absatz kehrt und verschwand im Nebel der Dämmerung ...

Keuchend schreckte ich auf. Benommen sah ich mich um. Was zum Teufel war das?

Mondsüchtig | VerwandlungWhere stories live. Discover now