VI | Zehn Menschen

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„Ihr habt gleich noch genug Zeit zu tratschen. Adula wird sicher liebend gern mit euch eine Tasse Tee trinken", murmelt Baltasa. Noch immer blättert er in seinem kleinen Büchlein herum. „Denkt bitte daran, dass am Samstag die Ratssitzung ist. Es wird das vollständige Erscheinen jeder Bruderschaft erbeten."

„Können wir gehen?" Fällt Victorie ihm ins Wort und tippt ungeduldig, mit ihren gefährlich spitzen Nägeln, auf die Tischplatte. „Ich wollte heute noch etwas anderes machen, als dir beim Lesen zuzusehen." „Dann verschwinde, Victorie", erwidert der Großmeister knurrend, sieht jedoch immer noch nicht auf und bemerkt so ihren feindseligen Blick nicht. Nun ja, der ist aber auch nichts neues, immerhin ist das so ziemlich ihr Standard-Gesichtsausdruck. „Die Sitzung ist beendet."

„Und dafür hab ich ein Date abgesagt", kann ich Logan grummeln hören, während ein Stuhl nach dem anderen zurück gerückt wird und die Mitglieder der Bruderschaft sich, so schnell wie möglich, aus der Halle verkrümeln.

„Was musstest du der Kleinen zahlen, damit sie dich trifft?" Will Nick von seinem jüngeren Partner wissen und klopft ihm auf die Schulter. Empört sieht Logan ihn an. „Nick!"

Ich schüttle den Kopf und erhebe mich, wobei ich bemerke, dass Elijah schon verschwunden ist. Wie schnell bewegt der sich bitte? Auch als ich zur Tür blicke, kann ich ihn dort nicht sehen. Die einzigen, die dort gerade verschwinden, sind Isabell und Victorie und mit ihnen Valentin, der es ganz schön eilig zu haben scheint. Ich runzle kurz die Stirn darüber, setze mich jedoch ebenfalls in Bewegung um zu Madame Rosario zu gehen und sie nach dem passenden Kostüm für die Zeitreise zu Großvater zu fragen. Irgendwas haben wir da sicher im Schrank. Müssen wir ja, eine Zeitreise zu Grandpa scheint jedenfalls nichts Außergewöhnliches zu sein. Zumindest für Isabell nicht.

„Auf ein Wort, Katharina!" Hält mich da Baltasas Stimme, kurz vor der Tür auf. Ich kann spüren, wie mir, nur für einen Moment, die Gesichtszüge entgleiten. Gott, wieso tut man mir sowas an.

Übertrieben höflich drehe ich mich zu ihm um und lächele ihn an. „Ja, Baltasa?"

Mit einer Hand winkt er mich heran. Was ist es, dass er es nicht einfach laut aussprechen kann? Während ich nach vorne gehe, dorthin, wo der Halbkreis eine Bühne bildet, realisiere ich, dass Nick Logan rausschickt. Somit bleiben nur Lucias, Nick, Baltasa und ich. So langsam bekomme ich Angst.

„Hier", kaum bleibe ich stehen, hält Baltasa mir das kleine Büchlein hin, in welchem er die ganze Zeit geblättert hat. „Du kennst es, Katharina."

„Katherine", seufze ich resigniert und nehme das Buch entgegen. Ich bezweifle, dass er es jemals lernen wird. Sobald mein Blick auf den Einband des Buches fällt, stockt mir der Atem. „Ich möchte es nicht lesen, vielen Dank." Fast schon flehend halte ich Baltasa das Buch hin. Bitte bitte, nimm es einfach. Bitte.

„Ließ es, Katharina." Beharrt Baltasa und sieht von seinem Platz, etwas über mir, auf mich hinab. „Ließ es." „Ich möchte aber nicht", wiederhole ich. Ich will nicht, er kann mich nicht zwingen...

„Ließ." Ertönt Nicks tiefe Stimme hinter mir. Ich schlucke. Den Werwolf im Rücken, und dann einen Befehl des Großmeisters missachten, das geht nicht gut.

„Ich weiß, was da drin steht!" Versuche ich es noch ein letztes Mal und schüttle das Buch, als könnte es das irgendwie bezeugen.
„Es gibt neue Einträge", lächelt Baltasa. Es ist unfassbar makaber, dass er darüber Lächeln kann.

Meine Finger zittern, als ich doch die ersten paar Seiten überblättere und versuche, keinen Namen zu lesen. Solange sie keinen Namen haben, sind sie Gesichtslose Gespenster in meinem Kopf. Sie sind nicht wirklich echt, sie haben keine Dimension, rede ich mir ein. „Und wozu soll ich die lesen?" Es ist überraschend, wie wenig meine Stimme zittert, obwohl mir mit jeder Seite mehr, und mit jedem Namen den ich versehentlich lese, nach heulen zumute ist.

Time Travelling | Lost in TimeWhere stories live. Discover now