XCVIII | Ein Datum

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Ich bin perplex. Natürlich will ich die Antwort auf diese Frage. Seit Jahren will ich wissen, was wirklich mit meiner Mutter passiert ist, wieso sie uns bei Dad einfach so zurückgelassen hat. Und nun soll ich zurückschrecken, wo ich so kurz davor bin, mein Ziel zu erreichen? Das ist doch lachhaft. Doch plötzlich fällt mir wieder die Vision ein, die mir im Artefaktesaal geschickt wurde.

Meine Mutter, eine junge Frau mit braunen Haaren, mit einem Baby im Arm. Meine Mutter, mit einem Kind im Arm, was definitiv nicht mein Bruder oder ich ist. Die Warnung, die mir schon so oft entgegengebracht wurde. Vielleicht wirst du nicht das finden, was du gerne auffinden würdest.

Aber ich muss es wissen. Hier geht es nicht nur um mich und mein Verlangen danach, meine Familie unter irgendwelchen seltsamen Umständen wieder zusammenzuführen. Hier geht es um mehr. Um größeres. Um die Taschenuhren. Ihre und die meines Großvaters, die sich in ihrem Besitz befinden muss. Es ist nicht eine Frage, ob ich mir sicher bin, es ist eine Frage danach, was die Solidarität von mir verlangt.

„Ja." Eine schlichte Antwort, doch erscheint es mir nicht passend, hier große Reden zu schwingen.
Morgana mustert mich einmal, lässt ihren Blick von meinen Schuhen über meine Jeans gleiten, bis hinauf zu den Spitzen meiner Haare. Dann schweift ihr Blick ab. „Ich könnte gehen, Katherine. Niemand müsste wissen, dass ich hier war."
„Lesen Sie meine Gedanken?", will ich schockiert wissen. Mir war nicht bewusst, dass das überhaupt möglich wäre.

Schwach winkt Morgana ab, ehe sie nachdenklich die Arme vor der Brust verschränkt. Ein müdes Lächeln zeichnet sich auf ihren perfekt nachgezogenen Lippen ab. „Nein. Nicht, dass das nötig wäre. Du bist zu lesen wie ein offenes Buch. Besonders wenn man einmal in deinem Kopf gesteckt hat."
Ich spiegele ihre Haltung, jedoch deutlich beunruhigter. „Was soll das heißen?"
„Du weißt, was das heißen soll", erwidert sie, erlangt wieder etwas von der direkten Art zurück, die ich mit ihr in Verbindung bringe. „Ich war in deinen Träumen. Natürlich war ich auch in deinem Kopf. Und was ich dort gesehen habe, das war... durchaus spannend."

Ruckartig entfalte ich meine Arme und mache einige schnelle Schritte in ihre Richtung, als würde ich sie angehen wollen. Ich würde niemals gegen sie ankommen. „Kein Wort, zu irgendwem", zische ich mit dem Wissen, mir genau bewusst zu sein, wovon sie gerade spricht.
Morgana zuckt nicht einmal. Natürlich. Sie ist Jahrhunderte alt, wahrscheinlich stand sie schon sehr viel gefährlicheren Menschen gegenüber. Ungerührt erwidert sie meinen bösen Blick. „Das muss ich nicht. Wie gesagt, du bist ein offenes Buch. Es würde mich wundern, hätte es jemand in deinem Umfeld noch nicht erkannt."
„Es gibt keinen Grund sie in irgendeine Richtung zu lenken", fauche ich wütend, lasse mich gegen die Schränke sinken und stütze meine Hände darauf ab.

Morgana beginnt zu lächeln. „Ehrenwort, Katherine. Unter einer Bedingung."
Na klar. Bedingungen.
Dass ich nichts sage, scheint sie als eine Aufforderung zu sehen, dass sie fortfahren soll. „Dieses Treffen bleibt unter uns. Kein Wort zu irgendjemanden. Nicht zu Elijah, nicht zu deinen Freunden, nicht zu... Nicht zu dem Allianzbeauftragten."

Ich stocke. Woher weiß Morgana von meiner, zugegeben ungewöhnlichen, Beziehung zu Mister O'Byrne? Wie viel konnte sie innerhalb von ein paar Tagen in Erfahrung bringen?

„Du hast den Aufenthaltsort deiner Mutter durch eine Vision erfahren, als du die nackte Wand berührt hast. Soweit du weißt, bin ich während des Sturms umgekommen."
„Wieso?"
Sie löst die Klammer, die ihre Haare gebändigt hat, und fährt sich durch die dunklen Locken. „Es ist so momentan sicherer für dich und auch für mich. Du hast sehr mächtige Feinde. Feinde, von denen du bisher wahrscheinlich noch gar nichts weißt. Ich bin für dich am nützlichsten, wenn die Welt für einen Moment vergisst, dass ich existiere."

Ich runzle die Stirn. Dass die Welt, besonders die andere Welt nach diesem Ausbruch, Morgana le Fey vergisst, das klingt abstrus. Doch selbst Steve konnte sie nicht finden und wie man sie in Erinnerung hatte, sieht sie auch nicht mehr aus. Nur wozu das alles? „Kann ich nicht mal Elijah einweihen?"

„Besonders nicht Elijah", schüttelt sie den Kopf. „Deine Feinde standen Elijah einst sehr nahe. Es wäre ein zu großes Risiko, würden sie in seinen Kopf eindringen und deine Geheimnisse finden. Vertraue mir, Katherine."

Das tue ich eigentlich nicht. Aber wahrscheinlich bleibt mir nichts Anderes übrig. Und anhand ihrer Körpersprache vermittelt sie mir eindeutig, dass sie mir nicht mehr Informationen geben wird, zu diesen ominösen Feinden. Weiß sie, wer die Dunkle Garde auf mich angesetzt hat? „In Ordnung."

Das Lächeln erscheint wieder auf Morganas Gesicht. Unheilvoll, dunkel und doch faszinierend. Sie greift in die Tasche ihrer Hose, holt einen kleinen, vergilbten Zettel hervor und reicht ihn mir. Bevor ich danach greifen kann, zieht sie ihn noch einmal zurück. „Und kein Wort."

„Kein Wort", wiederhole ich, schließe meine Finger um das dünne Papier. Sobald ich es habe, falte ich es aufeinander und werfe einen Blick auf das Datum und den Ort, welche feinsäuberlich in einer schmalen, verschnörkelten Schrift dort vermerkt wurden.
18. August 1533. Luccombe.
Und sobald meine Augen über die Buchstaben geflogen sind, löst sich das Papier in meiner Hand auf. Nicht einmal mehr Staub davon bleibt. Ich sehe auf. Direkt in Morganas Augen. Sie hebt einen Finger an die Lippen.
18. August 1533. Luccombe.
„Wo ist das?"
„Isle of Wight. Die bessere Frage wäre wohl, wann das ist."
„18. August 1533", wiederhole ich, durchforsche mein Gehirn nach Anhaltspunkten, was damals in Großbritannien passiert ist. Anders als in der amerikanischen Geschichte, bin ich damit nicht ganz fit. „Heinrich der Achte hat Anne Boleyn geheiratet, in diesem Jahr."
Morgana nickt. „Sehr richtig. Und deine Mutter befindet sich zu diesem Zeitpunkt seit mehr als 10 Jahren bereits auf der Insel." Sie stoppt, als würde sie abwägen, ob sie ihre nächsten Worte überhaupt laut aussprechen soll. Sie tut es. „Sei nachsichtig mit ihr, Katherine."

Ich antworte ihr nicht. Sehe den Punkt nicht. Ich weiß nicht, was mich dort erwarten wird, ich werde keine leeren Versprechen machen.

18. August 1533. Luccombe.

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Schalom!

Wir haben endlich ein Datum und einen Ort. Der erste gigantische Schritt in die Richtung, die Kathy so lange angestrebt hat. Und ein Teaser darauf, was uns bald noch erwartet ;D

Wir sehen uns nächsten Donnerstag hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeWhere stories live. Discover now