LXIII | Eine Rückkehr

13 3 35
                                    

„Kommst du?", auffordernd deutet Elijah auf die Tür und klingt dabei so, als hätte er das gerade nicht zum ersten Mal gesagt.
Ich nicke eilig, versichere mich, dass mein Handy noch in der Tasche meiner Jeans steckt und meine Taschenuhr den sanften Druck auf meinen Hals ausübt. Ich will nichts im Haus des Allianzbeauftragten vergessen und am liebsten so schnell wie möglich zurück nach Malson Falls zurückkehren. Die Kleinstadt, wo noch alles gut zu sein scheint. Nun, außer den Vampiren und Werwölfen und einer geheimen Bruderschaft. Ansonsten ist das der einzige Ort auf der Welt, an dem noch alles gut zu sein scheint.

Mit schnellen Schritten folge ich den anderen den langen Flur hinunter, der sich bis in die Unendlichkeit zu strecken und in dem die laute Stimme Baltasas hunderte Male wiederzuhallen scheint. Ein Albtraum. Hinter uns schleppen ein paar von O'Byrnes gruseligen Angestellten unsere Koffer nach unten und in den Vorgarten, wo sie von den Stallburschen in die bereitstehenden Kutschen geladen werden. Isabell war so frei und hat meine Sachen gepackt, während Vici nach Elijah und mir gesucht hat.

Die Kutschen sind dunkelgrün und sehr viel weniger verziert, als die, die der Rat geschickt hat, um uns vom Hafen abzuholen, was mir nur recht ist. In dem überladenen Ding aus Blau und Gold habe ich mich gefühlt, wie eine Adelige, die vor der französischen Revolution flüchtet. Sie werden gezogen von jeweils zwei Pferden. Während unsere Koffer ordnungsgemäß aufgeladen werden, lächelt uns unser Gastgeber freundlich an. „Ich hoffe, trotz all der Unannehmlichkeiten konntet ihr den Aufenthalt auf den Inseln genießen."
„Natürlich", platzt es aus Baltasa heraus, gibt uns nicht einmal die Gelegenheit, etwas zu dem Allianzbeauftragten zu sagen, der das alles nur ruhig hinnimmt. Ich bezweifle allerdings auch, dass irgendwer etwas dazu sagen wollen würde. Isabell, die sonst für Höflichkeiten zuständig ist, starrt noch immer O'Byrne an, als wäre er das Monster, das in ihren Albträumen lebt. Wenn wir wieder Zuhause sind, muss ich mit ihr darüber sprechen.

„Eine Freude, das zu hören", erwidert O'Byrne, entwindet sich geschickt einem erneuten Handschlag, indem er auf die Kutschen deutet. „Ich wünsche eine angenehme Heimreise."

Ich nicke freundlich und schenke dem Allianzbeauftragten ein Lächeln, bevor ich durch die offene Tür in die Kutsche steige und mich auf eine der gepolsterten Bänke sinken lasse, die mich zu verschlingen drohen, so weich sind sie. Wie auch schon auf dem Weg zum Rat, steigen Victorie, Isabell und Elijah zu mir. Mein Partner sitzt neben mir, aber dieses Mal macht es mir deutlich weniger aus, als zuvor. Nur um meine Cousine mache ich mir Sorgen.

Die sitzt steif wie ein Brett neben ihrer Partnerin, die Hände so fest ineinander verschränkt, dass sie weiße Abdrücke hinterlässt, und atmet zitternd ein und aus. Es ist wie eine Panikattacke oder wie ein Zustand der Angst, in seiner ursprünglichsten Form. Sie hat den Blick auf ihre perfekt manikürten Nägel geheftet, doch ich meine Tränen in ihren Augen erkennen zu können. Ich weiß, dass das hier der falsche Ort ist, um das anzusprechen, denn alles hier hat Ohren, doch ich nehme mir vor, Isabells Angst in O'Byrnes Nähe in mein Gedächtnis aufzunehmen. Irgendeine Erklärung dafür muss es geben.

Victorie, die die Angst ihrer Partnerin ebenfalls bemerkt zu haben scheint, schiebt ihre Hand sanft über die der Blondine. Ich wende den Blick ab, will die beiden nicht in einem Moment zwischen ihnen stören. Stattdessen sehe ich zu meinem Partner hinüber, der einen Arm am Fensterrahmen abgelegt hat und sich mit der Hand nachdenklich übers Kinn fährt. Er ist in Gedanken versunken, bemerkt scheinbar nicht, dass ich ihn beobachte. Eine einzelne Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht, schwingt bei jedem Atemzug vor sich hin. Ich schmunzle und sehe aus dem Fenster, auf die schneeweiße Fassade des Hauses, was wie aufgesetzt wirkt.

Baltasa und O'Byrne wechseln letzte, ernste Worte, die ich von hier aus nicht verstehen kann, ehe der Großmeister nickt und in die erste Kutsche einsteigt. Kurz darauf setzt unser Gespann sich rumpelnd in Bewegung, die feine, weiße Einfahrt zu O'Byrnes Haus hinunter und auf den etwas holprigeren Weg, der quer über die Inseln führt und uns zum Hafen bringt. Zu dem Elfenschiff Lady Esiyae, das uns sicher wieder an einen menschlichen Hafen bringt. Auch wenn ich mich frage, was die Fischer denken, wenn ein Haufen Elfen von einem altertümlichen Schiff strömt. Nun, sie wissen nicht, dass es Elfen sind, aber alleine unser Kapitän, der Grünhaarige, exzentrische Mann, mit dem Sternförmigen Schnauzer, zieht mit Sicherheit einige Blicke auf sich.

Ich lehne mich etwas mehr zur Seite, um noch einen letzten Blick auf das Anwesen zu werfen, was uns die letzte Nacht Unterschlupf geboten hat, wie ein ziemlich steriles Hotel. Es steht da, so hell angeschienen von der Sonne, dass man es fast nicht mehr ansehen kann. Wie ein Eisblock auf einer grünen Wiese und davor, ein dunkler Schatten vor der weißen Kulisse, steht Mister O'Byrne und sieht uns nach. Ich kann eigentlich nur seinen dunkelblauen Anzug erkennen, der Rest verschwimmt mit der Farbe hinter ihm.

Ich lehne meinen Kopf gegen den Fensterrahmen und betrachte genau, wie das Haus immer kleiner wird und den Blick freigibt auf das Dach. Für eine Sekunde stockt mein Atem. Ein dunkler Schatten gleitet über das Dach, als gäbe es keine Schwerkraft, die ihn nach unten ziehen kann. Im nächsten Moment ist er schon wieder verschwunden, doch ich habe es gesehen. Das rote Aufblitzen, das sich drastisch von der schwarzen Silhouette abhebt. Es passiert in dem Bruchteil einer Sekunde, also kann es auch gut sein, dass ich einfach nur paranoid werde, so wie Victorie gesagt hat, und Dinge sehe, die gar nicht da sind, und doch habe ich das Gefühl, dass es wirklich da war. Die Rote Hand auf dem Dach des Allianzbeauftragten.

Ich traue mich nicht, es den anderen zu sagen, die gerade in ihre eigenen Sorgen vertieft zu sein scheinen. Mein Verstand hat mir erneut einen Streich gespielt, das ist es. Die Rote Hand wäre niemals so leichtsinnig, sich hier blicken zu lassen. Nicht so dumm. Das wäre nicht einmal als Herausforderung zu rechtfertigen, es wäre einfach nur dumm.
Nervös wische ich meine feuchten Hände an meiner Hose ab und lasse mich zurück in die Kissen sinken. Vielleicht hat O'Byrne recht. Vielleicht fühlen einsame Seelen andere einsame Seelen. Vielleicht ziehe ich ihn an. Vielleicht führe ich ihn genau an sein Ziel.

-------------------------------

Schalom!

Die Rückkehr der Roten Hand und das schon so früh. Und ausgerechnet in der Nähe des Allianzbeauftragten, der hier sowieso schon absolut nicht gerechtfertigt unter Verdacht steht... was auch immer getan zu haben.

Wir sehen uns nächsten Donnerstag hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt