LI | Eine Bitte

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„Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst." Ich weiß nicht, wieso diese Worte über meine Lippen kommen und doch tun sie es. Und es ist die Wahrheit. Jamie kann das Schwert tragen, um sich selbst zu verteidigen. Aber ich brauche es nicht. Ich habe gelernt, wie ich kämpfe. Und noch wichtiger: Wie ich flüchte. Ich brauche Jamie nicht.

„Die einzige Person, die ich brauche, ist El-", ich breche meinen Satz ab, als ich bemerke, was da gerade beinahe aus meinem Mund gekrochen wäre. „Bin ich", verbessere ich und schlucke. Scheint so, als würde nun auch mein Unterbewusstsein gegen mich arbeiten. Wie Victorie es vorhergesehen hat.
„Ihr seid eine beeindruckende Dame, Lady Katherine", schmunzelt Jamie, scheint meinen Versprecher einfach so abzutun oder hält es für eine dieser seltsamen Arten zu reden, die von den Menschen stammt. Die Elfen scheinen Menschen nicht wirklich zu verstehen. Zumindest nicht so ganz. Ich bin dankbar dafür.

In diesem Moment zieht Jamie sein Schwert. Sofort bin ich bereit, den Dolch in meinem Stiefel zu ergreifen, auch wenn ich etwas überrumpelt davon bin. Doch statt mich in irgendeiner Weise anzugreifen, sinkt Jamie langsam auf die Knie, legt das geschmiedete Kunstwerk auf seine flachen Hände und hält es mir wie eine Opfergabe entgegen. Seinen Blick richtet er gegen den Boden, den Kopf hält er gesenkt. „Lady Katherine, würdet Ihr mir erlauben, Euch zu schützen?"
Die Situation wirkt, als wäre sie direkt aus einem Märchen und ist so absurd, dass ich lachen muss. Es ist der falsche Moment für so eine Reaktion und doch kann ich mich nicht daran hindern. Jamies Charme wäre deutlich besser in einer von Dannys Serien aufgehoben, als in der anderen Welt. Es ist irrsinnig.

„Dies sei Euch erlaubt", kichere ich, löse meine Arme und streiche mit einer Hand über seine, in der das Heft des Schwertes liegt. „Da Ihr darum bittet."
Jamie blickt auf, seine hellen Augen blitzen im Licht der Flammen um uns herum. „Ich danke Euch, Mylady."
Schneller als meine Augen mitgehen können, wendet Jamie sein Schwert herum und verstaut es wieder in der Scheide. Anschließend erhebt er sich mit einer Eleganz, die nur von einer Person kommen kann, die jeden Tag damit verbringt zu kämpfen.

„Dann lasst uns nun tanzen", lächelt er, seine Stimmung hat sich um 180 Grad gewendet und wieder einmal bewundere ich diese Veränderungen der Launen, über die anscheinend alle Wesen der anderen Welt verfügen. Einladend bietet er mir seine Hand an, mit der er eben noch sein Schwert gehalten hat. Kurz zögere ich, dann ergreife ich sie und lasse mich von Jamie in den Trubel des Tanzes ziehen, der sich um das Feuer herum verdichtet.

Der Rauch schlägt mir ins Gesicht, beginnt in meinen Augen zu brennen, doch ich nehme ihn bereitwillig entgegen. Es könnte schlimmer sein.
Die Röcke, die von den Elfen herumgewirbelt werden, schlagen gegen meine Beine, scheinen mich packen und mit sich reißen zu wollen, hinein in eine Welt, die mir fremd ist, mich jedoch mehr zu akzeptieren scheint, als meine eigene. Noch keine Elfe ist mir bisher feindlich begegnet und so langsam habe ich das Gefühl, dass Jamie recht hatte. Elfen haben ein anderes Moralgefühl. Sie verurteilen mich nicht. Sie verstehen mich.

Mit einem leichten Druck meiner Hand bedeutet Jamie mir Stehen zu bleiben. Wir haben den ersten Kreis der Tanzenden durchdrungen, der fast ausschließlich aus weiblichen Elfen besteht, die sich an den Händen halten und in einem großen Kreis um das Feuer tanzen, als wollten sie den Bereich abstecken, der für die wogenden Paare vorbehalten ist. Sie tanzen direkt vor dem Feuer, wirbeln um die eigene Achse herum.

Es ist ein kompliziert aussehender Tanz, bei dem die Hände der Partner aneinander liegen und man sich abwechselnd in verschiedene Richtungen dreht. Die Schritte werden umso schneller, je rascher die Musik wird. Es wirkt wie das perfekte Zusammenspiel zwischen Musik und Bewegung. Auch die Kleider wurden quasi für diese Tänze maßgeschneidert. Die Röcke sind leicht und luftig genug, um genügend Beinfreiheit zu bieten, wirbeln allerdings wunderschön auf, je schneller man sich dreht. Es wirkt wie das Reigen von Schmetterlingen, so viele Farben treffen mit einem mal aufeinander. Gelb und Rot, Blau und Grün, Schwarz und Weiß. Und mitten drin das Goldene Haar, welches die meisten Elfen besitzen. Flüssiges Gold, in einem See aus Wolken.

Sanft hält Jamie mich an den Händen, während eine junge Elfe auf uns zu kommt, gehüllt in ein dunkelgrünes Kleid, was wie eine zweite Haut auf ihrem Körper liegt. Ihr Haar ist dunkelrot. Anders als Fayes Haar, oder das der anderen Moonroses und Cherrys. Es ist so dunkel, dass es unmöglich natürlich sein kann. Die Farbe einer satten Rose, in die ebenso grüne Blätter eingeflochten wurden wie in ihr Kleid. In den Händen hält sie zwei Schalen aus Stein, die gefüllt sind mit Farben- Violett und Blau. So wie ich die Elfen einschätze, werden ihre Farben ausschließlich aus Pflanzen hergestellt.

Nahezu widerwillig lässt Jamie meine Hand los. „Man färbt hiermit seine Hände", erklärt er mir, während er seine eigenen schon in die Farbe taucht, sodass sie von einer dicken Schicht überzogen sind. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch die Hände der anderen Tänzer eingefärbt sind, ebenso wie die Stellen auf ihrer Kleidung, wo die Farbe ihres Partners mit ihnen in Kontakt gekommen sind.

Lächelnd bietet mir die Grüngekleidete Elfe die Schale mit der Violetten Farbe an. Anders als Jamie zögere ich, bevor ich meine Haut mit dem Zeug in Berührung kommen lasse. „Lässt es sich abwaschen?", hake Ich vorsichtshalber trotzdem nach.
„Mit einfachem Wasser, Mylady Moonrose", erwidert die Elfe. Ihre Stimme klingt wie die sanfte Melodie eines Wiegenliedes, doch das ist nicht das, was mich aufhorchen lässt. Noch während meine Hände in der Schale liegen, blicke ich die Frau direkt an. Sie lächelt noch immer, wodurch sich feine Grübchen in ihrer Haut gebildet haben. Sie weiß, wer ich bin. Nur sie, oder auch andere? Wissen es alle hier? Der Instinkt, den Victorie versucht hat mir anzutrainieren, der nun Gefahr wittern sollte, schweigt. Als würde es mir sagen wollen, dass von den Elfen keine Gefahr ausgeht. Aber ob ich auf etwas vertrauen will, was ich noch nicht einmal richtig kontrollieren kann... nun, wie alles in meinem Leben.
Noch bevor ich dazu komme nachzufragen, ob hier anscheinend jeder weiß, wer ich bin, nimmt Jamie erneut meine Hand und zieht mich näher zu sich. „Die Schritte sind gar nicht so kompliziert", beginnt er zu erklären und ich weiß sofort, dass das hier jetzt meine komplette Aufmerksamkeit verlangen wird.

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Schalom!

Ein Schwert, eine Bitte, ein Tanz und ein Abend, der eigentlich viel zu gut läuft... für meinen sadistischen Geschmack zumindest ;D
Aber daran lässt sich leicht etwas ändern

Wir sehen uns nächstem Donnerstag hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeOnde histórias criam vida. Descubra agora