LXVIII | Giganten

8 3 22
                                    

Interessiert hebt Elijah eine Augenbraue und ich kann sehen, wie sich seine Pupillen minimal weiten, als in dieser Sekunde die Spitze eines Flügels die Wolkendecke zerreißt. Gleich darauf ist sie wieder verschwunden, doch es war da. Ein Zeichen, dass Dru über uns kreist. Und obwohl sie quasi gerade erst in die Höhen der Lüfte aufgestiegen sein kann, dreht sie ihre Runden, als hätte sie noch nie etwas anderes getan.

„Du solltest sie runter rufen", schlägt er vor, verfolgt mit seinem Blick die Route, die der Drache, der noch in meinen Arm gepasst hat bevor wir zu den Inseln aufgebrochen sind, wohl gerade fliegen muss.
Danny schüttelt den Kopf, als hätte der Blonde gerade das lustigste gesagt, was er jemals gehört hat. „Dru kann man nicht rufen. Sie kommt zurück, wenn sie zurück will."
„Nun, dann wird sie lernen müssen, dass es so nicht funktioniert", kontert Elijah ungerührt, lässt sich nicht davon überzeugen, dass es nicht möglich sein soll. Und, das vergesse ich immer wieder, Elijah hat mehr Erfahrung als wir.
„Das geht nicht so einfach."
„Hast du es versucht?", endlich wendet Elijah den Blick vom Himmel ab, bohrt sich stattdessen in den Augen meines Bruders fest. Für eine einzige Sekunde habe ich das Gefühl, dass seine blauen Augen hypnotisierend wirken- wie damals im Museum. Er manipuliert Danny. Nicht für lang, nur ganz kurz, aber es genügt, um meinen Bruder zum Schulterzucken zu bringen und dazu zu bewegen, hinüber zu dem Anker zu staksen.

Ich hingegen werfe meinem Partner einen bösen Blick zu, während er mich schelmisch angrinst. „Hast du ernsthaft meinen Bruder manipuliert?"
„Nur ein kleines bisschen", lächelt El, tritt neben mich und faltet die Hände vor dem Schoß. Unwillkürlich kann ich spüren, wie mein Körper sich ihm etwas mehr entgegen lehnt, als hätte er sich schon die ganze Zeit nach der Nähe meines Partners gesehnt. Nur ganz zart, als hätte sie Angst, sich zu sehr bemerkbar zu machen, spüre ich, wie meine Taschenuhr anfängt zu pochen.

Ein regelmäßiger, fast schmerzhafter Rhythmus, der sich seinen Weg in die Tiefen meines Herzens sucht und sich dort festbeißt wie eine Krankheit, die zu lange geruht hat und nun mit voller Kraft zurückschlägt. Doch das hier ist die schönste Krankheit, die es auf dieser Welt gibt.

Mit beiden Händen umfasst Danny die massive Kette, die von dem Anker abgeht und, mit aller Kraft, die sein jugendlicher Körper aufzubringen vermag, reißt er an ihr. Ich kann deutlich sehen, wie ein kräftiger Ruck durch die einzelnen Glieder nach oben schwingt, bis die Kette schließlich aus meinem Blickfeld verschwindet und sich mit der dunklen Wolkendecke verwebt. Und, bevor die Spannung sich aus Dannys Körper lösen kann, ertönt ein markerschütterndes Brüllen aus dem Himmel. Ein Kreischen, nicht menschlich und doch klingt es, als würde ich es kennen. So vertraut, wie der nichtexistente Herzschlag meines Partners. Nicht wütend, nicht gereizt, mehr wie ein Kind, das gerade eine komplett neue Welt für sich entdeckt.
Mit ausgebreiteten Armen dreht sich Danny zu uns um. „Hab ich doch gesagt. Dru-"

...stürzt aus dem Himmel auf uns hinunter. Die schneidigen Flügel flach an den Körper gelegt, sodass sie, wie ein Asteroid, volle Fahrt aufnimmt. Selbst aus dieser Entfernung kann ich sehen, dass ihre Hörner gewachsen sind. Als ich gegangen bin waren es nur kleine Stümpfe, die mich an Ziegen erinnert haben. Nun haben sie angefangen sich zu drehen und in die Höhe zu recken wie Blumen. Immer schneller wird der Drache. Elijah schlingt einen Arm um meine Taille und zieht mich an sich, als könnte er mich im Zweifelsfall schützen. Ich bezweifle, dass er gegen einen Feuerspeienden Drachen ankommen würde, trotzdem drücke ich mich meinerseits an ihn. Er ist der letzte Halt in einer Welt, die mich von Tag zu Tag mehr zu hassen scheint.

Danny weicht langsam rückwärts vor seinem Drachen zurück, der in einem unglaublichen Tempo auf ihn zugezischt kommt, in seinen Augen jedoch ist keine Angst. Nur ein wenig angespannt sieht er ihm entgegen, sein neues Haustier fest im Blick.

Time Travelling | Lost in TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt