LXX | Schattentanz

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„Sie...", mit einer Hand fahre ich durch mein Gesicht, versuche die letzte Müdigkeit zu vertreiben, die sich in meinen Gliedern festgesetzt hat, „Sie sind nicht real."
Unbeeindruckt hebt Mister O'Byrne eine Augenbraue. „Nicht?"
„Das hier", ich mache eine ausladende Geste, die den Raum zwischen uns einfasst, „das ist ein Traum. Sie wissen nichts von dem Schiff. Sie sind die Stimme meines Unterbewusstseins, das mich warnen will. Die Zweifel, die ich in mir habe und die nun an die Oberfläche treten. Das ist es. Die Erklärung für all das hier."

Immer noch, als hätte er meine Worte gar nicht gehört, sieht er mich kalt an. Nicht eine seiner Wimpern zuckt, während meine Worte im Raum hängen wie besonders dicke Spinnenweben. Und ohne auch nur ein einziges Mal darauf einzugehen, ergreift er wieder das Wort: „Sag diesen Versuch ab, Katherine. Wenn ihr das tut, dann kann nicht einmal ich euch vor dem Zorn des Rates schützen. Vorausgesetzt, ihr überlebt diese Albtraumfahrt."
„Wenn wir erwischt werden."
„Es ist nicht eine Frage des Wenns, sondern die des Wanns. Katherine", schwermütig entlässt er die Luft aus seinen Lungen und streckt die Hand nach mir aus. „Meine Güte, wenn du wirklich denkst, eure kleine Unternehmung würde ein gutes Ende nehmen und niemals auffallen, dann bist du nicht nur von allen guten Geistern verlassen, sondern schlicht und ergreifend naiv."
„Es kommt mir so vor, als hätten Sie mir das schon einmal gesagt."

Die Nachtluft fühlt sich plötzlich zu kalt an, beißt in meiner Lunge, als Mister O'Byrnes Hand sich auf meine Schulter legt. Eiskalt auf meiner aufgeheizten Haut. Ich kann dem Blick seiner farblosen Augen nicht länger standhalten, wende mich ab und sehe mich stattdessen rastlos in meinem Zimmer um. O'Byrne festigt seinen Griff um meine Schulter, als wolle er meine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenken. Doch ich lasse meinen Blick weiterwandern, bis ich an etwas hängen bleibe.
Zum zweiten Mal in diesem Traum wirkt es so, als würde O'Byrnes Schatten ein Eigenleben führen. Unruhig kräuseln sich darin Fäden, die wie aus Nebel gewebt sind, so fein wie Spinnenseide. Wie Wellen, die langsam abnehmen, nachdem man einen Stein in einem Tümpel versenkt hat. Doch dort, wo O'Byrnes Schatten und meiner ineinander übergehen, stoppen sie. Als hätten sie Angst nach mir zu greifen.

Ich kneife die Augen zusammen und versuche zu erkennen, ob das, was ich gerade sehe, nur eine Illusion der schlechten Lichtverhältnisse ist oder ob der Schatten des Mannes mir gegenüber gerade ein Eigenleben entwickelt- was absolut unmöglich ist. Doch auch als ich mich unauffällig ein Stück zur Seite lehne, verändern sich die Bewegungen des Schattens immer weiter. Sie wallen auf und ab, ehe sie übereinander hineinbrechen, wie Wellen bei einer Sturmflut.

Nur langsam kann ich meinen Blick von dem Geschehen zu meinen Füßen abwenden und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf O'Byrne, der mich nicht aus seinen nebelgrauen Augen lässt. Es fühlt sich an, als würde er mich Gefangenhalten, dabei ist es einzig seine Hand auf meiner Schulter, die mich an Ort und Stelle hält. Und nicht einmal das. Ich könnte mich mit Leichtigkeit aus seinem Griff winden und trotzdem ist da irgendwas an der Art, wie er mich festhält, was mich erstarren lässt. Ich stehe nur da- kann nur da stehen!- und sehe tief in die grauen Krater, die in einem schmalen Gesicht ruhen.

Ganz langsam, als wollten die Worte meinen Mund nicht verlassen, schaffe ich es schließlich zumindest zu wispern: „Was zum Teufel ist das?"
Er weiß, was ich meine. Ein Lächeln breitet sich auf O'Byrnes Lippen aus, das, wie üblich, nicht seine Augen erreicht. Die sehen genau so kalt und berechnend aus, wie sie es zuvor auch schon taten. „Das hier ist dein Traum", es kommt mir vor, als würden sich kleine Wölkchen vor seinem Mund bilden, während er spricht, „sag du es mir, Katherine."

Doch ich sage nichts. Schweige und beobachte stattdessen wie sich die Hand des Schattens O'Byrnes hebt und meinen Schatten im Gesicht berührt- ohne dass sich sein Besitzer auch nur ein wenig rührt. Und mit einem Mal habe ich das eigenartige Gefühl, eine eiskalte Hand auf meiner Haut zu haben. Dieser Schatten führt ein verfluchtes Eigenleben, dem kann ich mir nun sicher sein.

Langsam, ganz sachte schlingt sich eine der dunklen Schattenranken um O'Byrnes Knöchel und schwingt sich von dort hinauf an ihm, als wäre sie sein zahmes Haustier. O'Byrne, und auch sein Schatten, entlassen mich aus ihrer Berührung und der Allianzbeauftragte seufzt schwer. „Ich will dir helfen, Katherine, aber du musst mich dir auch helfen lassen."
„Sie verstehen das nicht", ich presse meine Handballen gegen meine Augen und lehne meinen Kopf gegen die Wand. „Selbst wenn ich es wollen würde, könnte ich es nicht mehr aufhalten. Es hat schon Fahrt aufgenommen."
„Jede Fahrt kann gestoppt werden."
Mir entweicht ein fassungsloses Lachen. „Wenn Sie das denken, dann bin wohl nicht ich hier die Naive."
Mein Gesprächspartner erwidert nichts, faltet die Hände vor dem Schoß, während sich die Ranke, die mich nun immer mehr an eine zahme Schlange erinnert, langsam um seinen Hals schlingt. „Du legst es darauf an?"
„Natürlich", ich öffne die Augen wieder und starre die Wand vor mir an. „Das hier muss irgendwann enden. Ob ich nun ertrinke oder ob die Dunkle Garde mich erwischt - Katherine Moonrose wird sterben. Früher oder später."

Noch während ich spreche bemerke ich, dass ich allein bin. O'Byrne ist verschwunden, als hätten die Schatten ihn wieder verschlungen. Er hat mich alleine zurückgelassen. Erneut wende ich mich dem Raum und damit dem Fenster zu. Er ist leer. Von meinem nächtlichen Besucher ist nichts mehr geblieben, nicht einmal ein Fussel seines Anzugs. Verschluckt von der Dunkelheit.
Ich schlucke und lasse mich auf mein Bett plumpsen. Schlafen tue ich definitiv nicht, das ist mir spätestens jetzt bewusst.
„Bei den Ahnen", wispere ich, meine Hände wandern in meine Haare und ich versuche mich auf den Mond zu konzentrieren, der ebenfalls in der Brosche zu finden ist, die auf meinem Nachttisch liegt. Wie ein großes, wissendes Auge steht er dort oben hoch am Himmel und blickt bedauernd auf sein Kind hinab, das langsam seinen Verstand verliert. Denn das tue ich. Das ist die einzige Erklärung hierfür. Tränen steigen in mir auf, je mehr mich die Erkenntnis trifft. „Ich werde verrückt."

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Schalom!

Und so schnell er aufgetaucht ist, ist O'Byrne auch schon wieder verschwunden. Zurück bleibt nur die Frage, ob er wirklich da war oder ob Kathy langsam tatsächlich den Verstand verliert, wie Vici es schon vorhergesehen hat...

Wir sehen uns nächsten Donnerstag hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeDonde viven las historias. Descúbrelo ahora