CIX | Eine Botschaft der Ahnen

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Noch immer ist Elijah nicht an meine Seite gestoßen, sondern steht wenige Meter hinter mir auf dem Weg, als könnte er sich seit dem Namen meiner Mutter nicht mehr von der Stelle rühren. Trotzdem spüre ich seinen Blick in meinem Rücken, wie sie mich durchbohren, als würde er meine Seele von innen heraus erleuchten. Leider nicht im wörtlichen Sinne.

„Nicholas", wendet die Frau sich an ihren Sohn und deutet weiter die Straße hinauf. „Bring sie hin." Sie nickt mir mitfühlend zu, während sie Elijah über meine Schulter hinweg einen bösen Blick zuwirft. Und da geht mir ein Licht auf. Meine Mutter ist nicht nur eine Hebamme. Sie führt auch Abtreibungen durch. Und das scheint auch die Vermutung der Frau zu sein. Aus ihrem bösen Blick auf Elijah schließe ich, dass sie anscheinend mit einem unehelichen Kind rechnet. Ansonsten wären Abtreibungen in der derzeitigen Zeit wahrscheinlich nicht so üblich. Vor allem nicht, wenn die Aussicht auf einen männlichen Erben besteht.

Ich trete einige Schritte zurück, um den kleinen Jungen vorbeilaufen zu lassen, da schließt sich die Hand meines Partners wie ein Schraubstock um mich. Mit einem Ruck zieht er mich zurück, was mich ins Taumeln bringt. Ich muss ihm nicht in die Augen zu sehen, die ein gelber Schleier überzieht, um zu wissen, dass er wütend ist. Ziemlich wütend. Ich versuche mich aus seiner Umklammerung zu winden, doch bin erfolglos.
„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?", faucht er mich an. Ich bezweifle, dass das eine bewusste Anspielung auf meine Gabe ist, und mehr das Innerste meines Partners die Überhand gewinnt. Das Wütende. „Ahnen, was tun wir hier?"
„Hast du doch gehört", kontere ich, deutlich ruhiger als mein Gegenstück. „Wir besuchen meine Mutter."
„Deine Mutter", wiederholt Elijah, klingt dabei fast ungläubig. Doch in seinen Augen ist nichts davon zu sehen. Seine Augenbrauen sind tief auf seine Augen gesunken, sodass es wirkt, als würden Schatten den gelben Glanz einrahmen. Elijah ist zu allem fähig, außer zu Unglauben. „Und jetzt erzähle mir mal, wieso zum Teufel du vermutest, dass deine Mutter hier ist."

„Es ist keine Vermutung", berichtige ich ihn, „es ist ein Wissen."
„Schön, dann woher kommt dieses Wissen?"
„Die Ahnen haben es mir mitgeteilt."
„Die Ahnen?"
Langsam habe ich das Gefühl, dass mein Partner einen Schlaganfall hat. „Ja, die Ahnen."
„Du willst mich auf den Arm nehmen." Fassungslos mustert Elijah mich, sieht mich dabei mit einer Miene an, als würde er befürchten, dass ich schweres Fieber habe. Dieses Mal verstehe ich ihn. War ich nicht vor ein paar Tagen noch diejenige, die darauf geschworen hat, dass die Ahnen Schwachsinn sind? Dass ihre Fähigkeit mit mir zu kommunizieren nur das ist, was alle sich gerade einreden? Und jetzt ist das meine Erklärung für alles. Macht absolut Sinn. Vielleicht hätte sich Morgana ja eine bessere Ausrede einfallen lassen können.
Genervt versuche ich, meinen Arm erneut aus seinem Griff zu winden. „Ja, mein Gott. Lass mich los, Elijah."

Nur langsam, als würde es ihm ziemlich widerstreben, lässt er seine Finger von meinem Arm gleiten, hält mich jedoch, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, mit seinem Blick gefangen. Das macht ihm nie Probleme. Doch etwas in seinemBlick hat sich verändert. Er ist nicht länger sauer, er versucht zu verstehen. Wenn auch die Wut noch etwas in ihm brodelt. „Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist, Katherine", erklärt er jetzt, ganz politisch. Natürlich. Der Diplomat.
Ich runzle die Stirn. „Natürlich ist sie das nicht."
„Schön dass wir uns da einig sind. Und warum hast du dann nicht schon in Malson Falls etwas gesagt?", er senkt die Stimme noch mehr, als Nicholas das Tor hinter sich schließt und mit stapfenden Schritten auf uns zu kommt.

„Weil ich wusste, dass du dagegen sein würdest. Und wenn du mich hättest mitkommen lassen, dann nur, wenn wir tausende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hätten. Aber ich brauche das hier, Elijah. Ich muss sie sehen." Eindringlich bohre ich meinen Blick in seinen. Versuche ihm zu vermitteln, wie wichtig dieses Aufeinandertreffen für mich ist. Appellieren daran, wie wichtig ihm seine Familie einmal war.

Er seufzt schwer, fährt sich mit der flachen Hand durchs Gesicht, ehe er die Finger gegen sein Nasenbein drückt, als hätte er Kopfschmerzen. Er kommt nicht mehr dazu, etwas zu sagen, bevor Nicholas zu uns stößt. Aus braunen Augen mustert er uns, jedoch besonders meine Bauchregion, die sich noch immer nicht deutlich unter meinem Kleid abzeichnet.

„Wir müssen die Straße hoch, an der Kirche vorbei. Da wohnt die Hebamme", verkündet er, dreht sich dann, ohne ein weiteres Wort, um und marschiert weiter innerorts.

Ich tausche einen schnellen Blick mit Elijah und weiß sofort, dass er meine Botschaft damit verstanden hat. Ich gehe. Egal, ob du mit mir kommst oder nicht.
Ich hoffe nur, dass er nicht auch weiß, dass ich wahrscheinlich niemals die Courage dazu aufbringen würde, alleine an der Tür meiner Mutter zu klopfen. Umso erleichterter bin ich, als ich das Knirschen seiner Schuhe auf dem Boden hören kann. Unwillkürlich atme ich auf.

Es dauert nur Sekunden, bis Elijah wieder an meine Seite aufgeschlossen ist. Trotz unserer Auseinandersetzung bietet er mir galant den Arm an, wie es sich für einen Gentleman der alten Schule gehört. Und brav hake ich mich bei ihm unter und lasse meine blasse Hand von seiner deutlichen Größeren tätscheln. Für Außenstehende muss es aussehen, als spräche er mir Mut zu. Für mich ist eine subtile Geste mir zu zeigen, dass diese Unterhaltung noch nicht ihr Ende gefunden hat. Auch wenn er sanft mit dem Daumen die Narben auf meiner Handinnenfläche nachfährt, fühlt es sich nachdrücklicher an, als es ist. Aber Elijah weiß, dass ich es verstehe.

Es dauert nur einige Schritte hinter Nicholas her, ehe er das Wort ergreift. Mit ruhiger gesenkter Stimme, den Blick interessiert durch die Gegend streifen lassend: „Sie könnte nicht das sein, was du erwartest, Katherine."

Tief hole ich Luft und tue es ihm nach. Betrachte die Häuser rund um die Straße, welche wir hinter dem kleinen Jungen hinauf flanieren. Die Häuser sehen nicht ärmlich aus, aber auch nicht besonders wohlhabend. Sie haben nicht den typischen Tudor-Baustil, den ich so oft in Museen habe bewundern können, sondern sehen so aus wie aus dem letzten Jahrhundert. Einige wurden mehrfach repariert und andere anscheinend gezielt "modernisiert", aber man sieht deutlich, dass dieses Dorf Arbeiter beherbergt und keine Kaufleute, die sich in jeder Generation ein neues Haus bauen lassen können. Das hier sind Häuser, die so lange halten müssen, wie sie nur in der Lage sind. Trotzdem wirken sie liebevoll. Kleine Gärten befinden sich davor oder daneben, wo kleine Gemüsebeete angelegt sind. In einigen befinden sich Nutztiere, andere haben noch einen kleinen Bereich, der wirkt, als würden dort Kinder spielen. Es sollte mich nicht erstaunen, doch tut es das. Es fällt uns so leicht zu vergessen, dass die Menschen vor 400 Jahren trotzdem noch Menschen waren. Menschen mit Freunden, mit Hobbys, mit Personen die sie liebten.
Eine braungestreifte Katze sitzt auf einem Zaun vor einen Haus, beobachtet uns auf unserem Weg. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, auch wenn die Anspannung nicht von mir abfällt. Menschen, die Haustiere hatten.

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Schalom!

Hach, wie sehr vermisst man dieses gute Partner-bantering wenn man es seit einiger Zeit nicht mehr hat :)
Btw, hier schon mal: nächste Woche fällt das Kapitel sadly aus, weil Madame-Storyteller ist im Urlaub :D

Aber am 27. geht es hier regulär weiter.

Wir sehen uns dann hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeWhere stories live. Discover now