XCVI | Geistreicher Besuch

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Wut kocht in mir auf. Nicht später. Nicht schon wieder später. Ich werde mich nicht weiterhin ständig mit dem Minimum abspeisen lassen, nur weil mein Partner nicht all seine Karten zeigen will. Keine Geheimnisse mehr, das war der Deal. „Jetzt, Elijah. Nicht später. Nicht in einer Stunde, nicht morgen, nicht in einer Woche- ich will es jetzt wissen."

Die Augen meines Partners blitzen nicht, wie sie es vor Wochen noch getan hätten, hätte ich ihm damals derart die Stirn geboten. Stattdessen wirkt er einfach nur müde. Mit den Fingern massiert er seine faltige Stirn. „Katherine... ich kann es dir jetzt nicht sagen."
„Warum nicht?", fast schneide ich ihm das Wort ab. „Du hast mir nicht erzählt was du mit den Drachenreitern gemeint hast, als wir Danny und Dru gesehen haben. Ahnen, was ist das überhaupt? Du hast mir bis jetzt nicht erzählt, was damals zwischen den Elfen und meinem Grandpa vorgefallen ist, als würde es mich nichts angehen. Du hast mir bis jetzt nicht erzählt, wieso du Mister O'Byrne misstraust. Wieso sprichst du nicht mit mir? Denkst du etwa, dass ich der Maulwurf bin?"
„Natürlich nicht", in einer abwehrenden Geste streckt Elijah mir die Hände hin. „Es ist nur so viel komplizierter als du verstehst."
„Natürlich verstehe ich es nicht, wenn du dir nicht die Mühe machst, es mir zu erklären!"
„Je weniger du weißt, desto weniger bist du in Gefahr, nach Informationen ausgepresst zu werden." Er sagt es, als wäre das Schlusswort dieser Diskussion. Er sieht nicht wütend oder verärgert aus, bloß erschöpft. Aber das hier ist nicht das Schlusswort. Als er mir die Hand auf die Schulter legen will, weiche ich seinem Griff aus. Er stößt nur etwas Luft aus der Lunge. „Ich will dich nur beschützen."

„Ich will nicht beschützt werden", zische ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
Er lächelt halb. „Natürlich nicht. Die unerschütterlichen Moonroses... hatte ich doch glatt vergessen." Mit einer schnellen Bewegung wischt er mir mit dem Finger über das Kinn, als wolle er einen Fleck wegwischen. „Mach dir einen Tee, Liebling. Wir sprechen gleich weiter."

Ich will keinem verfluchten Tee, aus seiner verfluchten Küche mit seiner verfluchten Milch. Ich will verdammte Antworten. Aber ich diskutiere nicht. Stattdessen schnaube ich, reiße mich weg von seiner Berührung und stampfe wütend den Flur in Richtung Küche hinunter. Ich kann seinen Blick noch in meinem Rücken spüren, bis ich um die Ecke biege. Ahnen, ich hoffe er überdenkt diese Haltung. Wenn er mir nichts erzählt, kann er diesen Krieg gleich alleine ausfechten. Fast rutscht mir ein Fluch über die Lippen, doch dank seiner gestärkten Sinne würde er den auch jetzt noch hören können. Bei den Ahnen.

Die Flure von Elijahs Haus sind kaum ausreichend erleuchtet, lediglich kleine Wandlampen, die nur gedimmt vor sich hin strahlen, erhellen meinen Weg in Richtung Küche. Eigentlich will ich dort nicht hin. Ich will Elijah nicht den Genuss geben, dass ich das getan habe, was er mir gesagt hat. Außerdem ist die Küche am anderen Ende des Hauses und ich habe nicht wirklich Lust, den Weg zweimal hin und her zu laufen.

Doch nicht nur die Dunkelheit ist es, die mich ein wenig bedrückt fühlen lässt. Die schwere Holztür der Bibliothek verschluckt jeglichen Gesprächsfetzen, der eventuell nach außen hätte dringen können und so liegt das Haus sonst in Totenstille da. Vielleicht liegt es daran. Vielleicht liegt es auch an dem lauten Keuchen des kleinen Geisterjungen, welches ihn ankündigt, noch bevor ich ihn sehe, sodass ich gerade noch so anhalten kann, bevor Henry um die Ecke geschlittert und kurz vor mir zum Stehen kommt. Aus großen, weit aufgerissenen Augen blinzelt er zu mir rauf und starrt mich an. Wie immer trägt er sein kleines weißes Hemd zu der kurzen braunen Hose, die eindeutig seine Zeit zeigt. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg. Ein Krieg, in den sein Vater eingezogen wurde und den Henry, wenn auch unabhängig von den Geschehnissen dieser Welt, nicht überleben würde. „Da ist jemand für dich, Katherine", platzt es atemlos aus ihm heraus.

Ich runzle die Stirn, als ich auf ihn hinabblicke. „Was?"
„In der Küche", fährt er fort, gibt sich nicht mal die Zeit Luft zu holen, „da ist eine Frau, die hat gesagt, dass ich dich holen soll!"
„Sie hat mit dir geredet?"

Heftig nickt der kleine Geist, scheint sich absolut nicht davon beeinflussen zu lassen, dass meine Augen drohen aus ihren Höhlen zu springen. „Ja! Kathy, komm schnell, bitte bitte!" Ein wenig übereifrig greift er nach meiner Hand, die prompt durch seinen Griff gleitet.

Doch ich bin viel zu überfordert, um direkt seinem Wunsch nachzukommen. Eine Frau, die sich unbemerkt Zugang zu einem der Orte verschafft hat, von denen ich dachte, dass dies absolut unmöglich wäre. Eine Frau, die von dem kleinen Geisterjungen weiß, der ansonsten unbemerkt von anderen Augen sein Unwesen in dem Haus seines Onkels treibt. Eine Frau, die ihm den Auftrag gegeben hat, mich zu holen. Mein Gott...

Sobald ich begriffen habe, was da gerade vor sich geht, greife ich an meine Hüfte. Doch natürlich ist mein Dolch nicht dort. Er liegt sicher Zuhause in meiner abgeschlossenen Nachttischschublade und ruht nicht, wie ich es beunruhigender Weise schon gewohnt bin, an meinem Gürtel, wo ich ihn gut erreichen kann. Ich habe keine Waffe.

„Henry warte!", rufe ich, doch da ist der kleine Geist schon hastig um die nächste Ecke verschwunden. Ich könnte umdrehen und Elijah holen, die anderen alarmieren und mit ihnen zusammen in Richtung Küche gehen. Aber wenn diese Frau Henry sehen kann, dann kann sie vielleicht noch anderes. Ihn berühren. Ihn verletzen.

Es ist irrational, was nur ein nettes Wort für absolut dumm ist, trotzdem setze ich mich in Bewegung. Laufe Henry nach, tiefer hinein in das Labyrinth des DeVilers Haus, welches mich aufzufressen scheint, mit jedem Schritt, den ich mehr in den Rachen des Drachens setze. Als würde es mir sagen wollen, dass ich gerade eine sehr schlechte Entscheidung getroffen habe. Ahnen, als wäre mir das nicht bewusst.

Meine Schritte hallen viel zu laut von den Bodenplatten wider, während ich immer mehr Tempo aufnehmen und ausnahmsweise bin ich Victorie wirklich dankbar dafür, dass sie mich wöchentlich so drillt. Als ich um die nächste Ecke biege, wartete Henry dort schon auf mich. Er hat ungeschickt die Hände in die Seite gestemmt, als hätte er Seitenstechen. Schwer atmend deutet er mit dem Kopf auf die schmale Holztür, die sich vor uns erhebt. Fest verschlossen. „Da. Sie wartet schon."
Ich werfe Henry einen ernsten Blick zu. „Henry, weißt du, wer da drin ist?"

Er schüttelt den Kopf. „Nein, aber sie hat gesagt, sie sei eine Freundin von dir und Onkel Elijah."
Eine Freundin? Die letzte die sich so genannt hat, war Vici, aber sie hätte keinen Grund so ominös in der Küche aufzutauchen und nicht einfach in die Bibliothek zu kommen. Außerdem weiß sie nichts von Henry, woher sollte sie auch? Sie wäre auch nicht gerade diejenige, die ich so einschätzen würde, auf gut Glück mit der Luft zu reden... Vici besitzt auch ein Handy. Sie hätte anrufen können. Also wer bei den Kreisen der Hölle, hat sich darin verbarrikadiert?

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Schalom!

Eine unbekannte Besucherin... aber ob sie wirklich so unbekannt ist? Verbirgt sich hinter dieser Tür vielleicht die Antwort darauf, wer der Verräter sein könnte?
Btw bin ich sehr stolz auf das Wortspiel im Titel... ich werde immer lustiger

Wir sehen uns nächsten Donnerstag hier oder irgendwo anders,
Madame-Storyteller

Time Travelling | Lost in TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt