Trancengleichheit

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Lens POV

Es brauchte einen Moment, bis ich realisierte, dass dieses markerschütternde Geräusch von mir gekommen war. Ich merkte gar nicht, wie ich mich vom Fenstersims abstieß und noch im Flug in den Löwen verwandelte. Erst als meine Tatzen lautlos auf dem kalten Boden aufkamen und ich wütend den Gang herunterstürmen wollte, um dem Typ die Kehle aufzureißen, verstand ich, was ich getan hatte. Meine Reaktion auf die Worte war wie ein Reflex über mich gekommen, vollkommen voreilig und ohne vorher darüber nachzudenken. Und ganz offensichtlich hatte ich damit die Chance verbaut, unser Vorhaben unbemerkt durchzuführen.

„Verdammt, was war das?", hörte ich die dumpfe Stimme des Mannes durch den Korridor schallen, an dessen Ende er mit Nevis bereits angelangt war. 

Scheiße!

Ich zog den Kopf ein und beeilte mich, vom Eingang des Korridors wegzutreten, vor dem ich glücklicherweise noch zum Stehen gekommen war. Ich musste mich schnellstmöglich aus dem Sichtfeld bringen.

„I-ich weiß nicht.", stotterte der Austauschschüler und ich wunderte mich plötzlich, dass er seine stets vorherrschende Ruhe verlor. War er nicht sonst immer so gut im Lügen?

„S-sicher, dass alle von den Biestern tot sind?", fragte er kleinlaut und augenblicklich sträubte sich mir bei diesem Tonfall das Fell. Allerdings nicht aus Angst, sondern vielmehr aus stiller Anerkennung und der mitschwingenden Aussicht, dass dies wirklich funktionieren könnte.

Natürlich, eine Ablenkung!

Erleichterung erfasste meinen Körper. Noch besser als lügen, konnte er wohl improvisieren.

Mein Argwohn bringt mich irgendwann noch um. Ich sollte wirklich anfangen, in Nevis etwas mehr, als nur einen potenziellen Verräter zu sehen.

„Ja, zu neunundneunzig Prozent" Das Misstrauen in der Stimme des Mannes war kaum zu überhören. „Obwohl ich vor ein paar Stunden eines der Viecher in den Käfigen nahe des Ganges hier habe zucken sehen. Also vielleicht so um die neunundachtzig?"

Er gab diese Antwort als Frage aus und ich vernahm ein ausgezeichnet geschauspielertes Wimmern von Nevis. Der Typ hatte echt was drauf, das muss man ihm lassen. Er boxte uns wirklich hervorragend aus dieser heiklen Situation heraus, die ganz und gar meine Schuld war.

Er steckte voll ungeahnter Qualitäten.

Während ich mit diesen stummen Lobpreisungen beschäftigt war, versuchte ich das schlechte Gewissen zu ignorieren, welches in meiner Magengrube nagte. Ich wusste ganz genau, dass es meiner eigenen Sturheit zu verdanken war, dass er sich meine Anerkennung durch solche Taten regelrecht erkämpfen musste. Doch mir war es so lieber, als unvoreingenommen einem völlig Fremden zu vertrauen (auch wenn Sarina das ein wenig differenzierter sah als ich).

Wenigstens war allerspätestens jetzt zu diesem Zeitpunkt klar, dass er mich deckte und ich würde dasselbe zurückgeben.

Lautlos wagte ich mich nun also wieder in den Gang vor.

Wenn meine Mutter hier noch irgendwo war, musste ich sie bald finden und in Sicherheit bringen. Wie genau ich das jedoch anstellen sollte, war mir noch ein Rätsel.

Deswegen beschwor ich erneut den Raben herauf. Die Verwandlung verlief reibungslos, sodass ich mich sanft vom Boden abstoßen konnte, um leise den dunklen Korridor hinunter zu schweben, an dessen Ende mich steriles, weißes Licht erwartete. Gedämpfte, tiefe Stimmen waren in der Ferne zu hören und ich bereitete mich auf das Schlimmste vor. Der Mann hatte vorhin zwei Namen erwähnt, deren Träger sich anscheinend mit meiner Mutter befassten, doch das hieß nicht, dass sie die einzigen hier waren.

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