Das letzte Gefecht

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Burg Blutmond war eine einzige riesige Fackel. Die einst massiven, aber nun über die Jahre halb verfallenen Baumstämme, die eigentlich als Hindernis und Abschreckung für Gegner an der gesamten Außenseite der Ruine aufgestellt waren, standen nun in hellen, lodernden Flammen und niemand wagte es weder hinaus, noch hinein. Trotz des nassen und kalten Wetters fraß sich der gewaltige Feuerkreis unerbittlich durch das morsche Holz und griff mit seinen heißen Fingern bereits nach den Efeuranken, die sich immer noch wie eine schützende, grüne Decke über das Mauerwerk der Ruine legten. Es würde jedoch nichts nützen. Innerhalb von wenigen Minuten würden auch sie in Brand stehen.

Ich flog seit geraumer Zeit meine Kreise über dem Schlachtfeld. Ab und zu wandte ich mich auch zum Wald hin, doch es zog mich immer wieder instinktiv zurück zur hügeligen Grünfläche, die aus der Luft nur zu einem einzigen Strudel aus schmutzigem Schneematsch, Blut und schreienden Kampfpaaren verschwamm. Ich hatte auch in Erwägung gezogen, unseren ehemaligen Lagerplatz aufzusuchen, der durch den Verrat letztendlich von Akayas Armee unter den Nagel gerissen wurde. Aber mein Gefühl sagte mir aus irgendeinem Grund, dass sich die Vampirin dieses spektakuläre Blutgemetzel nicht entgehen lassen würde. Wenn in meinen Visionen ein Dorf von ihren Truppen überrannt wurde, war sie immer in unmittelbarer Nähe gewesen, um den Überfall mit ihren eigenen Augen zu überwachen und sich an dem Elend der Leute zu ergötzen.

Warum es ausgerechnet heute, in der von ihr lang ersehnten, großen Schlacht gegen ihre Erzfeinde anders sein sollte, erschien mir, wie lange ich auch darüber nachdachte, nicht schlüssig. Ich wusste, sie war hier irgendwo.

Ich musste sie nur finden . . .

Mittlerweile hatte ich die vierte große Runde über dem Feld beendet und wollte gerade zu einer neuen ansetzen, da nahm ich aus dem Augenwinkel eine dunkle Silhouette wahr. Sie hob sich trotz der hellen Flammen jedoch kaum von den kantigen Umrissen der Ruine ab und verschmolz somit fast mit der Umgebung. Die schwarze Gestalt stand auf einem der Türme, den ich mittlerweile schon einige Male passiert hatte. Er schien im Gegenteil zu einigen anderen Teilen der Burg noch recht stabil und intakt zu sein, und dabei weit davon entfernt, in absehbarer Zeit dem sich mörderisch schnell ausbreitenden Feuer zum Opfer zu fallen.

Ganz instinktiv änderte ich meinen Kurs. Mit dieser Kehrwende pfiff der eisige Wind direkt um mein Gesicht und zerrte wütend an meinem Gefieder, ganz so, als wolle er mich von meinem Vorhaben abhalten. Doch ich trieb meine bereits müden Flügel weiter an, während das Ziehen in meiner Brust immer weiter anschwoll. Meine Augen fixierten die Plattform des Turms, die jedoch nun, da ich sie näher sah, leer war.

Ich hätte schwören können . . .

Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich anscheinend mal wieder geirrt hatte, hielt ich trotzdem weiter meinen Kurs. Ich musste meine schmerzenden Flügel erholen und von dort oben hatte sowohl einen guten Aussichtspunkt, als auch einen ungestörten Ruheplatz.

Nur wenige Flügelschläge später hatte ich mein Ziel erreicht und verwandelte mich zurück in meine Menschenform. Erleichtert, endlich einmal wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, entfloh mir ein kleiner Seufzer. Mit leicht zittrigen Knien drehte ich mich um, stützte meine Ellbogen auf das kalte Gestein einer Zinnenscharte und schloss für einen Moment die Augen. Verbissen versuchte ich so gut wie möglich den Lärm der Schlacht auszublenden; das Geschreie und Gekreische der Monster und Krieger, das helle Klingen von Stahl und Metall als auch das Schmatzen des Schlamms, wenn ein schwerer Körper zu Boden geworfen wurde oder einfach leblos zusammensank. Der Geruch von matschiger Erde, Blut und verbranntem Fleisch und Haaren vermischte sich mit dem stickigen Rauch von Feuer, das nicht nur überall auf dem Feld loderte, sondern sich auch bereits mit seiner Hitze an den Burgwänden hinauf in den Himmel fraß. Die Flammen am Fuße der Ruine waren schon so hoch, dass ich bereits mehrere hundert Meter über dem Boden schwache Hitzewellen auf meinen Wangen spürte, die meine kalte Haut merkwürdig zärtlich liebkosten.

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