Wie man richtig wütend wird:

2.7K 204 6
                                    

Je mehr Zeit verging, desto lauter und brutaler wurde das Treiben. Beide Armeen kämpften auf engstem Raum ums Überleben und ich musste mich langsam zusammenreißen, um nicht den Fokus zu verlieren. Immer wieder ertappte ich mich dabei, die Menge nach einem vertrauten Gesicht abzusuchen, das sich vielleicht als eines meiner Freunde herausstellen würde. Gleichzeitig scheute ich mich jedoch auch, meine Suche auf die am Boden liegenden und bereits gefallen Soldaten auszuweiten. Zu groß war die Angst, ich könne einen von ihnen dort erblicken. Ein paar Mal glaubte ich, in dem Getümmel aus blutgetränkten Schwertern, ledernen Flügeln und spitzen Krallen und Zähnen das vertraute goldene Fell eines Löwen, Scarlets schlanke Gestalt oder den stämmigen Körper von Cody ausmachen zu können. Doch jedes Mal verschwamm das Bild durch das Flimmern und den Rauch der Feuer vor meinen Augen, während sich irgendeine neue, kampfbereite Kreatur bedrohlich vor mir aufbaute, um ihrem Tod geradezu in die Arme zu laufen. War der Körper dann kraftlos in sich zusammengesackt und ich bereit, mich wieder auf meine vermeintlichen Freunde zu konzentrieren, hatte die Masse der umher rennenden Gestalten bereits jegliche Hinweise auf ein vertrautes Gesicht verschluckt.
Mir blieb nichts anderes übrig, als die Enttäuschung immer wieder aufs Neue hinunterzuschlucken und mich zur Ablenkung wieder in die Schlacht zu werfen. Sonst lief ich Gefahr, mich in meinen sorgenvollen Gedanken zu verlieren, was beim Kämpfen jedoch nur mein Ende bedeuten würde.

Und so verging die Zeit. Man merkte nun auch hier, dass die Wervampire schwächer wurden. Die Bewegungen wurden immer langsamer und schwerfällig und wirkten weniger kontrolliert, als die von ihren Kameraden, welche noch vor zwei Stunden an ihrer Stelle auf dem Schlachtfeld gestanden hatten und jetzt nur noch als haarige Hindernisse den Weg versperrten.

Ein rötliches Flimmern erhellte plötzlich den Nachthimmel, der ohnehin schon von den etlichen brennenden Leichen der Hybriden auf dem Feld leicht erleuchtet wurde. Irgendjemand hatte ein Feuer um die Burg gelegt, das jetzt mit seinen heißen Zungen die Mauern emporstieg.
Seine tödliche Hitze veranlasste die Kreaturen im Inneren, ihrem ohnehin schon lauten Gebrüll ganz neue Dimensionen zu verleihen. Das schrille, angsterfüllte Kreischen der Invasoren, die nämlich jetzt in ihrer eingenommenen Baute selbst zu Opfern wurden, beschallte mit einem so ohrenbetäubendem Lärm die Umgebung, dass sogar einige Kämpfende um mich herum innehielten, um einen kurzen Blick auf das Spektakel in der Burgruine zu werfen.

Ich hingegen nutze die Gelegenheit, um dem halb verwandelten Wervampir vor mir mit einem sauberen Schnitt die Kehle zu durchtrennen. Mit einem hässlichen Gurgeln sank die Gestalt zu Boden und blieb dann dort nach einigen Sekunden reglos liegen. Unwillkürlich kräuselte sich meine Oberlippe bei dem Anblick und ein bitterer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich hatte angenommen, dass es mit der Zeit einfacher würde, einem Gegner das Leben zu nehmen, aber je mehr ich kämpfte und tötete, desto stärker wuchs in mir der Widerstand. Das Einzige, was mich noch am Laufen hielt, war die Unausweichlichkeit der Lage. Hier hieß es: entweder der Feind oder ich.

"Sarina!"

Augenblicklich wirbelte ich zu der vertrauten Stimme herum und trotz der Umstände stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen.

"Seth! Endlich ein bekanntes Gesicht. Ich dachte schon, ich wäre die Einzige von uns hier."

Ich lief ihm die paar Meter entgegen, die uns noch voneinander trennten. Der schlanke junge Mann hatte deutlich mehr abbekommen als ich, denn er schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Auf seinem linken Oberschenkel klaffte eine riesige Wunde, die er mit dem rechten Ärmel seines Hemdes versucht hatte, abzubinden. Der dadurch entblößte Arm sah jedoch auch merkwürdig verdreht aus, während der linke seine Seite hielt. Unter den verdeckten Fingern sickerte stetig Blut hervor und ich konnte nur flüchtig einen Blick auf die Wunde erhaschen, die verdächtig nach einem Klauenhieb aussah. Sofort stürzte ich an seine Seite, um ihn zu stützen.

Mein neues IchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt