Vertrauen

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Lens POV
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Mir war klar, dass ich kein Mitleid mit ihr haben durfte. Schließlich ist es mir genauso ergangen, aber ich kam nicht drumherum, so zu tun als interessierte mich das alles nicht. Ich sah, dass ihr ihre optische Verwandlung den Rest gab. Ein paar mal erwischte ich sie dabei, wie sie ins Leere starrte.
Als ich Sarina darauf ansprach, lächelte sie mich entschuldigend an, nur um nach 10 Minuten wieder von mir in die Wirklichkeit gerissen zu werden. Es war beinahe unheimlich.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass ich mir ein wenig Sorgen um sie machte. Zudem, da ihre Verletzungen, die ich ihr zugefügt hatte sie zusätzlich zu schaffen machten. Zwar waren sie schon so gut wie verheilt und sie beschwerte sich auch nicht, aber ich merkte, dass ihr jede Bewegung zu viel zu sein schien.

"Len? Ich gehe zur Bibliothek."
Ich hob den Blick und musterte sie eindringlich. Ihre Augen schmückten tiefe Ringe und sie hielt den Kopf nicht so aufrecht wie sonst.
"Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?" zweifelnd legte ich meinen Stift beiseite. Ich war gerade damit beschäftigt einen Aufsatz über Werwölfe zu schreiben, als Sarina in der Tür auftauchte.

Zögernd malte sie jetzt kleine Muster auf die Holzmaserung des Tisches.
"Mir geht es wieder gut."
Lahme Verteidigung.

Ich seufzte.
"Ja ich weiß. Ich meine damit, dass sich vielleicht noch nicht alle daran gewöhnt haben, dass du ein...ein.."
Verdammt!
"Alpha bist." beendete ich meinen Satz.

Wütend reckte sie das Kinn und funkelte mich aus ihren türkisen Augen kalt an. Ihre Stimme war schneidend, als sie sagte "Dann sollten sie sich besser daran gewöhnen."

"Sarina." Ich stöhnte.
Mädchen  

"Ich meine das doch nicht so."

"Schön. Wenn du mich suchst, ich bin in der Bibliothek."
Als sie sich weg drehte, sah ich, dass ihre Augen verdächtig glänzten.
Plötzlich überflutete mich eine Welle tiefen Mitleids und mir wurde eins klar: Sie selbst hatte sich noch nicht daran gewöhnt. Die Anderen waren ihr völlig egal.

Und noch etwas fiel mir auf.
Ich wusste nicht, wie das war, wenn man innerhalb einer Woche feststellst, dass du Bestandteil der Sagen und Mythen bist (Sylvia hatte mir von ihren Eltern erzählt und ihre Einstellung zum Thema Akademie). Für mich war das schon immer klar gewesen. Ich war damit aufgewachsen. Und außerdem stand auch schon von Anfang an fest, dass ich ein Alpha war.

Für sie war das alles neu.
Und mir ging auf, wie herablassend ich bis jetzt zu ihr war. Ich hatte massenhaft schlechtes Gewissen.
Das wollte ich jetzt ein Stück wett machen.

Sarina atmete langsam aus und ich hörte das leichte Beben in ihrer Stimme, als sie sagte, "Tut mir leid, dass ich mich so schrecklich verhalte. Ich schätze, ich bin doch noch nicht so richtig auf dem Damm. Vielleicht sollte ich noch ein paar Tage warten."

Untersteh dich.

"Nein." sagte ich energisch und knallte mein Buch ein wenig stärker zu, als nötig.
"Ich komme mit." Ich hatte nicht die Absicht sie wieder in einem Kampf verstrickt am Boden liegen zu sehen (auch wenn sie die Oberhand hätte). Außerdem, wenn sie mit mir unterwegs wäre, würde sich niemand trauen sie auch in irgendeiner Form zu belästigen. Ich wusste, dass, wenn sie das erfahren würde, ich am nächsten Morgen mit einem fehlenden Körperteil aufwachen würde. Denn wenn ich bis jetzt eins von Sarina weiß, dann ist es das, dass sie es um Himmels Willen nicht ausstehen kann, auf jemanden angewiesen zu sein.

Sie drehte sich wieder in meine Richtung.
"Aber du musst gar nicht in die Bibliothek."
"Aber klar," ich hielt das Buch, aus dem ich gerade noch die Informationen für meinen Aufsatz gefiltert hatte, hoch "ich muss das noch abgeben. Ich habe das vor zwei Tagen ausgeliehen und brauch es nicht mehr." Das ist eine Lüge
Ich erzählte ihr nicht den Grund, warum ich es ausgeliehen hatte. Denn ich habe selbst eine Ausgabe oben in meiner Schublade liegen und bräuchte das aus der Schulbibliothek eigentlich nicht.
Naja, der Grund war, sich irgendwo hin zu verkriechen, um ihr aus dem Weg zu gehen. Sie war damals noch krank und es war ziemlich unangenehm, mich um sie zu kümmern. Deswegen suchte ich mir einen Rückziehort und lieh kurz darauf hin, das Buch aus.

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