Vergangenheit um Vergangenheit

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"Sarina?"

"Hmm?"

"Ich denke, ich weiß, worüber du vorhin nachgedacht hast."

Es war mittlerweile später Abend und ich war gerade ein wenig abgedriftet, da riss mich Len mit diesem Satz aus meinen Gedanken. Überrascht sah ich auf den Alpha hinunter und hielt in meiner Tätigkeit, mit meiner Hand sanft durch die goldene Wellen zu fahren, inne.

Der Löwe hatte seinen Kopf in meinen Schoß gelegt und blinzelte mich an.
"Du machst dir Sorgen um meine Kindheit."
Das war eine sachliche Feststellung, unbestreitbar. Jedoch war sie so emotionslos von meinem Artgenossen gekommen, dass es mir ein wenig Angst bereitete.
Ich nickte ertappt.

Len richtete sich schwerfällig auf und seufzte.

"Ich kann dich verstehen. Ich wäre genauso neugierig, wenn jemand immer so seltsame Andeutungen macht und einen danach anfährt, bloß nicht nachzufragen. Aber-"

"Len," unterbrach ich ihn. "du musst mir das nicht erzählen. Fühle dich bloß nicht unter Druck gesetzt."

"Ist schon in Ordnung." meinte der Alpha und zog mich zu sich heran. Seine Arme umschlangen meine Mitte und ich bette meinen Kopf an seine Halsbeuge. "Ich denke, du solltest es wissen." Ein zufriedenes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und ich schloss die Augen, während Len zu erzählen begann und durch die Tiefe der Stimme, sein Brustkorb zu vibrieren begann.

"Ich würde sagen, dass die Tatsache, dass ich ein Alpha bin, meine Kindheit ziemlich eingeschränkt hat. Es war nicht gern gesehen, wenn ich mit anderen Kindern spielte oder Zeit mit ihnen verbringen wollte. Doch abgesehen davon, waren die ersten Jahre meines Daseins eigentlich gar nicht so schlecht." Lens Tonfall wurde leiser und düster. "Bis zu dem Tag, als mein Vater und mein Onkel zu einer Mission aufbrachen und nie wieder zurückkehrten. Beide arbeiteten als Abgesandte der Kommission und es ging damals darum, Vampirnester, die sich gegen die Vorschriften an Menschenblut bedienten, ausfindig zu machen und sie vor dem obersten Gremium zur Rede zu stellen. Anscheinend hatten sich die Beiden jedoch nicht an das Gesetz gehalten und sind einfach drauflosgestürmt. Aber man muss, bevor man das Reich eines anderen Clans betritt, den Anführer oder die Anführerin um Erlaubnis bitten und eine Bescheinigung beantragen. Wenn nicht, darf man sich nicht wundern, wenn man plötzlich mit einem Kopf kürzer dasteht."

Len ratterte seine Erzählung so tonlos herunter, dass es mir schwerfiel zu glauben, dass er hier wirklich von seiner eigenen Familie sprach.

"Ich war zu dem Zeitpunkt zehn Jahre alt. Für meine Mutter brach die Welt zusammen. Sie hatte gleichzeitig ihren Ehemann und ihren Bruder verloren. Ich muss dazu sagen, dass sie schon lange bevor das mit Dad passierte, psychisch ein wenig instabil war. Er war für sie immer so etwas wie ein Rettungsanker. Aber als er nicht mehr da war, zog sie sich immer mehr in sich zurück. Für mich als zehnjährigen Jungen natürlich eine Katastrophe."

Mein Mitbewohner seufzte einmal und ich griff nach seiner Hand. Tröstend drückte ich sie und Len streifte mir als Antwort darauf, mit seinen Lippen zärtlich über die Schläfe. Mein Herzschlag geriet ins Stolpern.

"Na ja, auf jeden Fall, wurde meine Mutter in den nächsten zwei Jahren immer verkümmerter. Sie tat nichts mehr für ihre Gesundheit, wurde immer dünner und kränker. Ihre Augen schmückten dauerhaft schwarze Schatten und ihre Haut war fahl. Sie sah aus wie eine Drogen- oder Alkoholabhängige. Nur ohne den Gestank oder die faulen Zähne. Genauso wenig gab es etwas, wovon sie hätte abhängig sein können."

"Aber haben deine Verwandten denn nichts gemerkt? Was war denn mit Sylvia?" fragte ich besorgt und runzelte die Stirn. Es musste doch irgendjemandem aufgefallen sein, dass da etwas nicht stimmte.

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