Des Mondes Kind

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Ich hatte weder eine Ahnung, in welche Richtung Nevis gegangen war, noch, was er vorhatte.  Mir blieb nur übrig, angestrengt suchend im Schnee herumzustiefeln und Ausschau nach einer Spur zu halten, die er hinterlassen haben könnte. Leider war seit drei Tagen kein Neuschnee mehr gefallen, sodass sie vielen Fußabdrücke, die vor dem Haus in alle Richtungen verliefen, mich eher in die Irre führten, anstatt mich weiterzubringen. Und das schummrige, gelbliche Licht der Laternen links und rechts trugen auch nicht wirklich dazu bei, mir erfolgreich aus dieser misslichen Lage herauszuhelfen.

Ein frustriertes Stöhnen entfuhr mir.

Wieso musste sich Eisauge auch mitten in der Nacht dazu entscheiden, einen Spaziergang (oder was immer er auch vorhatte) zu machen?

Da es im Moment danach aussah, als würde es eine reine Glückssache werden, in welcher Richtung ich den Austauschschüler fand, entschied ich mich intuitiv dazu, jenseits des Gartens nach ihm zu suchen.

Der Schnee knirschte unter meinen Sohlen und ich fröstelte, während ich durch die eisige Masse stapfte.

Was denkt sich Nevis bloß dabei, ohne Schuhe und Jacke rauszugehen?!

Ich hielt ruckartig an. Eine Schneespur kristallisierte sich langsam aus dem Wirrwarr von Abdrücken heraus.

Die Fußstapfen waren in ziemlich unregelmäßigen Abständen voneinander gesetzt worden und verliefen ein wenig abseits des restlichen plattgetretenen Schnees.

Hastig setzte ich mich wieder in Bewegung und umrundete das Haus, immer den einzelnen Abdrücken nach.

Das silberne Licht des Mondes beschien nun den Garten und tauchte ihn in kaltes, ein wenig romantisches, aber auch unheimliches Licht. Dank ihm erkannte ich, dass die Spur zum speerangelweit geöffneten Gartentor führte. Und soweit ich es erkennen konnte, weiter in den angrenzenden Wald. In Richtung Vollmond.

Ein leiser Verdacht beschlich mich und ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meiner Magengegend aus.

Konnte es sein?

Während mein Kopf noch versuchte, die wirren Gedanken zu ordnen, hatte mein Körper schon längst reagiert. Ich stürmte vorwärts, die Sachen in meiner Hand fest umklammert, und trat dabei in Nevis' Fußstapfen, um mich nicht elendig abzumühen und mir erst selbst einen Weg durch den Schnee zu bahnen.

Ich erreichte die Waldgrenze und hielt erst einmal zögernd inne.

War es wirklich so schlau, dort alleine hineinzugehen, wenn mein Verdacht, nun ja, . . . wahr wäre?

Aber es blieb mir nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, da ein zutiefst schmerzerfüllter Schrei mich aus meinen Überlegungen riss.

Ohne mir weiter darüber Gedanken zu machen, stolperte ich weiter in den Wald. Einerseits war ich froh, dass der Vollmond schien und mir Licht spendete, andererseits brachte er mich eventuell gerade in diese unangenehme Lage.

Also, in der Nacht, in notdürftigen Klamotten, mit einer Jacke meines Freundes und einem Paar Schuhen, in einem Wald herumzustreichen, um einen halbnackten, vermutlichen Werwolf aufzugabeln, der durch einen Austausch, den die Schulleiterin organisiert hat, hier in die Akademie eingeschleust worden war.

Ja, ich finde das trifft es ziemlich genau. Unangenehm.

Mittlerweile wurde es um mich herum immer finsterer, da der Wald dichter wurde. Ich überlegte schon, mich zu verwandeln, da stutzte ich.

Etwas Dunkles hatte sich mit dem Schnee zu meinen Füßen vermischt und als ich mich hinhockte, um zu sehen, was es war, schreckte ich automatisch vor dem metallischen Geruch zurück, der mir in die Nase stieg.

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