Kapitel 18

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Das Training mit Edna am nächsten Morgen verlief in etwa so wie das Letzte mit der Ausnahme, dass ich mich diesmal durch die verschiedensten Arten der Waffentechnologie tastete. Aber mit Waffentechnologie meine ich nicht die modernsten Maschinengewehre oder Automatikwaffen mit Wärme orientierten Kugeln. Nein. Stattdessen reichte die Auswahl von allen nur erdenklichen Schwertarten, über verschiedene Stäbe und Äxte bis hin zu unterschiedlichen Fernwaffen. Im Bezug auf Pfeil und Bogen erwies ich mich sogar als nicht komplett inkompetent. Ganz im Gegenteil. Nach zwei Probeschüssen traf ich fast immer ins Schwarze. "Ganz eindeutig deine Waffe!", meinte Edna lachend. Die restliche halbe Stunde sollte ich noch einen Ausdauerlauf machen, dann ging es im Tagesausflug weiter, es wurde gefrühstückt und im Anschluss nahm mich Elena mit durch die scheinbar unendlichen Gänge dieses seltsamen Gebäudes, bis wir schließlich in einer Art Tropfsteinhöhle ankamen. Was einem dort sofort auffiel, war das Licht. Es war von einem dunklen Blau und wabberte über die schroffen, trostlosen Felswänden, als wäre es lebendig. Doch das wirklich seltsame daran war, dass ich keinerlei Lichtquelle ausmachen konnte. Das Licht war einfach da. "Wo sind wir hier?", hauchte ich erstaunt und wandte mich Elena zu. Diese lächelte sacht, wie sie es immer tat. "Das hier ist eine der heiligen Höhlen. Seit Jahrhunderten wurde ihr Wasser von meinen Vorfahren zur Heilung von Wunden und Krankheiten genutzt. Denn es hat magische Kräfte. Mit der richtigen Technik kann man schwere Verletzungen in Sekundenschnelle einfach verschwinden lassen." Mit hochgezogener Augenbraue blickte ich misstrauisch von Elena zum Wasser und zurück. "Und wo ist der Hacken?" Diesmal schaute mich Elena fragend und mit hochgezogener Augenbraue an. "Ein Hacken? Es muss doch nicht immer einen Hacken geben.", antwortete sie, allerdings nicht gerade überzeugend. Ich schnaubte verachtend. "Es gibt immer, wirklich immer einen Hacken. Ganz besonders bei so etwas Coolem. Soll ich dafür irgendjemanden meine Seele versprechen oder ist das nur für eine bestimmte Zeit? Oder ist es eher was Harmloseres? Brauche ich eine fünfzehnjährige Ausbildung oder zapft das meine Energievorräte an?", zählte ich alle möglichen Nachteile dieser Fähigkeit auf, die mir auf die Schnelle einfielen. Doch Elena schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Nichts davon. Das einzige was es erfordert ist jede Menge Konzentration und Vorstellungskraft. Hierfür gibt es keine Zaubersprüche oder Beschwörungsformeln. Man muss es fühlen. Allerdings ist das nicht jedem vorbehalten.", begann sie mit ihrer sanften, umsäuselnden Stimme und kniete sich nah am Ufer des Höhlensees nieder. Vorsichtig streckte sie die schmale Hand nach dem Wasser aus und verharrte kurz vor der Oberfläche. Eine Erschütterung fuhr durch das Wasser um ihren Finger, dann schlang es sich sacht um ihre Hand und ihren Unterarm. Anmutig stand die Elfe auf, formte das Wasser zu einem Ball und ließ ihn direkt vor mir schweben. "Versuchs! Werde eins mit dem Wasser.", forderte sie mich auf, doch ich konnte nichts anderes tun, als sie verständnislos anzustarren. "Du musst dir das Wasser vorstellen, wie du es haben möchtest. Stell dir vor, wie es sich anfühlt, wenn es deine Haut berührt, wie es schmeckt, wie es riecht. Ich lasse jetzt los, ok? Du musst es auffangen." Doch kaum hatte Elena zuende gesprochen, klatschte das Wasser auf den Boden. Fluchend stolperte ich zurück, als es in meine Schuhe hinein schwappte und wäre dabei fast hingefallen. "Ich kann das nicht!", jammerte ich, um zumindest etwas von meinem Beinahe-Sturz abzulenken. Elena bedachte mich mit einem Lächeln. "Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich möchte das du übst. Dein Zimmer wird dir sicher die nötigen Materialien zur Verfügung stellen. Aber du kannst natürlich auch hier üben, wenn du möchtest." Mit diesen Worten verschwand sie in dem gigantischen Gängegewirr des Gebäudes. Ich seufzte. So langsam ging mir dieses ich-bin-unereichbar-also-rede-ich-möglichst-nur-in-Rätseln-Getue echt auf die Nerven.

Drei Stunden! Ganze drei Stunden hatte ich nun da gesessen und versucht, dass Wasser dazu zu bewegen, sich auch nur fünf Millimeter von der Wasseroberfläche abzuheben. Doch nichts war passiert. Überhaupt nichts. Naja. Bis auf die Tatsache, dass ich nach etwas zwei Stunden das Gefühl hatte, dass mich jedes einzelne der Wassertröpfchen auslachte. Aber ich hatte es trotzdem weiter probiert, bis mein Bauch schließlich angefangen hatte lauthals zu knurren.

Nach dem Mittagessen schleifte mich Dagmar mit zu den nervigen, kleinen Mistfiechern, wie er sie nannte. Die Mistfiecher in einem weiteren Innenhof untergebracht und schwirrten fröhlich die Massen an wohlriechenden Linden und Blumen. Und nein, ich rede nicht von Bienen, sondern von waschechten Feen. Unglaublich kleinen, wunderschönen, aber auch verdammt nervigen Feen, wie ich an diesem Tag feststellen durfte. Denn kaum hatte ich den Innenhof betreten, fielen sie über mich her und zupften mir lauter Haare heraus, um sich daraus, wie ich von Dagmar erfahren hatte, Betten zu bauen. "Außerdem sind sie ziemlich eigennützig und interessieren sich überhaupt nicht für das Leid anderer. Es sei denn, du krümmst einem von ihnen auch nur eines ihrer winzigen Härchen. Dann ... also dann gibt's Ärger.", lachte der Kobold und stapfte auf den größten der unzähligen Bäume zu. Zögerlich folgte ich ihm. "Das ist der Heimatbaum der Feen. Hier leben, schlafen und essen sie. Sie sind von ihm abhängig. Und wenn ihn irgendjemand fällt, stirbt der ganze Schwarm." Bei diesen Worten blickte er betreten zu Boden. "Glaub mir, ich hab das schon miterlebt, ist kein schöner Anblick." Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie das ausgesehen haben muss. Nervös strich ich mir die Haare zurück und verlagerte mein Gewicht. "Das muss fürchterlich gewesen sein.", meinte ich schließlich, doch statt der abtuenden Antwort, wie ich sie von dem Kobold erwartete, nickte er nur. Ich schluckte. "Aber das ist lang vergessen! Ich habe dir noch ein paar andere magische Wesen zu zeigen. Ich hoffe für dich, dass du ein Mensch mit viel Geduld bist."

Und die hatte ich wirklich gebraucht! Dagmar war mit mir alle mir nur bekannten Fabelwesen durchgegangen, hatte mir alles Wissenswerte dazu vermittelt und auch gleich geklärt, welche es wirklich gab und welche nur eine Erfindung der Menschen war. Zum Beispiel wusste ich jetzt, das Oger und Ork absolut das gleiche waren und es den Begriff Gremlins nur gab, weil ein betrunkener Autor im 18. Jahrhundert einem mies gelauntem Kobold über den Weg gelaufen ist. Eindeutig zu viele unnütze Informationen auf einmal! Und so kam es, dass ich verdammt mies gelaunt war, als mich Lodur danach noch gefühlte hunderttausend Treppen hinauf zerrte, obwohl die Sonne schon längst hinter dem Horizont verschwunden war. "Was willst du mir denn noch zeigen?! Kann das nicht bis morgen warten?", fragte ich hoffnungsvoll, doch er schüttelte energisch den Kopf. "Glaub mir, es wird dir gefallen.", antwortete er lediglich und zerrte mich weiter nach oben. Schließlich stieß er eine schwere Holztür auf und wir traten auf das Dach eines Turmes. Über uns leuchteten die Sterne wie Diamanten und der große Vollmond erhellte die Nacht soweit, dass man zumindest erkennen konnte, wohin man trat. Ich den Kopf in den Nacken und starrte mit großen Augen den Nachthimmel an. "Elena hat dir ihre Wasserkunst schon gezeigt, nicht wahr? Aber sie hat dir nicht gesagt, dass die meisten, wenn sie überhaupt ein Element  beherrschen, dann nur eins. Zum Beispiel habe ich mich mit dem Feuer angefreundet." Lodur grinste und ließ mit einer simplen Handbewegung eine ganze Stichflamme erscheinen. Erschrocken stolperte ich zurück, war aber gleichzeitig auch unglaublich fasziniert und konnte meinen kaum von dem Feuer abwenden, welches nur wenige Zentimeter über seiner Hand loderte. "Das ist ... wie machst du das? Tut das nicht weh?", fragte ich und streckte meine Hand vorsichtig nach der Flamme aus. Lodur schüttelte den Kopf. "Wenn du eins mit dem Element bist, tut es dir nicht weh. Es hat gar keinen Grund dazu. Das wäre ja, als würdest du dich selbst schlagen." Lächelnd fuhr er mir der freien Hand durch die Flamme, bis sie ebenfalls brannte und zeigte sie mir. "Siehst du? Sie brennt zwar, aber verbrennt nicht.", erklärte er und ließ das Feuer weiter über den Unterarm wandern. Ich seufzte. "Ihr redet ständig davon, dass ich mit dem Element eins werden soll, aber ich versteh nicht, wie. Wie macht ihr das?" Langsam verzweifelte ich. Bei ihnen sah das so unglaublich leicht aus, aber mir wollte es trotz größter Anstrengungen nicht einmal ansatzweise gelingen. "Du kannst es nicht erzwingen, Fleur. Es brauch seine Zeit. Bei manchen mehr, bei manchen weniger. Aber irgendwann wird der Moment kommen in dem du wissen wirst, was du zu tun hast. Und bis dahin empfehle ich dir zu warten und zu genießen." Mit diesen Worten schoss er den Feuerball, den er geformt hatte, während wir uns unterhalten hatten, gen Himmel, wo er wenige Sekunden später in einem Sprühregen aus Farben explodierte.

Begabte - Götter in AusbildungWhere stories live. Discover now