Kapitel 11

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 Die Nacht schlief ich nicht durch. Wie auch? Ich wurde sie ganze Zeit von schrecklichen Albträumen geplagt, in denen ich von furchteinflößenden Monstern angegriffen wurde, die nichts Besseres zu tun hatten, als mich zu zerfleischen. Und während diese Bestien hinter mir her waren, wurde ich von dem Jungen aus dem Café und Dagmar beobachten. Die Beiden standen immer etwas abseits und machten sich darüber lustig, wie hilflos ich doch war. Und sie hatte recht. Ich war wirklich absolut hilflos. Jedes Mal, wenn mich so ein Monster erwischte, wachte ich schweißgebadet und mit schreckensgeweiteten Blick auf. Also etwa alle zehn Minuten.

Irgendwann reichte mir das ganze Theater. Mühsam rappelte ich mich aus dem Bett und schlürfte schlaftrunken in die Küche. Dort angekommen nahm ich mir ein frisches Glas aus dem Schrank, stellte es auf den Küchentisch und schlürfte weiter in den kleinen Speisekammer, um mir eine Packung Milch zu holen. Als ich wenige Sekunden später wieder in die Küche trat, fing ich lauthals an zu schreien. „Hey, hey, hey … Warum denn gleich so hysterisch?“, fragte der junge Mann aus dem Café mit seinem typischen arroganten Grinsen. In einer einzigen fließenden Bewegung warf ich die Packung nach ihm, wirbelte herum und rannte zurück ins Schlafzimmer. Hinter mir schloss ich die Tür ab. Von draußen ertönte ein selbstgefälliges Lachen. „Das wird dir nur nicht viel bringen.“ Ich schnaubte verachtend. „Ach ja?! Und warum nicht?“ Anstatt von draußen ertönte die Antwort hinter mir. „Weil ich hier drin bin.“ Ich fuhr auf der Stelle herum und blickte in Dagmar's runzliges Gesicht. Mein Blick verfinsterte sich. „Verräter!“, fauchte ich den Kobold an und nahm mir vorsichtig die Nachttischlampe von der Kommode. „Ich bin ein Verräter?! Du hast mich doch angelogen! Hättest du mir gesagt, dass deine Mutter wirklich Felizitas Blanche war, hätte ich dich sofort ausgeliefert.“, beteuerte der Kobold. Ich lachte auf und ging leicht in die Hocke, den Oberkörper sacht nach vorne gebeugt. „Soll mich das etwa beruhigen?“ Das Männchen lächelte und entblößte dabei die kleinen, spitzen Zähnchen. „Wer weiß, wer weiß ...“, lachte er mir noch gehässig entgegen, dann hob ich die Lampe zum Schlag. Doch in dem Moment flog die Tür auf und ich konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, sonst hätte sie mich einfach umgerissen. Im Türrahmen stand der Junge. An der linken Seite seines sonst so makellosem Mantel zeichnete sich jetzt ein großer, nasser Fleck ab. Ich musste grinsen. „Ich mache dir ein Angebot.", begann er mit einem missteriösem Unterton in der Stimme. "Wenn du jetzt ohne Gegenwehr zu leisten mit uns kommst, dann verspreche ich dir, dir all deine Fragen zu beantworten. Und falls du das jetzt denkst, nein, ich werde dich danach nicht töten." Jaahaha, wer's glaubt, wird selig. Ich blickte ihn misstrauisch an. "Nehmen wir mal an, ihr würdet euer Wort halten, was sicher nicht der Fall sein wird, aber tun wir mal so. Wo wäre dann der Hacken? Was würdet ihr zum Beispiel machen, wenn ich nicht mitkommen würde?", fragte ich, die Lampe immer noch hoch erhoben. Dagmar räusperte sich. "Dann würden wir dich dazu zwingen. Nimm es mir nicht übel, Fleur. Ich mag dich wirklich. Aber dir bleibt keine andere Wahl." Verzweiflung stieg in mir auf. Die konnten mich doch nicht dazu zwingen, oder etwa doch? "Man hat immer die Wahl!" Mit diesen Worten schlug ich dem Jungen die Nachttischlampe auf die Nase und wollte an ihm vorbei sprinnten, doch er hatte mich gepackt. Egal, wie sehr ich mich zu wehren versuchte, er hielt mich fest. Auf einmal presste er eine Hand auf meinen Mund und meine Nase. In ihr hielt er ein Stück Stoff. Es war etwaaas feeuucht ... uuund roooch kooomisssccchhh ...

Wieder Albträume. Wieder schreckliche Monster, die mich verfolgten. Wieder standen der Junge und Dagmar an der Seite und machten sich über mich lustig. Wieder erwischte mich ein Monster und ich wachte schweißüberströmt auf. Doch diesmal nicht in meinem Schlafzimmer. Ich befand mich (schon wieder) in einer kleinen Kammer. Wieder lag ich dick eingepackt in einem Bett. Aber da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Diese Kammer war nicht größtenteils aus Holz, sondern aus Stein. Außerdem war sie um einiges besser eingerichtet. Auf der anderen Seite der Zimmers prunkte ein gigantischer Kleiderschrank aus purem Eichenholz und daneben stand ein kleiner Schreibtisch und ein altertümlicher Stuhl. Zudem hing ein goldener Kronleuchter über der Mitte des Raumes und erhellte ihn. Wo bin ich denn hier gelandet? Ich schlug die Bettdecke beiseite und stand auf. Als ich mit den Füßen den Boden  berührte, zuckte ich zurück. Er war eiskalt. Unruhig hielt ich nach Hausschuhen Ausschau. Und ich fand tatsächlich welche. Wenige Meter von mir entfernt lag ein Paar und wartete anscheinend darauf, dass ich es anzog. Auf Zehenspitzen überwand ich die Distanz und schlüpfte in sie hinein. In dem Moment viel mein Blick auf die protzige Eichentür (was auch sonst?) vor mir. Zögerlich streckte ich die Hand aus und drehte den Knauf nach innen. Die Tür sprang auf. Ok und wo ist der Hacken? Vorsichtig lugte ich um die Tür. Keine Wachen? Mein Misstrauen wuchs. Ohne einen Laut von mir zu geben, schlüpfte ich auf den Gang hinaus und schloss die Tür hinter mir. Der Flur war der Kammer im Stil sehr ähnlich. Auch die Steine waren aus Naturstein und verleihten dem Ganzen eine mittelalterliche Atmosphäre. Links und rechts wurden die Wände von riesigen, mit Büchern vollgestopften Regalen und Vitrinen mit irgendwelchen antiken Waffen gesäumt. Lautlos schlich ich über den Teppichboden den Flur entlang. Plötzlich hörte ich Stimmen, blieb wie erstarrt stehen und lauschte. Sie kamen aus dem nächsten Raum. Wenn ihr aufpasste, könnte ich mich an ihnen vorbei schleichen, ohne, dass sie mich bemerkten. Doch ich wollte nicht. Anstatt zu fliehen, blieb ich wie angewurzelt stehen und lauschte. Die Stimmen klangen fröhlich und ausgelassen. Wie in einer gemütlichen Runde mit Freunden. Ich erkannte die Stimme von Dagmar. Und die von Elena. Auch den Jungen hörte ich ein oder zwei mal etwas einwerfen. Außerdem konnte ich noch zwei andere Stimmen ausmachen. Eine weibliche und eine männliche.

Mit einem Mal wurde die Tür aufgerissenen und ich blickte Elena direkt ins Gesicht. Erschrocken riss ich die Augen auf und stolperte ein paar Schritte zurück. "Na wen haben wir denn da?", kam es von ihr belustigt. "Bist du auch schon munter? Gutes Timing. Wir frühstücken gerade."

Begabte - Götter in AusbildungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt