Kapitel 2

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Der nächste Morgen begann ziemlich hektisch, wie eigentlich jeder, bei so einem Morgenmuffel wie mir. Ich hatte mir meinen Wecker auf um sieben gestellt, damit ich noch genug Zeit hatte, mich fertig zu machen und zum Flughafen zu fahren, da mein Flug gegen halb neun abfliegen sollte. Als ich mich allerdings endlich aus dem Bett gequält hatte, war es bereits halb acht und so blieb mir nur eine knappe halbe Stunde, um mich einigermaßen vorzubereiten. Nachdem ich schließlich damit fertig war, hüpfte ich die schmale Holztreppe hinunter und gab meinem Dad, den ich in der Küche vorfand, noch einen Kuss auf die Wange. Da meine Freundin Bell bereits seit knapp zwei Monaten ihren Führerschein besaß, hatte ich sie gebeten, mich zum Flughafen zu fahren (Auf meinen Dad hatte ich mich da nicht verlassen wollen) und so stand sie jetzt leicht verschlafen vor meiner Haustür. Lächelnd öffnete ich ihr und schloss sie in die Arme. Wir kannten uns bereits seit der Grundschule, unternahmen seitdem fast jeden Tag irgendwas zusammen und hatten auch logischer Weise schon viel Mist angestellt. Es würde schwer werden, eine ganze Woche ohne meine beste Freundin aus zukommen. "Und du hast auch nichts vergessen?", fragte sie mich mit einem traurigen Unterton in der Stimme, nachdem wir meinen gigantischen Koffer ins Auto gehievt hatten und blickte mich aus ihren grau-grünen Augen hoffnungsvoll an. Ich lächelte sacht. "Ganz sicher nicht.", antwortete ich und konnte regelrecht zusehen, wie jede Hoffnung, dass ich doch bleiben würde, aus ihrem Gesicht verschwand. Noch einmal nahm ich sie in den Arm. "Es ist doch nur für eine Woche. Du schaffst das schon. Kopf hoch." Ein trotziger Schimmer glomm kurz in ihren Augen auf, doch dann grinste sie. "Ich mach mir eher Sorgen um dich. Am Ende verirrst du dich noch im großen London und wir finden dich nie wieder. Oder du wirst von irgendwelchen bösen Buben entführt und vergewaltigt!" Ihre Augen weiteten sich vor spielerischem Entsetzen, sodass ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Sie würde es verkraften. Wenn Bell erst einmal anfing, Witze über irgendwas zu reißen, war die Sache nur halb so schlimm. Doch bevor sie ihre Meinung vielleicht doch noch änderte, schob ich sie lachend zum Wagen.

Knapp eine viertel Stunde später setzte sie mich dann am Birmingham Airport ab und umarmte mich noch einmal kräftig, bevor sie sich schließlich wieder auf den Heimweg machte. Ich dagegen schleuste mich durch die Sicherheitskontrolle bis ins Flugzeug. Der Flug noch London an sich verlief reibungslos, erst als ich dort angekommen durch die Passkontrolle gelangt war und mein Handy wieder einschaltete, merkte ich, dass ich eine Nachricht von Katie bekommen hatte.

Hi Fleur,

stecke im Stau

brauch ne Viertelstunde länger

Gruß Katie

Tja.

Kurz und schmerzlos.

Ich seufzte und steuerte mit meinem Rollkoffer auf eine der Bänke zu, die man im "Aufenthaltssaal" des Flughafens platziert hatte. Da keine davon komplett frei war, lies ich mich neben einem älteren Herren nieder, dessen gebrauchter Adidastrainingsanzug auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Mir gegenüber dagegen saß ein adrett gekleideter Mann, der mit seinem I-Pad gerade E-mails versandte. Neugierig betrachtete ich ihn. Früher hatte ich das oft mit meiner Mutter gemacht. Leute beobachtet. Also nicht im Sinne von Hinterherstarren, sondern eher Sherlock Holmes mäßig. Und meine Mum war verdammt gut darin gewesen. Sie hatte mir auch erklärt, woran sie das alles erkannt hatte und mit der Zeit hatte ich gelernt, es auch anzuwenden. Ich wusste, dass der Mann auf der Bank mir gegenüber ein wohlhabender Bänker aus Edinburgh war und nach London kam, um seine Tochter zu besuchen, die bei seiner Exfrau lebte. Ich wusste, wie sehr er es bereute, damals mit diesem heißen, italienischen Model ins Bett gestiegen zu sein. Und ich wusste, dass er bei seiner Ex keine (weitere) zweite Chance bekommen würde. Ich wusste... "Angenehmes Wetter heute, nicht wahr?", wurde ich von dem haarlosen, älteren Herren neben mir aus den Gedanken gerissen. Unfähig irgendwas zu erwidern, starrte ich ihn einige Sekunden lang einfach an. Erfreut darüber, dass ich ihn überhaupt bemerkt hatte, grinste er breit und entblößte dabei zwei makellose Reihen ziemlich zahnloser Zähne. "Ungewöhnlich für diese Jahreszeit, oder?", fragte er weiter und strebte anscheinend eine Unterhaltung mit mir an. Ich nickte nur. "Mal abgesehen von den zwei, drei Wölkchen ist es richtig sommerlich draußen.", schwafelte er weiter ohne eine Antwort von mir zu erwarten. Genervt drehte ich mich weg und rutschte unauffällig ein Stück zur Seite. Nicht das ich etwas gegen andere Menschen hätte, aber dieser hier roch doch ein wenig streng nach Verwesung. Angewidert rümpfte ich die Nase. Nur schien ihn das gar nicht zu interessieren. Er erzählte einfach weiter, mit einem fröhlichem Lächeln auf den Lippen, von dem Wetter und anderen Gegebenheiten der letzten Tage. Ich dagegen versuchte so gut ich konnte, sein Gelaber und seinen Gestank zu ignorieren. "Weißt du, Fleur, an deiner Stelle würde ich allerdings nicht allzu lange in der Stadt verweilen..." Erschrocken riss ich die Augen auf und starrte ihn mit diesen verwirrt an, bevor sie langsam zu schmalen Schlitzen wurden und ihn voller Misstrauen betrachteten. "Woher wissen sie, wie ich heiße?" Er schaute überrascht auf, als hätte er das Erwähnen meines Namens gar nicht mitbekommen und betrachtete mich einen Moment lang unverwandt, bevor er mir antwortete: "Ich ... ähm ... also... Das ... steht auf deinem Koffer" Ja natürlich!, dachte ich sarkastisch. Deshalb auch das Rumgestottere, bevor du geantwortet hast. Ich blickte ihn weiter misstrauisch an. Irgendetwas an ihm irritierte mich. Auch wenn ich nicht genau wusste, was es war, aber jedes mal, wenn ich ihn ansah, lief mir ein kalter Schauder über den Rücken. Ich konnte einfach nichts anderes machen, als ihn anzustarren. Ob er aus dem Irrenhaus abgehauen war? Möglich wäre es bestimmt. "Ich habe dich gesehen, Fleur Blanche", redete er mit einem unheimlichen Unterton in der Stimme weiter. "Ich habe dich in der Zukunft gesehen. Du wirst eine schwere Zeit vor dir haben. Du wirst Qualen erleiden und Schlachten schlagen, die Normalsterbliche nicht überleben könnten, Fleur Blanche. Deine Zukunft ist geschrieben, dein Schicksal besiegelt. Dein Ende wird kommen, schon sehr bald. Glaube mir, beim nächsten Neumond wird es keine Fleur Blanche mehr geben. Du wirst...", der schräge Typ erstarrte, als eine kleine, schlanke Frau Ende zwanzig, die energisch mit den Armen fuchtelte und meinen Namen rief, auf uns zu rannte. Katie. Gott sei dank, dachte ich und stand auf. "Ich muss jetzt los. Danke für die ...ähm... Warnung.", sagte ich noch einmal an den Alten gewandt, bevor ich mich umdrehte und die restlichen Meter zu meiner Tante beinahe rannte.

Bei ihr angekommen, nahm sie mich erst einmal in den Arm, drückte mich fest an sich und entschuldigte sich ein halbes Dutzend mal bei mir, dass sie zu spät war. Als sich die zierliche Blondine wieder einigermaßen beruhigt hatte, fragte ich sie immer noch in Gedanken versunken: "Sind eigentlich alle Obdachlosen in London gruselig?" Katie, die sichtlich erstaunt über diese Frage schien, runzelte verwundert die Stirn, antwortete aber schließlich: "Von welchem gehst du denn aus?" Ich drehte mich um, um ihr das gefragte Objekt zu zeigen, erstarrte dann aber, als er nicht mehr auf der Bank saß. Ungläubig schaute ich mich in der Halle um, konnte ihn aber unter der Menschenmasse nicht ausmachen. Schließlich gab ich es auf, drehte mich wieder zu Katie, die mich immer noch mit einer fragend hochgezogenen Augenbraue betrachtete und meinte:"Weißt du was? Vergiss es. Ich glaube, fliegen tut mir nicht gut."

Begabte - Götter in AusbildungWhere stories live. Discover now