Kapitel 6

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"Hör auf damit, Mädchen. Ich weiß, dass du nicht schläfst.",  ertönte eine raue Stimme, kurz nachdem die Tür wieder ins Schloß gefallen war. Ich fluchte innerlich, blieb aber still und mit geschlossenen Augen liegen.

"Du willst es also auf die harte Tour, ja?", begann die Stimme wieder, während sie langsam auf mich zu kam. "Ich bin nicht dämlich, glaub mir. Ich kann sehr gut unterscheiden, ob jemand schläft oder es nur vorspielt. Und das auch noch ziemlich miserabel." Ich stutzte innerlich. Hatte der gerade meine Schauspielfähigkeiten beleidigt? So eine Frechheit konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ganz egal, was für ein missgestalteten Wesen dort vor mir stehen und mich dann in winzige Stücke zerfetzen würde. An Flucht war im Moment sowieso nicht zu denken.

Ich öffnete die Augen, um das Monster mit einem wütendem Blick anzufunkeln, erstarrte aber sofort wieder. Denn vor mir stand nun wirklich nicht das, was ich erwartet hatte. Kein riesiges, abscheuliches Monster mit neun Augen, sechs Armen und Zähnen so groß, wie die eines Säbelzahntigers. Nein. Vor mir stand wirklich und wahrhaftig der junge Mann aus dem Café. Ausgerechnet der. Komischerweise war ich über diese Tatsache mehr entsetzt, als ich es über jede andere hätte sein können. Entgeistert starrte ich ihn an und brachte lediglich ein mickriges, kleines Du heraus. Der Typ aber grinste nur selbstgefällig und funkelte mit seinen dunkelblauen Augen belustigt zurück. "Du erkennst mich wieder? Das ist ein gutes Zeichen." Ich blickte ihn verständnislos an. Ein gutes Zeichen? "Für was?", fragte ich zurück und bedachte ihn mit einem misstrauischem Blick. Doch statt einer Antwort bekam ich wieder nur ein selbstgefälliges Grinsen. "Wie fühlst du dich?" Er hatte sich von mir abgewendet und lief nun quer durch den kleinen Raum zum Fenster. Gute Frage. Mit zusammen gebissenen Zähnen setzte ich mich auf. "Ist ertagbar. Ich hab schon schlimmeres erlebt." Der junge Mann fuhr auf der Stelle herum und blickte mich erstaunt an. "Ach wirklich?" Ich seufzte. War die Frage jetzt wirklich ernst gemeint gewesen? "Ja natürlich. Zu Hause werd ich jeden Tag von großen, grünen Monstern angegriffen.", antwortete ich sarkastisch. Wieder grinste er, doch diesmal war es weniger selbstgefällig. Endlich strammpelte ich die Decke von mir runter. Jetzt entdeckte ich auch den Verband an meiner Schulter. Er war durchtränkt von Blut. "Warum ist der so rot?", fragte ich leicht histerisch und fing an zu zittern. "Weißt du, da gibt es so eine Körperflüssigkeit. Die nennt sich Blut. Wenn man sich irgendwo verletzt, dann ..." Ich unterbrach ihn, bevor er seine Erklärung für Kleinkinder zu Ende bringen konnte. "Warum so viel?", fragte ich diesmal sehr histerisch. Er seufzte, setzte zu einer Antwort an, hielt dann aber inne. "Du hast halt viel abgekriegt." Mehr schien er dazu nicht zu sagen zu haben, denn er drehte sich bereits wieder zum Fenster. Doch ich ließ nich locker. "Sollte man dann nicht in ein Krankenhaus fahren, zu einem richtigen Arzt?", "Nein!" Er drehte sich nicht einmal um, als er das sagte. Und ich fragte auch nicht, warum. Ich konnte es mir schon denken. "Was genau ist in dem Café passiert, nachdem dieses Vieh aus der Küche gestürmt ist?", fragte ich schließlich. Diesmal drehte er sich, als er mir antwortete. "Ich glaube nicht, dass du das wissen willst. Hör mir zu ja. Für die nächsten zwei oder drei Tage bleibst du hier, erholst dich, dann sorge ich dafür, dass du dich an nichts von diesem Vorfall errinnern kannst und dann kannst du dein altes Leben genauso weiterführen, wie früher, ok?" Ich starrte ihn schockiert an. Hatte der Typ gerade gesagt, dass er mich bitzdingsen wollte? Nicht mit mir. "Ich will gefälligst wissen, was da passiert ist und was das für ein komisches Vieh war!" Wütend funkelte ich ihn an. Kann er mir nicht einfach die Wahrheit sagen. "Ich würde es dir ja gern sagen, aber ihr Menschen vertragt diese Wahrheit einfach nicht. Ihr würdet daran kaputt gehen." Mit schmerzverzertem Gesicht drückte ich mich vom Bett hoch und ging einpaar zaghafte Schritte auf den Jungen zu. "Was meinst du mit ihr Menschen? Bist du etwa keiner?" Die letzte Frage war eigentlich ironisch gemeint gewesen, doch er schien sie sehr ernst zu nehmen. "Nicht wirklich.", antwortete er müde und fuhr sich mit einer Hand durch die dunklen Haare. Ich schaute ihn fragend an. "Aber wenn du mein Gedächnis sowieso löschst, kannst du mir doch auch sagen, was passiert ist. " Für einen Augenblick erwiderte er meinen Blick. Seine Augen waren von einem dunklen, strengen Blau. Doch diesmal wirkten sie weich und mitfühlend. Als würde er verstehen, wie ich mich fühlte. Als würde er nachgeben und mir erzählen, was ich wissen wollte. Und dann war der Moment vorbei. "Meine Antwort bleibt bei Nein. Leg dich wieder hin und ruh dich aus. In einer Stunde bekommst du was zu Essen." Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und schmiss die Tür hinter sich zu. Als Letztes hörte ich noch wie sich der Schlüssel im Schloß drehte, damit ich nicht fliehen konnte, und das Knarren der Stufen. Dann war alles ruhig. Ich war wieder allein.

Begabte - Götter in AusbildungWhere stories live. Discover now