9. Kapitel

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Nicolas POV

Es dauert nicht mehr lange.

Ich blicke aus dem Fenster, wo mir schwach meine Reflektion entgegen sieht. Ich sehe immer noch so aus wie ich, nur... etwas anders. Es ist etwas ungewohnt, mich selbst mit blonden Haaren zu sehen, aber ich werde mich wohl damit abfinden müssen.

Erneut frage ich mich, ob diese Verkleidung wirklich reicht um meine Identität zu verstecken. Was ist wenn es irgendwer bemerkt? Ich sah Dad schon immer erschreckend ähnlich und bin jetzt praktisch zu seiner Kopie herangewachsen. Das Einzige, das uns jetzt unterscheidet, sind meine blonden Haare. Wenn wir also nebeneinander stehen würden, dann wäre die Ähnlichkeit definitiv erkennbar. 

Das bringt mich direkt zu meinem nächsten Problem: Was werde ich tun, wenn ich ihm begegne?

Ich will nicht glauben, dass er mir weh tun würde, aber ich darf auch nicht unvorsichtig sein. Ich weiß, was er getan hat.

Innerlich male ich mir verschiedene Begegnungen mit ihm aus. Nur in den wenigsten gibt es ein Happy-End. Die meisten enden in Verrat oder sogar meinem Tod. 

Ich weiß, dass ich so nicht denken sollte. Er ist mein Vater. Er würde mir niemals weh tun. Ich sollte ihm vertrauen. Aber nach allem was passiert ist, ist das manchmal schwierig. Macht mich das jetzt zu einem schlechten Menschen?

Letztendlich ist es schwer zu sagen, was wirklich passieren wird. Ich sollte mir nicht zu viele Gedanken darüber machen. Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn ja auch gar nicht?  

Dass das lächerlich ist, weiß ich selber. Immerhin werden wir die nächsten Wochen praktisch zusammen wohnen und die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit ihm Kontakt haben werden, ist ziemlich hoch.

Ich denke darüber nach, was Lance mir von Mums Unfall erzählt hat. So vieles daran macht mich stutzig. Dads Verhalten war schon sehr auffällig. Ich meine, ich kann ja verstehen, dass er den Täter unbedingt schnappen wollte. Das würde ich auch wollen. Aber warum war er so überzeugt davon, dass es kein Unfall war?

Es ist fast so, als hätte er mehr über den Unfall gewusst, als er gesagt hat. 

Genauso komisch ist es, dass der Fahrer kurze Zeit später tot aufgefunden wurde. Das kann doch kein Zufall sein, oder? Da kommt mir ein weiterer Gedanke: Vielleicht war es ja auch gar kein Unfall? Sondern ein geplanter Anschlag? Immerhin ist meine Mutter ein wichtiges Ziel und Dad muss einen Grund gehabt haben ihn zu töten. Hat er gewusst, dass es eigentlich ein Anschlag war? Wenn ja, woher?

Aber warum sollte er ihn eigenständig fassen und erledigen? Dad hätte ihn genauso gut verhaften lassen können. Es gab eine landesweite Suchaktion, praktisch das ganze Land war hinter ihm her, also wäre der Typ früher oder später gefasst worden.

Und wieso hat er ihn überhaupt getötet? Wäre es nicht viel befriedigender und einfacher gewesen ihn der Justiz auszuliefern, wo er seine Strafe erhalten hätte? Warum hat mein Vater all seine Ergebnisse verborgen und sich selbst die Mühe gemacht ihn zu schnappen? Und das Ganze auch noch ohne jemandem davon zu erzählen.

Mir scheint es so, als hätte er eine alte Rechnung begleichen wollen. Denn irgendwie habe ich den Verdacht, dass die beiden sich kannten. Und das nicht erst seit Kurzem. Und ich denke auch, dass der Unfall nicht der einzige Grund für Erik's Tod war. Dahinter muss noch mehr gesteckt haben.

Aber was wusste Erik, dass ihn letztendlich das Leben gekostet hat?

Und würde das nicht auch heißen, dass er ebenfalls ein feindlicher Agent war?

Dann gibt es allerdings immer noch etwas, dass mich irritiert. Mal angenommen Dad hat diesen Erik wirklich getötet. Aus Rache. Das würde irgendwo noch Sinn ergeben. Aber was ist mit den anderen feindlichen Agenten, die dort waren? Wieso wurden auch sie getötet? Sollten sie und Dad nicht eigentlich auf einer Seite sein?

Eins steht fest: Der Unfall meiner Mutter und die Ermordung dieser Menschen stehen in Zusammenhang miteinander.

Nur wie? Egal wie viele Möglichkeiten ich in meinem Kopf durchspiele, eine Frage stellt sich mir jedes Mal:

Warum hat er die anderen Agenten mit umgebracht?

Mit jeder Frage, die ich mir stelle, kommen zehn weitere auf. Mir wird klar, dass mir noch ein wichtiges Teil zur Lösung des Ganzen fehlt. Und dieses Teil ist das warum. 

Letztendlich gebe ich es auf und lasse meinen Kopf stöhnend zurück in den Sitz sinken. Mein Kopf tut schon weh von dem ganzen hin und her Überlegen. Ich sollte lieber noch etwas Schlaf tanken, bevor es später losgeht. Die nächste Zeit wird anstrengend und wer weiß, wie viel ich in nächster Zeit noch davon bekommen werde.

Und damit sinke ich in einen ruhigen Schlaf.
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Als der Pilot mich weckt um mir mitzuteilen, dass wir landen werden, bricht bereits der Morgen heran und leichte Sonnenstrahlen kitzeln meine Nase. Schläfrig öffne ich die Augen und sehe mich um. 

Wir sind wirklich die ganze Nacht durch geflogen. Mir war nie wirklich bewusst, was für eine Distanz zwischen den Königreichen liegt. Obwohl wir eigentlich auch schon früher angekommen wären, aber wir mussten bis zum Tagesanbruch warten, da der Hubschrauber sonst zu sehr aufgefallen wäre.

,,Viel Glück.", sagt der Pilot noch mit einem Nicken zu mir. Ich lächle ihn dankend an und klettere aus dem Hubschrauber. Ein letztes Mal überprüfe ich gedanklich die Liste der Agenten, die ich warnen soll und checke, ob meine Verkleidung noch in Takt ist. Nachdem ich mich von dem Piloten verabschiedet habe, trete ich einige Schritte zurück, sodass ich im Schutz einiger Bäume stehe. Dort beobachte ich, wie der Hubschrauber langsam abhebt und blicke ihm hinterher, bis er hinter den Baumkronen verschwindet.

Einen Moment lang stehe ich einfach hier auf der Lichtung und genieße die beruhigende Stille, die von ihr ausgeht. Ein paar Vögel sind schon wach und begrüßen den neuen Tag mit sanftem Gezwitscher. Ab und zu huschen ein paar Bienen über die sommerlich blühenden Blumen ich meine im Gebüsch einen Hasen gesehen zu haben. Es ist eine idyllische Atmosphäre.

Nach einigen Minuten löse ich mich von dem Naturschauspiel der Lichtung und drehe mich in die Richtung, in der mein Ziel liegt. In der Ferne glänzt die Spitze des Schlosses der Averanti im Morgenlicht und ich seufze. Das Schloss ist noch einige Stunden entfernt. Näher konnte mich der Pilot nicht absetzen, da er sonst bemerkt worden wäre. Das heißt also, dass ich noch einen langen Marsch vor mir habe. Na immerhin, das wird meinen Durch-den-Wald-gelaufen-Look noch glaubwürdiger machen.

Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich losgehe und mich in Richtung Averanti aufmache.

Es gibt nun kein zurück mehr.

Ab jetzt bin ich auf mich allein gestellt.

Undercover SonWhere stories live. Discover now