Kapitel 28 - Ich vertraue dir

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"Du weinst nicht wie ein Idiot", sagt Harry leise und sieht mir in die Augen. "Das macht dich nur viel lebendiger."

Die Sonne ist mittlerweile komplett untergangen und der Himmel wird immer dunkler. Man hört nichts, außer das Fließen des Wassers. 

Ich sehe in Harrys Augen und verliere mich fast in ihnen. Dieses unglaubliche grün. Ich sehe auf seine Lippen. Ich würde ihn unheimlich gerne Küssen. Oh, wie unheimlich gerne ich ihn küssen würde. 

Ich fühle mich Harry gerade unglaublich nah und das ist im Moment alles was zählt. Ich habe keine Ahnung, ob sein Herz schwarz oder blau ist und ich weiß auch nicht ob er nachts süße Träume hat oder Alpträume. Wahrscheinlich werde ich nie rausfinden, worüber er schreibt und an was er denkt, wenn er lächelt, aber wenn ich sein Lächeln sehe, in all meinen durcheinander geratenen Gedanken, weiß ich eine Sache über ihn: Ich mag ihn. Ja, ich mag ihn. 

Und da muss ich an meinen Dad denken. Und an Scar und Cate. Sie alle sind traurige Menschen, weil sie ständig verlassen werden. Ich will nicht einer von ihnen sein. 

"Ich hab gerade so Angst", flüstere ich zu Harry. 

"Wovor hast du Angst?" 

Dass ich mich in dich verliebe...

Ich wende mich von seinem Blick ab und sehe auf das Wasser. "Ich will nicht verletzt werden." 

"Raven", flüstert er und ich sehe ihn wieder an. In seinem Blick spiegeln sich so viele Emotionen, dass ich nicht mal bestimmen könnte, welche es sind. "Ich werde dich nicht verletzen." 

"Woher weiß ich das?" 

Harry atmet einmal tief ein und streichelt sanft meine Wange. "Das weißt du nicht, aber du musst versuchen mir zu vertrauen." 

Ich will ihn küssen. Ich will ihn so sehr küssen. Aber ich weiß nunmal nicht, was passieren würde, wenn wir uns küssen. Die Situation wäre danach komisch und das möchte ich nicht. Ich will noch mehr von Harry kennenlernen. Ich will ihn besser kennenlernen. 

"Ich vertraue dir." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauchen.

Harry lächelt leicht und streicht mit dem Daumen über meine Unterlippe.

Mein Herz scheint jede Sekunde zu implodieren und meine Kopfhaut fängt an zu kribbeln. Mit dieser kleinen Berührung macht er schon ein Wrack aus mir. 

"Wir sollten uns nicht küssen", sagt Harry und sieht mir in die Augen. 

Sofort fällt mein inneres Ich auf die Knie und sieht ihn entsetzt an. Ich sehe ihn ebenfalls stirnrunzelnd an.

Er nimmt seine Hand zurück und sieht lächelnd auf das Wasser. "Du bist mehr wert, als irgendein Kuss auf einem See."

Wie meint er das? Hat er etwa schon einige Mädchen hier auf diesem See geküsst? Bei der Vorstellung, wie er ein anderes Mädchen küsst, dreht sich sofort mein Herz um. 

Ich bin total verwirrt und beobachte, wie er aufsteht und den Schlüssel des Bootes dreht. 

"Wir sollten wieder zurück. Es wird langsam zu dunkel." 

"Okay", sage ich leise und lasse mich in dem Sitz nach hinten fallen. 

Harry startet den Motor und fährt los. 

Der Wind ist so kühl, dass ich mich noch mehr in der Decke einwickle und ihn beobachte wie er das Boot lenkt. 

Ich frage mich, was Harry gerade denkt. Er hätte mich eben einfach küssen können und wahrscheinlich hätte ich nicht mal etwas dagegen gemacht. Aber er hat es nicht getan. Er hat es einfach nicht getan. Ist das etwas Gutes oder schlecht? 'Du bist mehr wert,  als irgendein Kuss auf einem See', das ist doch eigentlich nichts Schlechtes. Oder? 

Harry und ich haben bis zum Weg in sein Auto kein Wort mehr gesagt und das macht mich ein wenig nervös. 

"Ich will nicht, dass es jetzt so komisch ist", murmle ich, während Harry gerade auf die Bundesstraße biegt. 

Ich spüre seinen Blick auf mir. "Dann lass es uns nicht komisch werden."

"Glaubst du, dass Cate's Herz diesmal schlimmer gebrochen ist, als sonst? Ich meine, sie hat wirklich viel geweint", frage ich, um ein Gesprächsthema zu finden. 

"Nein. Es war dieses Mal sogar noch recht ertragbar. Es gibt Tage, an denen sie zu mir nach Hause gestürmt ist und Sachen kaputt gemacht hat."

"Ernsthaft?" 

"Ja", lacht er. "Aber keine wichtigen Dinge."

"Hast du deine eigene Wohnung?" Das frage ich mich schon die ganze Zeit. 

"Ja, ich wohne nur ungefähr fünfzehn Minuten vom Campus entfernt." 

"Du hast es gut. Ich wünschte manchmal, ich hätte auch meine eigene Wohnung. Cate schnarcht immer höllisch und jetzt wo sie die Nächte nicht mehr bei ihrem Lover verbringt, kann ich mir das noch öfter anhören."

"Du musst ihr im Schlaf etwas vorsingen, dann hört sie auf."

Ich werfe den Kopf in den Nacken und lache laut. "Was?" 

Ich stelle mir jegliche Szenarien vor, wie er das vor rausgefunden hat. Wie er nachts an Cates Bett steht und ihr etwas mit seiner rauchigen Stimme vorsingt. 

"Ja, wirklich", lacht Harry. "Das hab ich mal rausgefunden, als sie bei mir geschlafen hat." 

Autsch. Sofort sticht wieder was in meinem Herzen. Hatten Cate und Harry mal was miteinander? Oder waren gar zusammen? Sie sind beide attraktiv, zusammen passen, würden sie auf jeden Fall. 

Ich überspiele meine Gedanken und meine: "Okay, ich werde es ausprobieren. Da hab ich aber noch eine wichtige Frage."

"Schieß los."

"Wie alt bist du eigentlich?" 

Harry lacht leise. "Zwanzig. Ich werde am 1. Februar einundzwanzig. Du?" 

"Ich werde im September neunzehn." 

Harry nickt und ich sehe den Campus. Sofort wünsche ich mir, ich könnte noch länger bei Harry bleiben. 

"Da sind wir", sagt er und parkt auf dem Parkplatz. 

Ich schnalle mich ab und streiche mir nervös die Haare hinter die Ohren. "Harry, ich...ehm, ich will nur mal kurz noch danke sagen."

Harry neigt seinen Kopf leicht und sieht mich fragend an. "Wofür?"

"Dass du mir zugehört hast, denke ich... Ich habe darüber noch nie geredet. So offen."

"Kein Problem, Raven. Zuhören ist ein Nebeneffekt von 'Soetwas'."

Ich lächle zurück und öffne die Tür. "Gute Nacht."

"Schlaf gut."


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