Kapitel 38 - Dann tu es

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Harry sagt nichts, sondern sieht mich von oben bis unten schmunzelnd an. Er sieht extrem konzentriert und nachdenklich aus, denn er kaut innen auf seiner Lippe und tippt mit seinem Mittelfinger auf dem Lenkrad rum.

Ich sehe ihn erwartungsvoll an, "Was hast du denn?"

Harry lehnt sich ausatmend in den Sitz zurück und lässt das Lenkrad los. Er reibt sich mit der Hand schon fast unruhig über die Stirn, "Es ist nur", sagt er leise mit seiner rauen Stimme, "Du bist so unglaublich schön und das macht mich verrückt."

Ich reiße erschrocken meine Augen auf und starre ihn mit offenem Mund an. Ich kann mich nur verhört haben. Oder?

"Oh, man, Raven, du hast, glaub ich, echt keine Ahnung wie unfassbar anziehend du gerade bist", murmelt er leise lachend und sieht auf seine Hände, die wieder das Lenkrad umgriffen haben.

Mein Puls beschleunigt sich gerade auf mindestens 1000 und ich habe das Gefühl, dass ich gleich an einem Herzinfarkt krepieren werde. Mein inneres ich will Harry gerade durch's Gesicht lecken und ihm sagen, wie toll er ist, während meine Schale gerade damit kämpft, Harry nicht anmerken zu lassen was gerade in mir vorgeht.

Harry sieht mich jetzt wieder mit seinen grünen Augen an und lächelt leicht, "Wenn du wüsstest, wie gerne ich dich jetzt küssen würde", sagt er leise.

Ich lasse mir nicht mal Zeit diese Aussage auf mich wirken zu lassen, sondern flüstere: "Dann tu es."

Und es verging keine weitere Sekunde, da spürte ich schon Harry's Lippen auf meinen. Ein Feuerwerk der Gefühle explodiert in mir und ich habe das Gefühl, dass meine Körperwärme innerhalb von Nanosekunden auf hundert Grad gestiegen ist.

Harry umfasst mein Gesicht und küsst mich so zärtlich, dass ich fast schmelze. Unsere Lippen bewegen sich gleichmäßig und als ich Harry's Zunge spüre, vertieft sich der Kuss noch mehr.

Niemals in meinem Leben hätte ich mir ausmalen können, dass küssen so etwas in einem Menschen auslösen kann. So viele Gefühle auf einmal und sie sind so undefinierbar. Und ich hätte mir auch niemals einen besseren Moment für einen ersten Kuss vorstellen können.

Dieser Moment gerade ist mindestens tausend Mal besser als die Hochzeit von August in 'Als wir unendlich waren' und auch besser als etliche andere erste Küsse in meinen ganzen Romanen; es ist einfach besser und... realer.

Nach kurzen Augenblicken lässt Harry von meinen Lippen ab, hält aber meinen Kopf immer noch in seinen Händen. Ich spüre ganz klar, wie angeschwollen meine Lippen sind und am liebsten würde ich ihn noch für die nächsten Stunden küssen. Es soll niemals aufhören.

Sein Atem prallt auf meinen Mund und er sieht mir deutlich in die Augen. Seine Augen strahlen so viel aus, dass ich mich fast ihnen verlieren könnte.

Das Geräusch des Regens macht die ganze Situation noch viel schöner, als sie sowieso schon ist und die Tatsache, dass wir beide klitschnass sind, macht es zu etwas besonderem.

"Ich hab verdammte Angst dich zu wollen", sagt er leise und streichelt mit seinem Daumen über meine Unterlippe, "Aber hier bin ich und will dich trotzdem."

Ich lächle ihn breit an und entziehe mich langsam seinen Händen. Ich will es nicht zu weit treiben, will aber auch nicht, dass die Situation jetzt unangenehm für uns beide ist. Ich streiche mir die nassen Haare aus dem Gesicht und schnalle mich an.

"Willst du gehen?", fragt Harry leicht bestürzt und sein Lächeln verschwindet.

"Mir wird langsam kalt, meine Klamotten triefen und der Regen wird langsamer weniger, also könnten wir eigentlich losfahren, oder?", erkläre ich und grinse ihn an.

Jetzt lächelt Harry auch wieder und atmet aus, schnallt sich ebenfalls an und startet den Motor, "Ich dachte, du würdest es vielleicht bereuen", meint er unsicher und fährt aus der Parklücke raus.

Ich sehe ihn von der Seite an, "Nein, tue ich nicht."

Harry grinst noch breiter, wodurch seine Grübchen rausstechen, "Gut, ich nämlich auch nicht."

Ich schaue wieder geradeaus auf die Straße.

"Aber wir sollten darüber - über eben - nicht nochmal reden", sagt Harry konzentriert, "Reden und analysieren macht immer so vieles kaputt und das möchte ich nicht. Wir machen einfach weiter mit... was auch immer. Okay?"

Ich denke, dass Harry recht hat und glaube, dass er auf diesem Gebiet definitiv erfahrener ist, deshalb nicke ich einfach.

"Gut", seufzt er erleichtert.

Ich will gerade etwas sagen, muss aber dann plötzlich laut niesen. "Oh, nein", stöhne ich, "Ich merke jetzt schon, dass ich krank werde."

Harry lacht leise, "Auf der Rückbank liegt eine Jacke von mir, die kannst du dir überziehen."

"Okay", sage ich und greife nach der Jacke. Sie riecht so gut nach Harry. Und Moschus. Und Jasmin. Ah. Ich ziehe sie mir über und ziehe meine Beine an meinen Körper ran und lehne mich an die Autotür, damit mir schneller wärmer wird.

Harry dreht währenddessen die Sitz - und Autoheizung voll auf und schaltet das Radio an.

Ich dachte immer, dass solche Situationen nach einem Kuss extrem unangenehm sind, aber diese Situation gerade hier ist alles andere als unangenehm. Ich fühle mich einfach nur gut und bin glücklich.

Im Hintergrund läuft gerade Gospel von The National und dieses Lied passt einfach gerade total zu uns.

"Ich kenne das Lied", bemerke ich, "Ist das im Radio oder auf einer CD?"

"CD", sagt Harry, "Ich habe das ganze Album von The National und um ehrlich zu sein, dachte ich auch, dass ich der einzige Mensch auf der Welt bin, der die hört."

"Bist du nicht", lächle ich.

Auch Harry schmunzelt und fragt kurze Momente später: "Willst du eigentlich wieder zurück zum Campus?"

Ich nicke, "Ja, mir ist total kalt und ich merke, wie ich eine richtig dicke Grippe ausbrühte. Ich sollte dringend in mein Bett."

"Ob wir wohl nochmal irgendwann den Kurs als Freunde betreten werden?", lacht Harry.

"Ich glaube, das ist ein Wunsch, auf dessen Erfüllung wir noch lange warten können."



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