Kapitel 53 - Kein freundliches Grinsen

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"Das ist eine ganz schöne beschissene Situation", sagt Harry, nachdem ich ihm alles erzählt habe. "Und du denkst, du kannst deiner Mutter niemals verzeihen?"

"Nein, auf keinen Fall. Es ist einfach unmöglich, selbst, wenn ich es wollen würde. Ich hätte zu schlimme Bilder von ihr vor meinem Auge, jedes Mal, wenn ich sie sehen würde."
Während ich Harry alles erzählt habe, hat er mich komischerweise nicht einmal gefragt, was Margret mir und meinem Vater eigentlich angetan hat. Wahrscheinlich will er mir nicht zu Nahe treten und ich muss ehrlich sein, dass ich das gut finde.

"Das kann ich absolut nachvollziehen. Aber... ich weiß nicht, vielleicht solltest du ihr morgen - beziehungsweise heute einfach nochmal zuhören und ihre Seite der Geschichte hören. Vielleicht rentiert sich dann ihr Verhalten von damals."

"Ich glaube nicht, dass das überhaupt möglich ist. Sie ist einfach... es ist einfach unmöglich."

"Ich finde, dass du das tun solltest. Aber reden wir über was andres, ich merke, dass das Thema dich ganz schön anpisst." Er lacht. "Was machst du morgen?"

Ich gähne und lege mich auf die Seite. "Scar ihr gut durchdachtes Geschenk überreichen und dann - hm, weiß ich noch nicht. Du? O nein, stop. Du gehst ja an den tollen Strand."

"Richtig." Er lacht und gähnt ebenfalls. "Ich bin todmüde. Kaum zu glauben, dass es schon ein Uhr ist."

Ich schaue auf die Uhr an meiner Wand und tatsächlich ist es schon ein Uhr nachts. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass die Zeit so schnell vergangen ist, während wir telefoniert haben. "Willst du schlafen?", frage ich leise und versuche nicht ganz zu enttäuscht zu klingen, obwohl ich selbst total müde bin.

"Ich schlafe ein drittel meines Lebens, es muss nicht unbedingt genau jetzt sein. Obwohl ich wahrscheinlich in weniger als zwanzig Minuten mein Bewusstsein verlieren werde."

Ich lache leise und schließe meine Augen. "Also willst du nicht schlafen?"

"Willst du denn schlafen?"

"Eigentlich schon. Du solltest mir eine Geschichte erzählen, damit wir nicht auflegen müssen, aber ich gleichzeitig einschlafen kann. Ja, das ist eine fantastische Idee."

Harry lacht leise. "Okay, schließ die Augen."

"Schon erledigt."

"Perfekt. Also..." Harry erzählt von einer Geschichte mit einer Prinzessin die auf einen königlichen Ball geht, um ihre heimliche Liebe zu treffen. Sie trifft dort auf einen Dorftrottel, der versucht ihr zu imponieren, er stellt sich dann aber als 'komplettes Arschloch' raus. Bei dieser Szene musste ich grinsen, denn ich weiß, dass er auf Danny anspielte. Irgendwann bin ich eingeschlafen, als Harry kein Wort mehr sagte, denn er schien eingeschlafen zu sein. Ich hörte nur noch seinen regelmäßigen Atem. Das beruhigte mich unheimlich. Ich lauschte ihm die ganze Nacht und stellte mir vor, er würde neben mir liegen.

Leider muss ich am nächsten Morgen feststellen, dass mein Handyakku über Nacht alle gegangen ist und mein Handy aus. Stöhnend wuchte ich mich aus dem Bett und krame mein Aufladekabel aus meiner Tasche. Nachdem ich mir eine Jogginghose angezogen und mein Handy zum Laden angesteckt habe, laufe ich die Treppen zur Küche runter. An den Gedanken daran, wie ich letzte Nacht mit Harry am Handy zusammen eingeschlafen bin, muss ich lächeln. Das könnte ich jede Nacht machen.

"Guten Morgen, Schatz", grüßt mich mein Vater, als ich in die Küche watschle. "Oder sollte ich eher sagen guten Mittag? Der Geburtstag ging anscheinend lang gestern."

Ich schüttle den Kopf und fülle mir aufgebrühten Kaffee in eine Tasse. "Nein, ich bin um halb elf nach Hause gekommen. Ich hab nur letzte Nacht noch lange... gelesen."

"Oh, ach so. Was hast du heute geplant?" Er faltet seine Zeitung zusammen und sieht mich lächelnd an. Ich habe ihn so sehr vermisst.

Ich nehme einen Schluck von dem Kaffee. "Ich werde zu Scar gehen und ihr ihr Geschenk geben. Ansonsten habe ich noch nichts geplant. Du?"

Dad will gerade etwas sagen, da betritt eine weitere Person die Küche. Urgh. Ich verdrehe die Augen und sehe aus dem Fenster. Die hab ich ja schon total vergessen.

"Guten Morgen, Maggy", flötet mein Vater und Margret setzt sich zu ihn an den Tisch. Sie trägt eine Jogginghose, was also bedeutet, dass sie nicht vorhat heute in den nächsten Stunden zu verschwinden.

"Morgen." Sie lächelt unsicher. "Dir auch guten Morgen, Ravely."

"Spar's dir." Ich nehme noch einen Schluck von meinem Kaffee und setze mich an den Tisch, bedacht darauf ihr nicht zu Nahe zu sein. "Dad, kann ich nachher dein Auto haben? Ich will nicht zu Scar laufen, es ist total kalt geworden."

"Ich weiß nicht, ob das so gut ist. Es ist wirklich extrem kalt und es soll heute noch regnen, also wird es auch frieren."

Ich zucke mit den Schultern. "Das bekomm ich schon hin."

"Du solltest auf deinen Vater hören. Das ist gefährlich", sagt Margret.

Ich sehe sie scharf an. Dass sie es sich überhaupt traut ein einziges Wort auszusprechen ist schon verwunderlich, aber dann versucht sie mir auch noch zu sagen, was ich tun soll? Bestimmt nicht. "Denkst du?"

Sie nickt. "Ja. Ich denke, dass es unachtsam wäre bei diesem Wetter Auto zu fahren."

Ich hebe meine Augenbrauen und muss leicht grinsen. Es ist kein freundliches Grinsen, nein, eher so ein Grinsen, was man aufsetzt, wenn man etwas gerade nicht glauben kann. "Ist mir egal, was du denkst. Du solltest dir besser keine Gedanken um mich machen, während ich nicht eine Sekunde an dich denke."

"Ravely, es reicht", zischt mein Vater und klopft mit der Faust auf den Tisch. "Sie will nur, dass du keinen Unfall baust." Wow, so aufgebracht, wie jetzt, habe ich ihn selten erlebt.

Ich sehe von ihm zu Margret und betrachte sie abschätzend. Ich versuche ihr mit meinem Blick zu vermitteln, dass sie daran Schuld ist, dass mein Vater jetzt wütend ist. Denn wäre sie nicht hier, hätten wir den ganzen Stress nicht.

Sie sieht schuldbewusst auf die Tischplatte.

Ich stehe auf, greife mir meine Kaffeetasse und gehe zur Tür. "Also ich bekomme dann dein Auto, oder?", frage ich noch bevor ich gehe.

Dad stöhnt und legt den Kopf in die Hände. "Ja, aber sei vorsichtig."

Ich nicke und gehe die Treppen nach oben.

"Es ist nicht deine Schuld, Jared", höre ich meine Mutter sagen und ich stoppe.

"Es ist meine Schuld... Ich bin daran Schuld, dass sie dich so hasst. Ich weiß nicht, was ich tun kann, dass das endlich aufhört."

"Wir müssen ihr einfach noch ein bisschen Zeit geben. Momentan wird sie zu stark mit der Vergangenheit konfrontiert. Natürlich hat sie dann gegenüber mir keine guten Gefühle."

"Ich hoffe einfach nur, dass alles wieder gut wird. Ich will, dass sie endlich die Wahrheit weiß."

Als ich höre, dass mein Vater aufsteht, gehe ich schnell die Treppen hoch. Was meinte er mit; er will, dass ich endlich die Wahrheit weiß? Weiß ich denn nicht die Wahrheit?





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