Fiftyfour

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„Allan..."
Cedric atmete tief, zittrig. Da war ein leiser, zarter Herzschlag, kaum ertastbar, doch er war da.
Während er verzweifelt einige Minuten, welche sich wie Stunden angefühlt hatten, nach einem Lebenszeichen Allans gesucht hatte, hatte er durch sein Funkgerät und seinen Kompass ihre Koordinaten für den Rettungshubschrauber durchgegeben. Auch die Information, dass Tony und Wheatley gefunden und bereits im nächsten Rettungswagen saßen, hatte er bekommen.
Der Hubschrauber brauchte nicht mehr lange, in der Ferne konnte er bereits die Propeller hören. Allerdings würde sich die Rettung der beiden als schwierig gestalten, denn der Hubschrauber würde unter keinen Umständen auf dem einsturzgefährdeten Gebäude landen können. Durch das dichte Blätterdach der Bäume hatte er ohnehin nicht die Möglichkeit dazu.
Das Dröhnen des Hubschraubers wurde lauter, kam näher. Gerade empfand Cedric Erleichterung, doch er ließ sich nicht von diesen Emotionen mitreißen, denn ein falscher Schritt konnte Leben kosten. Allans, oder das seine.
Durch sein Funkgerät knirschte es. „Sheriff, hören Sie mich?"
„Ja", antwortete Cedric der knisternden Frauenstimme automatisch.
„Gut. Mein Name ist Seyfried, ich bin die Pilotin. Ich lasse gleich meinen Kollegen am Seil zu Ihnen herunter. Gibt es irgendwelche Fenster in Ihrer Nähe?"
Seyfried. Die Stimme der Pilotin klang sanft, aber professionell. Sie gab ihm die Routine zurück, auf die er in Extremfällen geschult worden war. Gerade war er an erster Stelle ein Beamter, der nach Anweisung ein Leben in einer Ausnahmesituation retten musste, nicht Allans verzweifelter Freund. Er musste nun richtig handeln.
„Im Osten liegen einige Fenster, doch die sind vergittert", sagte er schließlich.
„Okay. Das kriegen wir hin", erwiderte Seyfried mit fester Stimme. „Erschrecken Sie sich nicht, wenn es lauter werden sollte. Ich schicke Ihnen nun meinen Kollegen runter."
„Roger", sagte Cedric bloß. Er holte noch einmal tief Luft. Dann schaute er auf Allan herab und strich ihm leicht übers Haar. Soweit er es einschätzen konnte, waren keine Knochen gebrochen, keine größeren Wunden, keine Stich- oder Schussverletzungen vorhanden. Doch wahrscheinlich hatte Allan eine Gehirnerschütterung erlitten und sein Herz war sehr schwach.
„Alles wird gut, mein Schatz", wisperte er kaum hörbar.
Laute Rufe, die er jedoch nicht verstehen konnte, halten durch die Luft. Gleich darauf kam die Stimme näher, und eine Gestalt schwebte vor eines der Fenster, wie abgesprochen. Ein Mann in einem roten Anzug mit Helm hing an einem dicken Seil vor dem Gebäude und winkte Cedric zu. Cedric hob kurz die Hand und reckte dann einen Daumen, um ihm zu bedeuten, dass soweit keine akut lebensgefährliche Situation bestand.
Da das Fenster geschlossen war und es so laut war, zeigte der Mann ein paar einfache Gebärden, die Cedric verstehen konnte. Er würde die Scheibe brechen, um sie hinaus zu holen. Erneut zeigte Cedric ein Daumen hoch, woraufhin der Kollege begann, mit einem Diamantschneider die Scheibe anzuschneiden. Er zeigte ihm „Es wird kurz laut", und als würde eine große Gefahr von einem Fensterbruch ausgehen, zog er Allan noch dichter an sich und legte schützend die Arme über dessen Kopf.
Der Kollege stieß sich mit den Füßen von der Wand ab, und nach einem kräftigen Schwung zurück brach er mit den Stiefeln voran die Scheibe aus dem Rahmen. Ein ohrenbetäubendes Klirren hallte durch den großen Raum, und Cedric beugte sich mit dem Oberkörper über seinen Freund, denn viele Glassplitter schossen durch die Luft.
Der Lärm wurde lauter und der Retter aus der Luft bedeutete Cedric, näher zu kommen und sprach etwas in sein Funkgerät.
Cedric atmete tief durch. Behutsam, mit geschulten Griffen, packte er seinen Freund und hievte ihn hoch, sicherte seinen Kopf und machte sich dann auf den Weg zum Fenster.
Die unerklärliche Angst, die Ruine könnte genau in diesem Moment unter seinen Füßen einstürzen und alles wäre vorbei, fraß sich durch seinen gesamten Körper, dass er Gänsehaut bekam. Doch er schüttelte die Furcht ab und konzentrierte sich auf die Rettung Allans. Es war nicht mehr weit, dann konnte er aufatmen.
Der Kollege wartete auf ihn. Neben ihm schaukelte eine spezielle Liege an Seilen. „Hi!", rief er über den Lärm hinweg, „ich heiße übrigens Brewster. Schnallen Sie ihm bitte an der Liege fest, dann hieven wir ihn aus dem Fenster, und anschließend hole ich Sie raus."
„Verstanden", antworte Cedric und versuchte, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen.
Brewster zeigte ihm aufmunternd ein Daumen hoch, bevor er die Liege durch die Fensteröffnung hereinließ.
Die nächsten Minuten rauschten an Cedric vorbei. Er hatte noch nie gemacht — warum auch? — und er fühlte sich höchst überfordert, aber mit Brewsters Hilfe schaffte er es, Allan gesichert aus dem Gebäude zu befördern. Wie gelähmt starrte er hinaus, als Brewster ein Zeichen nach oben gab, damit sie in den Hubschrauber gezogen wurden. Es fühlte sich an wie Stunden, bis der Kollege wieder bei ihm war, ihm einen Helm überreichte und Gurte anlegte. Dann zog er ihn aus dem Fenster, und im nächsten Moment fand er sich schon im Inneren des Helis wieder.
„Sie haben es geschafft, Sheriff", riss ihn die Stimme der Pilotin aus seiner Starre. Er zuckte zusammen und nahm den Helm ab. Zu seiner Rechten war die Liege mit Allan gesichert, zu seiner linken saß Brewster bereits an seinem Platz und knallte die Tür zu.
Cedric blinzelte mehrmals. Nun, dass sie sicher und halbwegs heile im Helikopter saßen, fühlte er eine unglaubliche Last von seinen Schultern fallen.
Aber als er Allan sah, und nach seiner schlaffen Hand griff, einerseits um ihn bei sich zu spüren, andererseits um seinen Puls zu checken, fühlte er besonders eins:
Wut.
Wut, wie er sie noch nie erfahren hatte.
Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter.
Brewster hatte mittlerweile seinen Helm abgenommen und blickte ihn nun aus warmen braunen Augen an. „Wissen Sie, wer das war?"
Cedric nickte lahm. Er wandte den Blick ab, bevor er aussprechen konnte, dass er Spencer dafür büßen lassen würde.

Nur du zählst...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt