Sicherheit

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Nervös ging Rick um das Haus der Dearings herum. Von drinnen hörte man die Erwachsenen laut streiten, die Frau kreischte beinahe und ihr Mann brüllte sich die Seele aus dem Leib. Rick schlich geduckt durch den Garten, an dem Küchenfenster vorbei, über die Veranda, und hüpfte über eine schlafende, dicke Katze hinweg. Dann blieb er stehen, hob einen Kieselstein auf und blickte hinauf zu dem Fenster im ersten Stock.
Die Blumenvase, welche er Al geschenkt hatte, stand noch an seinem Platz; das Zeichen dafür, dass er daheim war und er in Ordnung war, zumindest den Umständen entsprechend. Rick schaute sich rasch um, dann holte er aus und warf den Kieselstein gegen das Fenster.
'Dong'
Es verstrichen vielleicht zwei Sekunden, doch jene kamen Rick wie eine Ewigkeit vor, bis Al's Silhouette endlich am Fenster erschien. Er beobachtete, wie die Vase beiseite geschoben wurde, und gleich darauf öffnete sich das Fenster. Al streckte den Kopf hinaus, in den Händen ein dünnes Seil. Er hängte es mit einer Schlaufe an einen dicken Haken unter den Fenster; Rick hatte diesen vor einigen Wochen heimlich nachts dort befestigt, genau für diesen Zweck.

„Al, gib Acht", zischte Rick über den Lärm hinweg.
„Ich weiß", stammelte Al nervös. Er blickte ihn kurz verzweifelt an, doch dann schwang er rückwärts die Beine aus dem Fenster und klammerte sich an das Seil. Mit einer Hand hielt er sich mühsam fest, die andere zog das Fenster zu. Dann begann er langsam, sich abzuseilen, sein Gesicht war puterrot angelaufen. Als er einen halben Meter über dem Boden hing, griff Rick nach ihm und half ihm hinunter. Kraftlos sank Al in seine Arme.
„Alles ist gut, Al", murmelte er sanft und strich ihm übers dunkle Haar. „Du hast es geschafft."
„Danke", nuschelte Al leise.
Rick lächelte aufmunternd. Dann schob er Al ein Stück von sich, um ihn ansehen zu können. „Lass uns verschwinden."
Al nickte langsam. Rick drehte sich herum, packte das Seil und schwang es einige Male herum, bis es sich vom Haken löste und ihnen entgegen purzelte. Rick wickelte es sorgfältig auf. Dann griff er nach Al's Hand und drückte sie sanft. „Nun komm, bloß weg von hier."
Al nickte. Zusammen liefen sie durch den Garten, geduckt, aus Angst, jemand könne sie sehen, und sprangen über den Zaun zu den Nachbarn. Rick legte das Seil dort hinter den Schuppen, denn er wusste, dass das ältere Ehepaar aus dem Haus niemals in den Schuppen ging, zumal sie das Seil auch dann nicht bemerken würden. Dann kletterten sie abermals über den Zaun und liefen hinter dem Nachbarhaus durch ein kleines Waldstück. Nach einer Weile stießen sie auf die Felder der Bauern. Dort wurden sie endlich langsamer.

Al atmete schwer und ließ sich ein wenig von Rick ziehen. Besorgt schaute Rick ihn an. „Schaffst du es noch?", fragte er leise.
Al nickte. „Mir geht's gut."
„Nein." Rick blieb dicht vor dem Jüngeren stehen und legte die Hand auf seine Wange. Al zuckte zusammen, doch dann schmiegte er sich seufzend an ihn. Rick schlang die Arme um ihn und legte den Kopf auf dem seinen ab. Er spürte Al's rasenden Herzschlag an seiner Brust, vermischt mit seinem eigenen. Jener beschleunigte sich, als er sich vorbeugte und Al einen Kuss auf die Wange drückte. Sofort lief Al rot an und verbarg das Gesicht in Ricks Halsbeuge.
Rick lachte leise und streichelte über Al's Rücken. „Wollen wir weiter aufs Feld?"
Al seufzte kaum hörbar, doch er nickte schüchtern. Die beiden lösten sich voneinander, und Rick zog Al an der Hand übers Feld. Irgendwo in der Nähe grasten Pferde, die Grashalme kitzelten über ihre Knöchel, und ihnen brannte die Sonne in den Nacken. Rick registrierte aus dem Augenwinkel, dass Al leicht lächelte, und er musste grinsen. Al bemerkte es, schielte zu ihm herüber und lief puterrot an. Schnell schaute er weg. Rick nutzte die Chance, um Al von hinten die Arme um den Oberkörper zu schlingen und ihn schwungvoll an sich zu ziehen. Al quietschte erschrocken auf und schrak zusammen. „Herrgott, Rick!"
Rick lachte auf. „Hab ich dich erschreckt?"
„Nein", brummte Al peinlich berührt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und verzog das Gesicht. Rick drückte ihm grinsend einen Kuss auf die Wange, was zur Folge hatte, dass Al abermals zusammenzuckte und sich seine Wangen dunkelrot färbten.
„Rot steht dir echt gut", meinte Rick neckisch.
„Ach, sei doch still", maulte Al und boxte ihn leicht. Rick sprang zurück, um ihm auszuweichen, und lachte auf. Auch Al konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ach, Al...", murmelte Rick schließlich sanft und musterte ihn liebevoll.
„Hmm?", machte Al leise. Er fuhr sich durch die dunklen Haare, blickte sich verlegen um. Ein Sonnenstrahl traf auf sein Gesicht, und Rick zerschmolz förmlich bei diesem Anblick.
Al bemerkte seinen Blick und wandte sich schnell ab. Er ließ sich ins Gras sinken und zupfte aufgeregt an einer Haarsträhne in seiner Stirn herum.
„Al..." Langsam trat Rick näher. Er ließ sich hinter Al im Gras nieder. Al spannte die Muskeln an, atmete tief. Rick wusste, dass Al ihm vertraute, obgleich er Angst hatte wegen alledem, was passiert war. Und er wollte nichts mehr, als ihm all diese Angst zu nehmen.
Vorsichtig legte er Al eine Hand auf den Arm. Der Jüngere zuckte zusammen, doch er blieb ruhig. Rick zog ihn sanft zu sich heran, schlang die Arme um seine Taille. Al ließ es zu, dass Rick sich an ihn schmiegte und den Kopf auf seine Schulter bettete.
„Dein Herz rast ja", bemerkte Al leise.
Rick lachte auf. „Na, und deines erst."
„Idiot", schnaubte Al, doch Rick konnte das Grinsen hinter seinen Worten hören. Er kniff Al leicht in die Seite. „Und warum tut es das, Al?"
Al zuckte die Schultern, was dazu führte, dass Ricks Kopf mitwippte. Al lachte triumphierend.
Schmunzelnd wandte Rick das Gesicht zu ihm und beobachtete, wie Al's Wangen unter seinem Blick immer röter werden.
„Al..."
„Rick?"
Ricks Herz schlug schneller. „Ich mag dich. Sehr."
„I-Ich mag dich auch, Rick...", nuschelte Al aufgeregt.
Rick lächelte mit glühenden Wangen in sich hinein. Er drückte Al einen weiteren Kuss auf die Wange. Dann schloss er selig die Augen, genoss Al's Wärme, obgleich er sich dabei verrenkte, bloß, um ihm nahe zu sein. Doch wenn er Al bei sich hatte, dann war die Welt in Ordnung, und vielleicht auch mehr als das.

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