Ninth

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Mit gespielter aufrechter Haltung schlenderte Cedric durch die Straßen Josephina Hill's. Die linke Hand hatte er in seiner Hosentasche vergraben, und er hatte den Reißverschluss seiner Uniformjacke geöffnet. Er schwitzte, obgleich das sanfte Frühlingswetter kühl mit seinen blonden Haaren spielte und seine leicht geröteten Wangen mit Eiseshauchen umspielte.
Er genoss die kurze Zeit, die er noch zum Nachdenken hatte, bevor er sein Haus erreichen würde. Schließlich wusste er, was –oder eher gesagt wer– dort auf ihn warten würde.
Grams hatte ihm gesagt, er müsse bloß dafür sorgen, dass Allan sich wieder an ihn erinnerte oder gar verliebte. Doch er wusste noch nicht, wie zum Teufel er dies anstellen sollte.
Er erinnerte sich dunkel an Allans Blicke. Er merkte, wie Allan ihn beinahe anstarrte, wie er nervös wurde, und er selbst drehte bei diesem Anblick förmlich durch. Ihm war das Herz in die Hose gerutscht, als er Allan heute Morgen geweckt hatte und dieser dann einfach oberkörperfrei aufgestanden war.
Was ihn daran allerdings wirklich interessiert hatte, waren seine Narben gewesen. Nicht bloß jene von seiner Schusswunde, sondern auch die kleinen, unscheinbaren, die von der Grausamkeit seiner Vergangenheit zeugten. Er erinnerte sich ungern daran, an all den Schmerz, das Leid, die Wunden, die Allan zugefügt wurden. Er machte sich Sorgen um ihn. Was, wenn er einen Teil dieses Schmerzes noch nicht verarbeitet hatte? Narben mögen auf der Haut verblassen, doch Narben auf der Seele würden für Außenstehende so lange verborgen bleiben, wie nicht über sie gesprochen wurde.
Ein tiefer Seufzer entwich seinen Lippen. Er musste dringend dafür sorgen, dass er Allan zurückgewinnen konnte. Damals hatte er schon nicht die Chance gehabt, ihm zu zeigen, was wirklich in ihm vorging, wie viel er ihm wirklich bedeutete, und nun musste er es endlich tun.
Für ihn.
Für Allan.
Das war alles, was zählte.

~

Allan hörte, wie die Haustür aufgeschlossen wurde und zuckte entgeistert zusammen. Schnell beugte er sich wieder über  seine Arbeit und hoffte inständig, dass er nicht rot wurde.
„Hallo Allan", hörte er Cedrics Stimme freundlich sagen. Er blickte gespielt ruhig auf und lächelte ihn an, während Cedric gerade seine Uniformjacke an einem Haken neben der Tür aufhängte. „Hallo Cedric."
Der Blonde erwiderte sein Lächeln, und sein Herz machte einen kleinen Sprung.
„Und, wie kommst du zurecht?", wollte Cedric wissen.
Er grinste schief. „Mir fehlen schon jetzt die wilden Schießereien und Drogenrazzias", witzelte er.
Cedric lachte auf. Allan wünschte sich, dass er seiner Stimme ewig lauschen könnte.
„Tut mir leid, aber damit kann ich nicht dienen", erwiderte Cedric grinsend. „Dafür habe ich Schulprügeleien, Post und Patrouillen im Angebot." Er lehnte sich an die Kante seines Tisches gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust. Unwillkürlich biss Allan sich auf die Lippe, bevor er sich daran erinnerte, dass Cedric ihn ja sehen konnte. Ihre Blicke begegneten sich. Der Blonde lächelte ihn freundlich an. Allans Wangen glühten, und er hoffte inständig, dass er nicht so rot war, wie er sich fühlte.
Rot. Rot wie das Herz, rot für Liebe und Leidenschaft. War es nicht Cedrics Lieblingsfarbe gewesen?
„Allan?" Cedrics Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, und er schreckte auf. Er starrte hoch zu seinen hellblauen Augen, die über einem verschmitzten Lächeln auf ihm lagen. „Ist alles in Ordnung?"
„Ja, natürlich", antwortete Allan eine Spur zu hastig und fuhr sich peinlich berührt mit der Hand durch die Haare.
Gedankenohrfeige.
„Du scheinst aber gerne Löcher in die Luft zu starren", meinte Cedric leise. Das Lächeln klebte noch immer unentwegt auf seinen, wohlgemerkt, sehr schönen Lippen.
Reiß dich zusammen.
Allan lachte leise auf und fuhr sich abermals mit der Hand durch die Haare. Löcher in die Luft starren. Wenn du wüsstest. „Ich habe bloß ein wenig nachgedacht", winkte er ab.
„Ach ja? Und worüber, wenn ich fragen darf?" Cedric grinste vielsagend. Verdammt. Hatte er ihn zu lange angestarrt? Erinnerte er sich vielleicht doch an ihre Vergangenheit? Nervös strich er sich durch die dunklen Haare. Er wandte den Blick ab und widmete sich wieder den Unterlagen. „Nichts besonderes", murmelte er leise.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Cedric zerknirscht das Gesicht verzog und sich auf die Lippe biss. „Gut..." Cedric brachte ein wackliges Lächeln zustande. „Entschuldige... oh, es ist schon zwölf Uhr. Zeit für einen Patrouillenlauf. Wir sehen uns zum Mittagessen, Allan."
Allan nickte leicht und beobachtete, wie Cedric zur Tür hastete, sich seine Jacke schnappte und hinauslief.
Er runzelte die Stirn. War Cedric da gerade wirklich geflüchtet? Schließlich war es noch nicht Zeit für die Patrouille. Cedric hatte ihm gestern einen generellen Zeitplan gezeigt, und dort waren die täglichen Patrouillen für 14 und 19 Uhr vermerkt.
Mit einem Seufzer ließ er sich zurück in die weiche Lehne seines Schreibtischstuhls sinken und fuhr sich müde mit der Hand durch die Haare.
Dieser Mann machte ihn wirklich verrückt.

Nur du zählst...Where stories live. Discover now