Seventh

904 70 4
                                    

Als Allan am nächsten Morgen erwachte, hörte er draußen das laute Kreischen eines Hahnes. Müde drehte er sich auf die andere Seite, wobei ihm ein scharfes Stechen durch den Unterbauch fuhr, und presste eine Hand auf die dicke Narbe. Mit der anderen fasste er nach seiner Armbanduhr, die auf dem Nachtschränkchen lag. Es war gerade mal 05:30 Uhr, viel zu früh. Doch damit musste er sich nun zurechtfinden. Wenn er es gestern schon aus den Federn geschafft hatte, dann heute doch wohl auch.
Ein Klopfen ließ ihn zusammenschrecken, und ehe er es sich versah, wurde die Tür seines neuen Zimmers ein Stück weit geöffnet.
„Guten Morgen, Allan", hörte er Cedrics Stimme sagen. Er konnte seinen Schemen leicht in der Dunkelheit erkennen.
Zwei hellblaue Punkte leuchteten ihm entgegen, und Allan schauderte leicht. Er konnte ihn sehen.
„Morgen", murmelte er schlaftrunken und setzte sich auf. Die Decke rutschte von ihm herunter und gab den Blick frei auf seinen nackten Oberkörper. Er hatte die Hand noch immer fest auf den Unterbauch gepresst, dort, wo der Schmerz ihn förmlich zerriss.
Die Tür wurde noch ein weiteres kleines Stück aufgeschoben, und Cedric musterte ihn. „Ist alles in Ordnung?", fragte er.
Allan bemerkte, dass auch Cedric noch nicht fertig angezogen war. Er steckte bereits in den beigefarbenen Uniformhosen, doch sein Hemd war noch offen und veranlasste Allan dazu, sofort den Blick von seinem kräftigen Oberkörper abzuwenden. Außerdem tropften seine dunkelblonden Haare, er hatte wohl gerade geduscht, und Allan konnte schwach sein Duschgel riechen.
„Al?"
„Was?" Er schaute ihn verdattert an.
Cedric lehnte sich mit dem Arm am Türrahmen an. „Geht's dir gut?", wiederholte er besorgt seine Frage.
Allan nickte schnell. Er fuhr sich nervös durch die dunklen Haare und stand auf. Ganz schlechte Idee. Nun konnte er Cedrics Blick noch intensiver auf sich spüren.
Und sein Herz machte auch nicht mehr mit.
Leise fluchend ließ er sich zurück auf die Bettkante fallen und blinzelte die schwarzen Flecken vor seinen Augen weg.
„Allan? Mach langsam."
Cedric musste nun irgendwo neben ihm stehen. Allan drehte verwirrt den Kopf in die Richtung, in der er ihn vermutete.
„Wieder dein Herz?"
„Ja", murmelte er. Langsam verschwanden die Flecken und er griff auf seinem Nachttisch nach seinen Tabletten.
„Wenn's dir nichts ausmacht, lasse ich dich alleine", meinte Cedric. Nun konnte er ihn wieder erkennen, jedoch etwas verschwommen. Er stand direkt vor ihm und knöpfte mit besorgtem Blick sein Hemd zu. Allan versuchte krampfhaft, ihn nicht anzustarren.
„Außer, du brauchst Hilfe", fügte Cedric hinzu.
„Nein, ich bin okay", winkte Allan peinlich berührt ab. Seine Wangen glühten. Verdammt.
„Bist du dir sicher?", hakte Cedric zweifelnd nach.
Allan versuchte es mit einem Lächeln. „Ja, keine Sorge", erwiderte er. Er stand auf, dieses Mal deutlich langsamer, und die beiden standen sich gegenüber.
Cedric musterte ihn noch immer, die hellblauen Augen unter hochgezogenen Brauen. Obgleich Allan hoch gewachsen war, überragte ihn Cedric noch immer um einige Zentimeter, wie auch früher schon.
Wie würde es wohl sein, sich an ihn zu lehnen?
Gedankenohrfeige. Allan verfluchte sich selbst.
„Nun, ich mache uns Frühstück", meinte Cedric schließlich. Er wandte sich um und schlug Allan im Gehen leicht gegen die Schulter. „Gewöhn dich an die frühen Zeiten. Ab jetzt wirst du wohl immer um 05:30 Uhr aufstehen müssen." Er grinste leicht.
Allan fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Kriege ich hin", erwiderte er schmunzelnd.
Cedric lächelte noch kurz, dann verließ er sein Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Das Lächeln kippte Allan aus dem Gesicht, und beinahe hätte er sich wieder auf seine Bettkante fallen gelassen, bevor ihm einfiel, dass dies nicht gerade die beste Idee für sein Herz war. Stattdessen entschied er sich für eine weitere Gedankenohrfeige und raufte sich die Haare.
Nach gestern hatte er sich immer wieder gefragt, wie Cedric es bloß schaffte, so locker mit ihm umzugehen, als gäbe es nichts leichteres auf dieser Welt. Denn im Umkehrschluss hatte Cedric ihn nicht einmal an seinem Namen erkannt– oder, noch wahrscheinlicher, es war ihm nicht mehr wichtig, was damals zwischen ihnen passiert war.
Frustriert merkte er, wie sich schon wieder Tränen in seinen Augen sammeln wollten und blinzelte wie wütend weg.
Was, zum Teufel, stellte dieser Mann bloß mit seinem Kopf an?

Cedric hastete die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, legte seinen Waffengürtel an und schlüpfte dabei in seine Uniformjacke. Eine nasse Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, und er strich sie entnervt weg.
Vor seinem inneren Auge tauchte Allans Bild auf, wie er sich auf hundert verschiedene Arten durch die Haare strich, wie er lächelte, oder lachte, wenn er einen dummen Witz riss. Cedric biss sich auf die Lippe und schüttelte verzweifelt den Kopf.
Was, zum Teufel, war bloß los mit ihm?
Schnellen Schrittes betrat er die Küche und begann hektisch, ein Frühstück vorzubereiten. Dieses Mal half das Kochen leider nicht gegen seine Nervosität, und er musste sich zusammenreißen, um nicht komplett durchzudrehen oder zumindest nicht in Tränen auszubrechen.
Er wusste nicht einmal, warum er sich so verzweifelt fühlte. Er wusste doch ganz genau, dass die Sache mit Allan vorüber war, ihre Freundschaft und alles, was vorher gewesen war. Vergangenheit. Schon seit siebzehn Jahren.
Und dennoch konnte er sich einfach nicht davon abhalten, Allan's Nähe zu suchen.
„Ach verdammt." Müde wischte er sich übers Gesicht. Sein Blick schweifte durch die leere, ruhige Küche, sein Lieblingsort in diesem Haus.
Doch noch besser war es, wenn Allan auch hier war.
Wütend raufte er sich die Haare. Er musste sich diesen Gedanken schleunigst aus dem Kopf schlagen. Allan erinnerte sich nicht mehr an ihre Vergangenheit, also brachte es nichts, sich jene zurückzusehnen.
Er hielt inne. Was, wenn er einen Neustart versuchen konnte?
Er zögerte. Einen Versuch war es wert.
Doch wenn es nicht funktionierte...
Wahrscheinlich würde er sich einen neuen Job suchen müssen, denn sonst würde er Allan's Anblick nicht ertragen können.
Ein schwerer Seufzer entfuhr ihm. Er stellte einen großen Teller mit Sandwiches auf den Tisch, schnappte sich eines und verließ die Küche. Er schritt durchs Büro und steuerte schnurstracks auf die Haustür zu.
Er brauchte dringend frische Luft.

Es war still im Haus, als Allan missmutig die Treppenstufen hinunterstieg. Er nestelte nervös an seinen Haaren herum, die noch nicht ganz trocken waren nach seiner Dusche, und marschierte in die Küche. Ein großer Teller Sandwiches stand auf dem Tisch, und er nahm sich eines davon. Dann blickte er auf seine Armbanduhr. Er hatte noch einige Minuten, bevor er sich an die Arbeit würde machen müssen.
Gedankenverloren ließ er sich auf einen Stuhl sinken und kaute lustlos auf seinem Sandwich herum. Seine Gedanken kreisten noch immer wie wild um Cedric. Die Besorgnis in seinen hellblauen Augen hatte ihn auf seltsame Art und Weise getroffen.
Cedric war schon immer derjenige gewesen, der sich am meisten um ihn gekümmert und gesorgt hatte. Und er? Ihm war niemals ein Mensch wichtiger gewesen als Cedric, und doch hatten sie sich vor so langer Zeit verloren.
Und nun hatten sie sich wiedergefunden– doch für welchen Preis?
Er lehnte sich zurück und zupfte geistesabwesend an einer Haarsträhne. Er vermisste es. Er vermisste Cedric. So sehr, dass es wehtat.
Müde schloss er die Augen. Er hätte alles dafür gegeben, dass Cedric sich wieder an ihn erinnerte.

Nur du zählst...Where stories live. Discover now