Kapitel 9

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Soll ich überhaupt ran gehen? So spät ist normalerweise niemand mehr erreichbar. Aber braucht er Hilfe? 100 weitere Fragen schießen mir durch den Kopf, aber ich habe direkt den Anruf angenommen. Ich konnte nicht einmal Hallo sagen, da er direkt mit angestrengter aber doch etwas erschöpfter Stimme sich entschuldigt so spät angerufen zu haben. Kurz bevor er das reden angefangen hatte, dachte ich ein kleines Danke zu hören, wie in dem Sinne das er sich bedanken würde, dass ich rangegangen bin.

Im Hintergrund waren zwei Stimmen zu hören welche diskutierten. Es ist seine Mutter und sein Bruder schätze ich. Eine von beiden war deutlich aufgebrachter und männlich, als ich etwas zerbersten gehört habe, habe ich nicht lange überlegt: "Komm zu dem Parkplatz an welchem ich dich letztens aussteigen lassen habe, ich versuche so schnell wie möglich da zu sein." Ein 'Danke' ertönte im Hintergrund noch, aber ich legte schnell auf um beide Hände zu haben um meine Schuhe zu schnüren und meine Jacke anzuziehen. Die Schlüssel greifend frage ich mich noch was passiert ist.

Im Auto ist mir erst die Uhrzeit so richtig aufgefallen. Der sonst so befahrene Weg in Richtung Isaac war fast menschenleer, nun gut es ist halb zwei morgens. Ein paar Betrunkene mit Partyhüten sah ich noch an einem Club aber dann bog ich auch schon in die Straße zu Isaac ein.

Eine Gestalt, durchschnittlich groß aber doch etwas hager bewegte sich auf mein Auto zu. Als ich Isaacs Gesicht sah, entspannten sich meine gelben Handknöchel um mein Lenkrad. "Danke fürs kommen, ich habe es bezweifelt das du überhaupt an dein Handy gehen würdest." "Natürlich, für Notfälle bin ich immer erreichbar." Und dafür hab ich ihm ja auch meine Nummer gegeben, aber ich erwartete nicht, dass er sie jemals nutzt.

Isaac wollte mich unbedingt überzeugen, dass er bei einem Freund bleiben würde. Ich glaube es ihm ehrlich gesagt nicht. "Ich besitze ein sehr bequemes Sofa, welches der perfekte Ort für jemand ist, der mal für eine Nacht bei mir Crashen muss." war mein letzter Satz im Argument, denn ich bog bereits in meine Wohnstraße ein.

In meiner Wohnung angekommen, bereite ich das Sofa mit einer Decke vor und Kissen. "Brauchst du noch irgendetwas? Die Toilette ist direkt den Gang dort hinten, und die Küche mit Getränken und sonstigen Sachen ist dort." Ich zeigte passend zu den genannten Orten mit meiner Hand in die entsprechende Richtung. Er schüttelte seinen Kopf während er vor mir auf meinem Sofa saß. Ich erklärte ihm noch das ich jetzt auch schlafen gehen würde und wenn er mich braucht, er mich stören kann. Mit einem 'Gute Nacht' ging ich in mein Zimmer und legte mich erschöpft in mein Bett.

Blinzelnd suche ich auf meinem Handy die Uhrzeit. 04:17 Uhr. Na toll, ich habe gehofft das es wenigstens kurz vor meiner regulären Aufstehzeit ist. Ich kann ja immerhin mal einen Schluck Wasser trinken, direkt auf diesen Gedanken schwinge ich meine Beine aus meinem warmen Bett und bereue den Gedanken sofort. Was solls, meine Füße bewegen sich in Richtung Tür, welche sich direkt in mein Wohn- und Esszimmer öffnet.

Ich fühl mich als hätte ich den größten Filmriss aller Zeiten da ich noch im Halbschlaf bin. Isaac. Stress zuhause. In der Nacht abgeholt.

Bevor er aufwacht und merkt, dass ich ihn anstarre wie ein Creep mach ich mich lieber auf den Weg, um mir mein Glas Wasser zu gönnen. An meiner Küchenzeile angelehnt in der Dunkelheit starre ich auf meine Couch, welche gerade als einen Schlafplatz für einen meiner Patienten fungiert. Einer meiner Suizidgefährdeten Patienten.

Naja, eigentlich habe ich zurzeit nur ein Patient. Trotzdem. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen. Aber es gibt die Möglichkeit, dass er sich nun mir gegenüber öffnet, als Gegenleistung, versteht sich ja. Das fast leere Glas leerte ich noch vollkommen aus und stellte es an einer Ablage ab. Ich geh wieder schlafen. Nicht das Isaac noch aufwacht wegen mir, er hat bestimmt keine angenehmen Momente hinter sich.

In meinem noch warmen Bett fließe ich förmlich unter die Decke und machte mich wieder auf in einen Traumlosen schlaf.

Meine Augen öffneten sich erst wieder als die Sonne am aufgehen war. Meine Uhr sagt kurz vor 09:00, passt perfekt für einen Start in den Tag. In meinem Zimmer suche ich mir noch schnell meine Kleidung aus, welche aus einem weißen Shirt mit Aufdruck und einer einfachen Jeans besteht. Meine Haare habe ich schnell in einem Dutt hochgemacht. Jetzt fehlt nur noch ein Kaffee.

Ich mache gerade meine Tür auf, als mir schon der Kaffeegeruch in die Nase steigt. Huh?

"Morgen" was ich automatisch erwidere. Isaac steht in meiner Küche, mit zwei dampfenden Tassen und stellt diese auf meine Kücheninsel ab, auf welcher noch zwei Teller mit French-Toast stehen. Überrascht sah ich den Mann vor mir an. Seit wann ist er so groß?

"Da du mich hier übernachten lassen hast, und mir noch so einiges angeboten hast, habe ich beschlossen einen Kaffee zu machen. Ich wusste nicht wann du aufstehst, aber das ist ja jetzt passend." Ich schiebe gerade meinen Körper auf einen der Barhocker als er sich neben mich setzt und wir beide meist schweigend essen.

Kann ich ihn auf gestern ansprechen, oder ist es dafür zu Früh? Vielleicht möchte er sich mir noch nicht einmal öffnen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen fing er an zu sprechen: "Bestimmt möchtest du nicht unhöflich sein und fragen was gestern los war, also erzähle ich es dir lieber direkt von mir aus." Ich nickte zustimmend, als er einen Schluck nahm von seinem Kaffee.

"Du weißt sicherlich das ich einen Bruder habe, mit welchem ich zusammenwohne" es war keine wirkliche Frage aber ich nickte trotzdem zustimmen. "Ich war gestern wieder zuhause und wollte mein Leben wieder weiterleben, aber nachdem ich knappe zwei Stunden zuhause war, kam meine Mutter durch die Tür. Ich sah meinen Bruder mit fraglichem Blick an aber er tat als wäre es ganz normal."

"So wie es aussieht ist es in der letzten Woche, ich welcher ich wegen meinem Versuch im Krankenhaus verbracht habe, zum Alltag geworden." Ich verstehe nicht ganz was er damit andeuten will, hat er Stress mit seiner Mama oder mit seinem Bruder? "Ich werde dir wann anders erzählen warum ich mich dagegen komplett wehre und sie nie wiedersehen möchte, keine Sorge. Schlussendlich fing ich an laut zu werden und schrie meinen kleinen Bruder an was sie denn hier will. Meine Befürchtung war richtig, sie wohnt angeblich nun bei uns, aber nur für kurze Zeit. Mein Bruder mag meine Mutter immer noch, aber ich empfinde mittlerweile ganz anders.

Meine Stirn ist höchstwahrscheinlich mit Runzeln übersät, aber ich halte dennoch meine Klappe. Wenn er sich genauer erklären möchte würde er es in diesem Moment tun. Ich lasse ihn also dennoch fortfahren obwohl ich mehr Fragen habe als Antworten.

"Es ist schlussendlich ausgeartet zwischen uns dreien. Meine Mutter möchte das ich ihr verzeihe, mein Bruder auch, ich aber nicht. Ich hielt es nicht mehr aus, ich wollte nur noch Weg. Du warst tatsächlich die erste Wahl, deswegen war ich erleichtert, dass du direkt hingegangen bist. Und dass ich schlussendlich sogar bei dir Übernachten konnte." Er machte eine längere Pause weswegen ich die Initiative ergriff um etwas zu sagen: "Wenn du einen Platz zum Schlafen brauchst, kannst du hierbleiben"

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