Kapitel 38

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Die Woche verging quälend langsam. Ich weiß nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen soll. Keine Lust mich nach draußen in die Wintertemperaturen zu begeben. Keine Lust drinnen etwas zu machen. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich sagen ich bin in einem Loch. Aber ich weiß es. Ich bin in einer depressiven Phase.

Ich habe es bislang nicht mehr an Isaacs Grab geschafft, hab es aber definitiv noch vor. Am Besten noch heute. Bei Dylan hab ich mich auch noch angekündigt, damit sich das aus dem Haus gehen auch lohnt. Er braucht auch Unterstützung. Manchmal frag ich mich, ob ich übertreib mit meinen Gefühlen. Schließlich kenne ich ihn nur seit ein paar Wochen? Und Dylan geht es trotzdem ein bisschen besser als mir.

Ich gebe mir nicht viel Mühe mich zu kleiden. Eine einfache schwarze Jeans die länger irgendwo rumlag ohne angezogen zu werden. Dazu einen unbedeutenden dunkelroten Pulli. Ich beschließe meine etwas wärmeren Schuhe anzuziehen und noch meinen schwarzen Mantel, welcher mir bis kurz unter meine Kniekehlen reicht. Bevor ich die einsame Wohnung verlasse, werfe ich einen Blick in den Spiegel im Badezimmer. Mich erwartet immer dasselbe. Die lustlosen braunen Augen umgeben von dunklen Schatten und meine leblosen braunen Haare sind auch nicht der Hit. Die Person im Spiegel ist bemitleidenswert.

Ich greife an das Waschbecken. Es bilden sich erneut Tränen. In den letzten Tagen war es oft so, dass ich Zusammenbrüche hatte, egal wann. Ich muss mich zusammenreißen.

Ich steige in mein Auto um die Strecke zu Dylan hinter mich zu bringen. Ich erlebe stets kleine Rückblicke an Isaac. Ich frage mich, wann das aufhört. Will ich das überhaupt? Nein, ich will nicht vergessen wie er sich verhalten hat. Was seine kleinen Gesten in mir ausgelöst haben. Oder gar seine Art. Ich vermisse seine Stimme, auch wenn wir ohne Worte klargekommen sind.

Dylan sieht auch nicht besser aus als ich aber er versucht seine Mundwinkel ein paar Millimeter zu heben als er mich in der Tür begrüßt und hereinbittet.

Wir sitzen uns schweigend gegenüber. Weder Dylan noch ich wollen großartig über irgendetwas reden. Aber auf einmal steht er auf und geht ein paar Schritte zu dem kleinen Couchtisch und bringt mir einen Brief. Ich starre verwirrt auf das Papier welches er mir in die Hand drückt. Ich drehe ihn um und erkenne in geschwungenen Lettern meinen Namen. Alexa.

Meine Brauen zusammenziehend blicke ich zu Dylan.

'Der ist von ihm.' Von Isaac?

'Ich habe auch einen erhalten. Ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde ihn zu lesen die nächste Zeit. Mir wurden sie von der Polizei gegeben, nachdem sie das Auto gesichert haben.'

Ich schlucke. In seinen letzten Minuten ist das Schriftstück entstanden. In diesen Momenten, in welchen er ganz allein war mit seiner Entscheidung. Welche schlussendlich vollbracht wurde. Dylan sagt nichts mehr.

Ich tue so, als ob ich noch wo hin müsste um gehen zu können. An sich habe ich auch noch was vor. Wir verabschieden uns.

Ich fahre in der Stadt zu einem kleinen Blumenladen um ein Mitbringsel für Isaac dabei zu haben. Die Gestecke sind in allerlei Variationen zu haben. Mit Kärtchen für Glückwünsche, Entschuldigungen oder für Verliebte. Aber das bringt mir alles nichts. Ich schlendere durch die kleinen Wege in dem Laden bis ich an der Theke ankomme.

'Guten Tag. Wie kann ich ihnen behilflich sein?' Die blonde hochgewachsene Frau lächelt mich an.

'Hallo. Ich würde gerne einen kleinen Strauß mit orangenen Rosen und etwas Grünes darf auch nicht fehlen.' Orange war seine Lieblingsfarbe.

Nach kurzem suchen hat sie alles gefunden und band mir den Strauß zusammen. Ich bezahle sie und gehe zum Auto. Ich lege den Strauß auf die Beifahrerseite. Nun wird der Friedhof von Woodbury angefahren.

Hier sind nicht viele Menschen. Ich falle also immerhin nicht auf. Den Weg zu dem Grab finde ich leicht, obwohl ich das erste Mal bei der Beisetzung hier war. Der graue Grabstein war nun neben den Daten seines Papas neu eingraviert.

Isaac Roth

*10.01.1997 -

12.11.2022

Ironie des Schicksals, dass die Daten von Monat und Tag vertausch sind. Aber er ist jetzt bei seinem Papa und lebt in Frieden bei ihm. Die Blumen lege ich neben den Stein und streiche die frische Gravur mit meiner Fingerkuppe nach, wie ich zuvor sein Haar gestreichelt habe. Es rinnt erneut eine Träne über meine kalte Wange. Ich kniee noch eine Weile vor dem Stein aber auf einmal fängt es an leicht zu Schneien. So früh schon im November?

Ich wische mir über mein Gesicht und richte mich auf. 'Bis bald'

Ich versuche unsere übliche Verabschiedung aktuell zu halten aber mein Herz zieht sich zusammen. Mit gesenktem Kopf laufe ich wieder auf den Schotterweg zu meinem Audi. Und da fällt mir wieder der Brief ein. Wann soll ich ihn lesen? Jetzt habe ich keinen Mut dafür aber bestimmt in näherer Zukunft. Der Brief verschwindet in meinem Handschuhfach und ich starte den Motor um nachhause zu gelangen.

Zuhause angekommen mache ich mir nicht einmal die Mühe um zu kochen oder anderweitig mich um Essen zu kümmern. Ich fiel, wie die anderen Tage, auf meine Couch und lageweile mich. Flynn schreibt mir täglich und versucht mich abzulenken und darüber freue ich mich sehr, dass er es versucht. Auch wenn ich nicht so einfach abzulenken bin, schafft es mein Bester Freund immer.

Ich bin dankbar für die Unterstützung die ich erhalten habe. Die Oktays helfen auch bei Dylan aus und mittlerweile kann man sagen, dass wir ihn in unsere Freundesgruppe aufgenommen haben. Obwohl die Umstände dafür nicht so angenehm sind.

Die dunkle Decke über mir zwingt meine Gedanken immer wieder zu Isaacs letzten Minuten. Ich wünschte mir, dass ich ihn irgendwie davon abhalten könnte. Ich träume davon, wie er in dem Auto ist und sich die Medikamente verabreicht und ich nicht rechtzeitig komme, um ihn zu retten. Jedes Mal fällt der gleiche Satz von Isaacs Seite: 'Du hättest mich retten können.'

Am liebsten würde ich nicht mehr schlafen um diesen Träumen aus dem Weg zu gehen. Aber je schneller ich schlafe, desto schneller kommt ein neuer Tag, welchen ich wieder standartgemäß hinter mich bringen kann. Ich laufe wie ein Roboter.

Und auch heute Nacht werde ich nicht verschont mit den Träumen. Die blasse Leiche Isaacs macht mir Vorwürfe und ich wache wieder einmal schweißgebadet auf. Der Zyklus wiederholt sich, wie als würde ich in einem ewigen Kreis umherirren.

Eine Wahrheit Where stories live. Discover now