Kapitel 17

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Der Wecker am nächsten Morgen weckte uns um zehn. Damit bleib genug Zeit sich anzuziehen, etwas Kleines zu essen und rechtzeitig an Ort und Stelle zu sein, um an der Parade teilzunehmen, welche gegen zwölf Uhr standfinden sollte.

So ging es dann auch los. Nacheinander machten wir uns im Bad fertig und zogen unsere Outfits an, wobei die Flaggen, sowie eine Flasche Wasser für jeden von uns in einer Tasche verstaut waren und erst an Ort und Stelle hervorgeholt werden sollten.

Dann ging es hinein in die Innenstadt, wo wir in einem Café etwas zum Frühstück aßen, wonach es dann direkt ein paar Blöcke weiter zur Straße ging, an der die Parade begann.

Es war mittlerweile kurz vor zwölf und die Leute, mit ihren Outfits und Flaggen aller Art hatten sich an den Seiten der Straßen versammelt und warteten darauf, dass der Umzug vorbeikommen würde.

„Wollen wir auch erstmal warten und es ein wenig angucken?", fragte ich Erik, während wir in die immer dichter werdende Masse liefen. „Klingt nach einer guten Idee", meinte er und steuerte nun eine Lücke nahe dem Straßenrand an, wo wir uns zu den anderen Wartenden gesellten.

Dort holte ich dann auch unsere Flaggen aus der Tasche und reichte Erik seine. „Hier, bitte schön", meinte ich lächelnd, um ihm zu zeigen, dass ich meine Unterstützung wirklich ernst meinte, denn ich hatte das Gefühl, dass er mir nicht wirklich glaubte.

Was aus meiner Perspektive natürlich Schwachsinn ist, aber ich hatte mich vor ihm noch nie wirklich in irgendeiner Weise zum Thema geäußert, es war halt zwischen uns auch irgendwie nicht zur Sprache gekommen, also kein Wunder, dass er da ein wenig unsicher ist.

Doch diese Zweifel seinerseits sollten verschwinden und deshalb half ich ihm auch seine Flagge richtig zu richten, was ihm ein strahlendes Lächeln bereitete und mein Herz zum Schmelzen brachte.

Dann wandte er seinen Blick wieder auf die Straße und seine Augen weiteten sich, als er den Anfang des Umzuges sah. Begeistert wandte er seinen Blick zu mir, nur um zu sehen, dass auch ich dem Umzug mit Freunden entgegenblickte.

Laute Musik spielte und eine Drag Queen, der Bürgermeister, sowie ein paar andere Leute liefen zusammen mit einem Banner am Anfang der Parade, die Queen dabei mit perfekter Haltung und uns entgegen winkend.

Dahinter war ein riesiger Partywagen, von dem laute Musik spielte und auf dem Leute sich zu ihrem Takt bewegten. Es war einfach überwältigend, wie groß die Vielfalt war, denn nun auf einem Schlag waren wir umgeben von Menschen in den verschiedensten Outfits, die ihre Flaggen schwenkten und einfach stolz darauf waren, wer sie sind.

Das war einfach ansteckend und so konnte ich nicht anders, als mich zu Erik zu wenden und ihn strahlend anzulächeln. Er wandte sich zu mir und sah einfach unglaublich glücklich aus und dann kam er auf mich zu und nahm mich in den Arm.

„Danke, dass du mitgekommen bist", meinte er, während meine Gefühle wie verrücktspielten. „Für dich immer", antwortete ich, wobei ich meinen Griff um ihn verstärkte und am liebsten nie woanders sein wollte.

Doch leider konnte der Moment nicht für immer halten, denn irgendwann löste sich Erik wieder von mir. Wir beobachteten weiter das Geschehen und sagen dabei einige Lieder mit, wobei wir erstmal weiterhin nur zuschauten.

Doch dann sah mich Erik plötzlich aufgeregt an. „Der Wagen da, können wir da mitlaufen?", fragte er und deutete auf einen Wagen, der gerade auf uns zukam. Von ihm ertönte Partymusik und dahinter hatte sich eine riesige Menge an Menschen aufgereiht, welche mitsangen und ausgelassen tanzten.

„Klar wieso nicht", antwortet ich lächelnd, woraufhin er mich ein wenig unsicher ansah. „Öhh, damit wir uns nicht verlieren, könnten wir vielleicht Händchen halten? Also nur wenn das für dich okay geht, wäre auch kein Problem, wenn nicht", stammelte er ein wenig, was einfach nur absolut süß in meinen Augen war.

„Gute Idee", meinte ich lächelnd und streckte ihm meine Hand entgegen, welche er nach kurzem Zögern in die seine nahm. Sofort zog ein Kribbeln wie ein Blitz durch meinen Körper und meine Hand fing an zu prickeln, aber ich probierte es zu ignorieren, als ich mich von meinem besten Freund in die Menge ziehen ließ.

Kurz war ich etwas orientierungslos, doch als wir endlich mit in die richtige Richtung liefen, war es ein unglaubliches Gefühl. Die Stimmung um uns herum war super und ansteckend, denn schon wenige Augenblicke später waren wir beide mit am Feiern, und sagen die Lieder aus vollem Halse mit.

Die Musik umgab uns und niemand sah einen komisch an, oder verurteilte einen, stattdessen verwandelten wir die Stadt in etwas Buntes und Lautes und verschafften uns Gehör.

Hätte mir jemand beim Abflug gesagt, dass ich heute hier sein würde, hätte ich vermutlich gelacht. Doch Dinge ändern sich und das war auch gut so.

Denn genau in diesem Moment, umgeben von all diesen Leuten, mit so vielen Geschichten aber trotzdem einer Gemeinsamkeit, der Kampf, um ihre Freiheit sie selbst sein zu können, war ich einfach nur unglaublich glücklich und ich wollte diesen Moment mit nichts eintauschen.

Klar hatte ich erst vor kurzem realisiert, dass ich zu dieser Community gehörte, doch das war hier egal. Alle hatten ihre eigene Geschichte, ihren eigenen Hintergrund und ihre eigene Motivation hierher zu kommen.

Es war egal wer man war, oder warum man genau hier war. Egal ob Teil der Community oder nicht, egal welches Geschlecht, egal welche Sexualität, wir alle waren gleich in diesem Kampf und konnten im Schutz der Menge zeigen, wer man wirklich war.

Man war anonym und trotzdem offen und es war unglaublich gut zu sehen, wie viele Menschen es doch gab mit einer ähnlichen Geschichte wie du selbst. Es half einem zu akzeptieren, wer man selber ist.

Doch hierbei geht es nicht nur um das Individuum, sondern um uns alle. Denn letztendlich waren wir alle eins, keiner im Einzelnen stach heraus, da alle zusammen eine einzigarte Vielfalt in die Menge brachte.

Gemeinsam und nicht alleine, so fühlte ich mich gerade. Mit Eriks Hand in meiner und diesem berauschenden Gefühl konnte mir gerade keiner mehr etwas vermiesen, oder mein breites Lächeln aus dem Gesicht stehlen.

Gerade war ich einfach hier, eine Person in der bunten Menge und konnte, ohne jeglichen Widerspruch ich selbst sein. Einfach einmal loslassen, frei von Sorgen und Gedanken, die mich sonst belasteten. Ich fühlte mich frei.

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Hey, 

willkommen zu dem Kapitel, auf das ich mich, seit dem ich angefangen habe diese Geschichte zu schreiben, gefreut habe zu verfassen. Ich hoffe es hat euch gefallen :)

Als jemand der selbst schon auf zwei CSD's gewesen ist, muss ich sagen, dass es wirklich ein schönes Gefühl ist. Klar, man muss sagen, dass nicht immer alles gut geht und es, wie bei jeder Demonstration, Probleme geben kann, aber es hat zumindest mir geholfen zu sehen, dass man nicht alleine ist.

Denn wenn man in einer Kleinstadt wohnt, so wie ich, dann ist die Anzahl an Menschen in deinem Leben, die queer sind und auch nur irgendwie zu dir relaten können relativ gering und man hat das Gefühl, dass es einfach niemanden wirklich gibt. Aber an so einem Ort sieht man einfach, dass es unglaublich viele Menschen gibt, denen es vermutlich ähnlich geht und das man nicht alleine ist. 

Ich hoffe ich konnte das Gefühl ein wenig herüber bringen durch dieses Kapitel. 

Bis nächste Woche und somit zum zweiten Teil dieses Kapitels,

eure Lesekatze <3

Wo die Straßen uns hinführenWhere stories live. Discover now