18. Kapitel

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Stille. Das war alles, was ich gerade haben wollte. Der heutige Tag hatte meine Nerven ausgeraubt. Ich brauchte Ruhe. Genau diese bekam ich leider nicht, als ich den Gemeinschaftsraum betrat. Lily schien beunruhigt, lief im Kreis und murmelte irgendwas nicht verständliches vor sich hin. Alice versuchte unterdessen, beruhigend auf sie einzureden. James jedoch war damit beschäftigt, Lily zu beobachten, während Sirius sich damit zufrieden gab, kleine Papierkügelchen aus einer Zeitung zu basteln und diese gegen James Kopf zu werfen. Nach jeder Kugel kicherte er wieder wie ein kleines Kind. "Sie wird schon wiederkommen" kommentierte Remus, der kurz aufblickte, um sich zu vergewissern, dass Lily immernoch im Kreis lief und sich dann wieder auf sein Buch widmete. Der andere aus dieser Gruppe war nicht da, wie hieß er noch? Ich grübelte über den Namen nach und achtete nicht auf die anderen, bis ich plötzlich nichts mehr sehen konnte, außer einer roten Mähne und fühlte mich, als würde mir die ganze Luft aus meinem Körper gedrückt werden. Lily. Sachte versuchte ich, sie von mir zu lösen, aber dieses Mädchen hatte verdammt viel Kraft. Ich konnte rein gar nichts tun, außer abwarten und hoffen, dass das letzte bisschen Luft in meinem Körper bleiben würde. "Lils, ich glaub sie braucht Luft." Offensichtlich hatte Black sein Kichern durch Worte ersetzt. Lily, die mich nun wieder losließ, lief knallrot an und nuschelte irgendwas von "Tut mir leid, hatte Sorgen". Als sie einen Schritt zurückging, konnte ich auch nochmal etwas anderes als Haare sehen und wünschte mir die Haare zurück. Blacks Grinsen, ich hätte es nur zu gerne rausgeprügelt. Es sagte ganz eindeutig:"Ich hab dich schon wieder gerettet". Es regte mich auf und für einen Moment verengte ich meine Augen zu Schlitzen, um ihn böse anzufunkeln, bevor ich von einem Schwall Worten von einer gewissen impulsiven Person überrollt wurde. Sie hatte die Umarmung gegen einen Schlag auf meinen Oberarm ersetzt, der erstaunlich fest war. Ich schaute Lily verwirrt an und dann ging das Gewitter los:"Wo warst du? Hast du den Verstand verloren? Wir haben uns Sorgen gemacht." Sie betonte das mit einer Handbewegung zu den anderen, die nur leicht den Kopf schüttelten. Ich musste grinsen. "Was gibt's da zu grinsen? Hast du Spaß daran, uns zu foltern? Verdammt, du kannst uns doch nicht alleine hier stehen lassen, ohne Verabschiedung, ohne Erklärung, wo du hingehst, was du machst! Du hättest sonst wo sein können! Was wäre gewesen, wenn du wieder angegriffen worden wärst? Ja, ganz richtig, natürlich weiß ich, dass du angegriffen wurdest, ich bin nicht blind. Deine Kratzer, die du versteckst, aber immernoch nicht ganz verheilt sind, deine Ohnmacht, du kannst mir nicht sagen, dass du gegen einen Baum gerannt bist und dann vor Erschöpfung in dem Flur umgekippt bist und dann ganz unschuldig aus deinen Kratzern geblutet hast!" Verdammt, sie hat eine gute Beobachtungsgabe. Um meine Überraschung zu überspielen, grinste ich und verbesserte sie:"Nicht gegen einen Baum gelaufen, über 'ne Wurzel gefallen." Während sich James und Sirius darüber großartig amüsierten, schaute Alice schon fast ängstlich aus und sogar Remus schaute von seinem Buch auf und hob eine Augenbraue. Im nächsten Moment verstand ich, warum. "Das. Ist. Nicht. LUSTIG!" Oh. Wut, schlecht. Ich muss mich dem entziehen, bevor noch unangenehme Fragen aufkommen. Ich entschied mich für die einfachste der einfachen Varianten:"'Tschuldige, kommt nicht mehr vor." Ich schaute auf den Boden, als wäre ich wirklich beschämt und überzeugt von meinen Worten. Dann gab's wieder eine fette Umarmung. Wie viel Ausdauer kann ich dafür noch aufbringen?
Zum Glück wurde bald von mir abgelenkt, als Marlene den Raum betrat und sie von Lily ähnlich "umsorgt" wurde, wie ich auch. Ganz ehrlich, Lily führte sich auf wie eine Helikopter-Mutter. Aber gut, soll sie machen. Mit einem Schulterzucken verabschiedete ich mich und ging auf mein Zimmer. Ich setzte mich in die Nische und schaute aus dem Fenster, das eine breite Fläche aus Natur und Gebäude anbot. Doch wirklich fokussiert schaute ich nicht, beobachtete nichts. Ich dachte wieder einmal nach, wie so oft in letzter Zeit. Wie lange werde ich meine eigentliche Situation verheimlichen können? Ich muss vorsichtiger sein, mehr Abstand bewahren, kühler sein, wenn ich nicht möchte, dass Detektivin Lily Evans meine Geschichte aus mir herausquetscht.
Was ist mit Marlene los, verheimlicht sie auch etwas? Was will Sirius mit seinem Macho-Getue erreichen?
Wie es Remus wohl geht? Er hatte einen kränklichen, gequälten Gesichtsausdruck, obwohl er diesen, soweit es ihm nur gelingt, vertuschen möchte. Aber dunkle Augenringe und blasse Haut lassen sich nicht gut verdecken. Aber es ist kein Wunder. Schließlich ist in fünf Tagen wieder Vollmond. Armer Remus. Während es für mich eine Nacht mit Freude bedeutet, ist es für Remus ein Fluch. Solang mich keiner sieht, kann ich unbekümmert die Freiheit genießen, er nicht. Remus wird kränklich und schwach an den Tagen vor dem Vollmond. Das Einzige, das sich bei mir ändert, sind meine Augen. Das normale Dunkelblau mit kleinen hauchdünnen violetten Sprenkeln wird zunehmend mit eben diesen Sprenkeln eingenommen, sodass ein Gemisch aus blau und violett entsteht. Da meine Augen jedoch eh schon eher dunkel sind, fällt das kaum auf. Erst am Tag des Vollmonds sind sie komplett violett, so, dass es tatsächlich auffallen könnte. Das muss ich also verhindern. Auch die Tage danach ist es noch etwas auffälliger, aber das legt sich schnell wieder. Remus hat da nicht so viel Glück. Aber ich kann ihm nicht helfen und darauf ansprechen kann ich ihn auch nicht, denn er würde wissen wollen, woher ich diese Information habe und das kann ich nicht preisgeben. Aber was ich tun kann, ist ein Auge auf ihn haben, unbemerkt bewachen, wenn der Vollmond anklopft und ihm Schmerzen zufügt. Denn vielleicht muss ich Distanz wahren und kann mich nicht mit ihnen anfreunden, helfen kann ich dann doch.
Wie es meiner Mutter jetzt wohl geht? Lebt sie noch? Ist sie auch geflohen? Ich will sie wiedersehen. In diesem Moment kamen mir die Stunden und besonders die letzten Minuten im Raum der Wünsche wieder in den Sinn. Jetzt, mit etwas mehr Ruhe und mit Abstand, war es schon einfacher darüber nachzudenken, aber immernoch schwierig zu verstehen. Kompliziert, chaotisch, ein wildes Inferno in meinem Inneren, Etwas, dem ich schon mein Leben lang weggelaufen bin und immernoch so lückenhaft...
"Hey, hier bist du." Eine Sekunde hatte ich keine Kontrolle über mich und zuckte zusammen. "Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken. Wollte nur fragen, ob du mit nach unten in den Gemeinschaftsraum kommen möchtest? Lily hat sich beruhigt und wir wollen Karten explodieren spielen." Zwei große braune Augen strahlten mich an. Wie genau sollte man bitte Alice etwas ausschlagen können? Wer auch immer das kann, soll sich bei mir melden. "Okay." Und so verbrachte ich den restlichen Abend damit, mit einer Gruppe zu lachen und zu reden, die ich nicht meine Freunde nennen durfte, zu deren und zu meiner Sicherheit. Und dennoch fühlte ich, wie meine Maske anfing, Risse zu bekommen, so sehr ich mich auch bemühte, sie aufrechtzuerhalten.

Snowangel ( HP ff - Rumtreiberzeit )Where stories live. Discover now