Typisch

26 7 4
                                    

Ein paar Tage vergingen, bis ich mich traute, Ryan eine SMS zu schicken.
Holly, die ganz aus dem Häuschen war, als sie meine Geschichte hörte, drängte mich jeden Tag dazu ihm zu schreiben und am 5. Tag hielt ich es dann nicht mehr aus.

»Ist ja gut, Holly, ich werde ihm ja schreiben!«, keifte ich und verdrehte gekonnt die Augen.
»Versprichst du es mir?«, fragte sie mich auf einmal viel ruhiger als in der letzten halben Stunde, in der sie solange auf mich einredete, bis ich endlich nachgab, und blinzelte mich mit ihren wunderschönen eisblauen Augen an.
»Ja, Holly! Aber jetzt lass mich endlich zufrieden.« Ich lachte und schob mich an ihr vorbei in die Küche.

Wenn sie etwas haben wollte, dann konnte sie eine echte Nervensäge sein! Aber dafür schätzte ich sie. Ohne, dass sie mich andauernd zu Sachen überreden würde und mich somit aus meiner Komfortzone holte, wäre ich für immer einsam und alleine in meiner Wohnung versauert.

Auch wenn ich am Anfang gegen ein weiteres Treffen war, ließ ich mich dann doch erneut von meinem charmanten Retter überreden. Wahrscheinlich wirklich nur, weil er so attraktiv war, denn eigentlich war mir noch immer nicht wohl bei dem Gedanken, eine neue Beziehung anzufangen. Und nur zum Spaß daten, so wie Holly es tat, konnte ich nicht.

Und trotzdem: Irgendwas faszinierte mich an Ryan. Sein Auftreten gepaart mit seiner Intelligenz und der zuvorkommenden Art gefielen mir wirklich sehr. Nicht zu vergessen waren auch die atemberaubenden grünen Augen, die mich immer wieder in ihren Bann zogen. 

                                    ***

Schon zwei Tage später war der Tag der Verabredung gekommen und mir war ganz übel vor Aufregung.
Zu meinem Pech war nicht einmal Holly da, um mir zu helfen mich fertig zu machen und mir Mut zuzureden.
Ich war ganz auf mich allein gestellt und wahrscheinlich nie zuvor so verzweifelt gewesen.

Ich ließ mich an der Wand zu Boden sinken und legte den Kopf in den Nacken.
»Das ist doch bescheuert! Lexi, reiß dich zusammen!«, sprach ich mir selbst zu und atmete tief durch, um mich dann entschlossen wieder aufzuraffen und erneut meinen Kleiderschrank und die auf dem Boden liegenden Haufen nach etwas vorzeigbaren zu durchwühlen.

Am Ende fand ich eine farbenfrohe Bluse, welche anders als ich, genauso strahlte wie die Natur zu dieser Zeit, und eine dunkle Jeans.

Meine Haare waren an diesem Tag nicht zu bändigen, weshalb ich mich nach einem 30 minütigen Kampf schlussendlich geschlagen gab, und sie einfach so zottelig hängen ließ, wie sie waren.

Das Café, indem ich mich mit Ryan traf, war keine fünf Minuten von meinem Apartment entfernt und ich beschloss zu laufen. Vielleicht war es die Angst, von der ich geleitet wurde, welche mich noch bis zum Schluss zweifeln ließ, dass Ryan überhaupt auftauchte.

Umso erleichterter war ich dann natürlich, als er kurz nach mir das Café betrat und sich mir mit einem freundlichen Lächeln gegenüber setzte.

»Hey, wartest du schon lange?«, fragte er.
»Vielleicht fünf Minuten«, sagte ich lässig schulterzuckend, wobei ich in mir drinnen nicht annähernd so entspannt war, wie ich tat.
Um ehrlich zu sein wartete ich nämlich 7 Minuten und 35 Sekunden - ich habe gezählt, denn hätte ich mich in der Zeit des Wartens nicht beschäftigt, dann wäre ich womöglich verrückt geworden.

Während ich die ganze Zeit versuchte meine Nervosität runterzuschlucken und dabei kaum einen Bissen runterbekam, plauderte Ryan ununterbrochen und versuchte mir dabei immer wieder Worte zu entlocken.

Dass ich aber viel zu sehr damit beschäftigt war mich im Griff zu haben und dabei noch von dem regen Treiben im Café abgelenkt wurde, machte es für mich nur noch schwieriger.

»Was beschäftigt dich denn so?«, fragte er etwas abgemüht, denn ich machte es ihm echt nicht leicht.
»Nichts weiter«, versuchte ich ihm und wahrscheinlich auch mit selber zu verklickern und schaufelte mir mit einem breiten, gekünstelten Lächeln ein weiteres Stück Kuchen in den Mund.

»Das glaub ich dir nicht, Lexi«, sagte er sanft, aber dennoch in einer Tonlage, die mir eine Gänsehaut brachte.
»Jetzt erzähl mir schon die Wahrheit«, forderte er mich nun also auf, woraufhin ich tief seufzte.

»Es ist nur so, dass Holly ausgerechnet heute ihre Familie besuchen musste und ich auf mich alleine gestellt bin. Und dann sind da noch die vielen Leute um uns rum, die mich ablenken, UND ich habe das Gefühl, dass ich nichts essen kann, weil sonst meine Jeans explodiert!«, platzte es auf einmal und ohne Vorwarnung aus mir heraus und war ganz gegen meine sonstige Art, was mich selber ein wenig erschreckte.

Nach einem verwirrten Gesichtsausdruck brach Ryan in schallendem Gelächter aus und ich errötete sofort. »Und ich dachte, es wäre etwas ernstes!«

»Entschuldige...« Ich senkte vor Scham den Blick zu meinen Sneakers und wäre am liebsten im Erdboden verschwunden.
Wie peinlich!

»Nein, Lexi! Ich habe dir einen falschen Eindruck vermittelt - es tut mir leid...«, sagte Ryan immer noch lachend und wischte sich eine Träne aus dem Auge.
»Ich fand es erfrischend, dass du so ehrlich warst. Es tut mir leid, dass ich gelacht habe, aber du hast so süß geguckt, als die Worte aus dir raussprudelten.«
Er warf mir einen sanften Blick zu, welcher mich erneut zum ich erröten brachte - typisch.

»Danke...« Ein schüchternes Lächeln schob sich auf meine Lippen und mein Blick suchte erneut meine Füße, um seinem Blick zu entweichen.

»Was kann ich tun damit du mit mir sprichst?«
Seine Worte überraschten mich und ich hatte eigentlich keine Antwort auf seine Frage, denn um ehrlich zu sein, war ich das Problem!

»Es ist der Ort, Ryan. Dieses Getümmel, die Lautstärke, diese ganzen Gerüche. Ryan, ich bemühe mich wirklich mich auf dich zu konzentrieren, aber ich schweife ab. Meine Schüchternheit macht das ganze nicht besser!«, gab ich ein wenig verzweifelt zu, um nicht nur schulterzuckend dazusitzen.

»Wir können auch woanders hin, wir müssen nicht hier bleiben.«
»Ich weiß nicht recht...« Ich zögerte kurz, denn ich war mir nicht sicher, ob ich meine Worte aussprechen wollte, aber ich wusste, dass er mein Zögern hinterfragen würde und ich es so oder so erklären müsste.

»Was ich sagen will ist, dass ich nicht sicher bin, ob ich schon mit dir an einen Ort gehen sollte, der nicht im Schutz der Öffentlichkeit steht.«
»Im Schutz der Öffentlichkeit? Lexi, was soll denn schon passieren?«
»Mord, Verschleppung, Vergewaltigung, Folter - es ist schon viel auf Dates passiert.« Ich umspielte meine Antwort mit einem sanften Lachen, denn auch wenn meine Ängste berechtig waren, wollte ich nicht, dass Ryan dachte, dass ich ihm nicht über den Weg traute, denn das stimmte nicht!

»Guter Punkt«, räumte er zu meinem Glück ein und schmunzelte glücklicherweise ebenfalls.
»Ich mache dir wieder einen Vorschlag. Du suchst dir den Ort aus. Ich begebe mich in deine Fänge und setze mich dem Risiko aus von dir überwältigt, geknebelt, verschleppt, verkauft und ermordet zu werden - wie klingt das für dich?«

Nun musste ich über seine Worte schmunzeln, denn Ryan war gute zwei Köpfe größer und doppelt so breit wie ich. Während ich mit meinen Armen gerade einmal Umzugskartons schleppen konnte, konnte Ryan mit seinen sicherlich ein ganzes Sofa heben - ich hätte ihn nicht einmal überwältigen können, wenn ich mir Mühe gab.

»Abgemacht. Aber nur, wenn Holly weiß, wo ich bin, und ich ihr alle 30 Minuten ein Lebenszeichen von mir geben darf - nur für den Fall der Fälle!«
»Wenn es das ist, was dich glücklich macht, gerne! Wo soll's hingehen?«
»Hm.« Ich überlegte kurz, denn obwohl ich schon eine Idee hatte, war ich mir nicht sicher, ob es eine gute war.
Ich wusste, dass ich mich an diesem Ort sicher und geborgen fühlen würde und mir das reden deutlich leichter fiel, als in diesem Café, allerdings zweifelte ich daran, dass ich schon bereit war, Ryan mit an diesem Ort zu nehmen.

»Ich hätte eine Idee, aber wir müssen uns noch einen Moment gedulden. Wie wäre es, wenn wir uns um zehn Uhr vor dem Café treffen?«, entschied ich mich dann doch, überzeugt von meiner Idee, für meinen Plan, denn immerhin hatte ich nichts zu verlieren...

I never thoughtWhere stories live. Discover now