Die Wahrheit

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Verunsichert schaute ich immer wieder zu Ryan auf den Fahrersitz. Er starrte mit angespanntem Kiefermuskeln auf die Straße und reagierte auf keinen meiner Entschuldigungsversuche, denn natürlich holte mich schon schnell das schlechte Gewissen ein.

Er musste das nicht tun, dachte ich immer wieder, während wir auf dem dunklen Highway stadtauswärts unterwegs waren.
Als wir dann auch noch die Stadt weitestgehend hinter uns gelassen hatten und immer weniger Autos zusehen waren, übermannte mich doch ein wenig die Angst.
Nervös und immer wieder mit der Frage, wo ich hätte hin flüchten können, wenn irgendwas gewesen wäre, im Kopf, umklammerte ich den Griff der Seitentür.

Auf einmal verlangsamte Ryan das Auto und fuhr rechts ran. Vielleicht wollte er ja reden, dachte ich. Aber nein, er stieg wortlos aus und ging auf meine Seite, um die Tür zu öffnen.
Eingeschüchtert und mit der Frage, was mitten im Nichts passieren sollte, zögerte ich beim aussteigen. Ich hätte ihm gerade alles zugetraut.

Nachdem ich sitzen blieb, entfernte er sich schnaubend vom Fahrzeug und blieb ein paar Meter weiter stehen.
»Hätte er mich umbringen wollen, hätte er das schon längst getan«, sprach ich mir Mut zu und überredete mich zu ihm zu gehen.

»Das ist April...«, sagte er mit gesenktem Blick, als er meine Schritte auf dem trockenen Boden wahrnahm.
Ich machte neben ihm halt und schaute dorthin, wo er hinschaute. Einen kleinen Moment brauchte ich bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten und ich erkennen konnten, was wir anstarrten.

Oh fuck... Ich war wirklich eine nichtswissende, naive Göre!
Auf der Stelle wurde mir speiübel und ich ekelte mich vor mir selber. Ich hätte mit ihm reden sollen, bevor ich ihm sowas an den Kopf warf.

Auch wenn es schwer fiel, zwang ich mich alles genau anzuschauen - soviel Respekt musste ich aufbringen.
»April Eastwood«, stand auf einem hölzernen Kreuz, wo ein Bild von einer jungen Frau drauf war. Ein paar Blumen waren niedergelegt und auch eine Grabkerze stand vor dem Kreuz.

»Es tut mir so leid...«, versuchte ich mich verzweifelt bei ihm zu entschuldigen und dabei das elende Gefühl in mir los zu werden, aber er winkte ab.
»Nicht hier«, sagte er kopfschüttelnd ohne den gesenkten Blick von der errichteten Gedenkstätte abzuwenden. Also blieb ich still.

Auch wenn sich meine Kehle zuschnürte, meine Augen tränten und ich am liebsten laut weinend weggelaufen wäre, zwang ich mich an dieser Stelle still strammzustehen und diese arme Frau, welche ich vorhin noch Flittchen nannte, mit jedem Fünkchen Respekt, den ich in mir hatte, zu würdigen. Kein Schluchzen. Keine Träne. Kein Wort.
Von Ryan war noch weniger wahrzunehmen. Er ruhte in sich und bis auf seine Hülle, schien er gerade nicht anwesend zu sein.

Das einzig aufmunternde, was ich von ihm erhielt, war, dass er sanft meine Hand ergriff, da er merkte, wie schwer es mir fiel, dort zu sein.

Wir standen noch bis zur Dämmerung stumm an dieser Stelle und auch wenn ich vor schmerzen kaum noch stehen konnte, wagte ich es nicht, zu gehen bevor er ging.

Auf der gesamten Rückfahrt wechselten wir kein Wort miteinander. Ich konnte diese schmerzende Stille nicht durchbrechen - zu schuldig fühlte ich mich.
Ich starrte nur ihn an. Ryan, mein Freund, den ich vorhin noch einer Affäre bezichtigt habe, tat mir nun unglaublich leid.

All seine Wut, seine Verlustängste und der Wunsch immer alles im Griff zuhaben, hat den Ursprung an dieser Stelle irgendwo im nirgendwo - an der Stelle, wo diese ihm nahestehende Frau, April Eastwood, tödlich verunglückte.
Und ich naive Pute habe am Abend noch mit Holly und ihren Arbeitskollegen darüber gelacht, wie wichtig es ihm war, dass mein Handy an blieb. Ich war so dumm!

»Ich hätte es dir früher sagen sollen«, durchbrach Ryan die Stille, als wir gerade wieder zuhause ankamen und die Schuhe auszogen. Seine tiefe Stimme endlich wieder zuhören, ließ mich, mich wenigstens ein bisschen wohler fühlen.

I never thoughtWhere stories live. Discover now